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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:06.02.2023
Aktenzeichen:KGH.EKD II-0124/30-22
Rechtsgrundlage:§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO
Vorinstanzen:Schieds- und Schlichtungsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V., Az. II-08/22, vom 19.08.2022
Schlagworte:Rechtskreisübergreifende doppelte Rechtshängigkeit
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Leitsatz:

1. Bei einer in mehreren Gliedkirchen gleichlautend normierten Verweisungskette nach § 62 Satz 1 MVG-EKD, § 80 Absatz 2 Satz 1, § 46 Absatz 2 ArbGG, § 495, § 261 Absatz 3 Nr. 1 ZPO kann nicht dieselbe Streitsache mit identischem Streitgegenstand zwischen denselben Beteiligten an Schieds- und Schlichtungsstellen verschiedener Gliedkirchen rechtshängig gemacht werden.
2. Der Normzweck von § 261 Absatz 3 Nr. 1 ZPO, zu verhindern, dass über denselben Streitgegenstand wiedersprechende Entscheidungen in Rechtskraft erwachsen können, greift in diesem Fall auch rechtskreisübergreifend.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Schieds- und Schlichtungsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. vom 19. August 2022, Az. II-08/22, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Anfechtung der MAV-Wahl vom 7. Juni 2022. Die Antragstellerin betreibt bundesweit 90 stationäre Altenpflegeinrichtungen. Der Sitz der Antragstellerin befindet sich in D. Sie ist Mitglied sowohl im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. sowie im Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe e.V.
Die Antragstellerin hat mit identischen Antragsschriften vom 20. Juni 2022 (Eingang 21. Juni 2022) sowohl bei der Schieds- und Schlichtungsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. wie auch bei der Gemeinsamen Schlichtungsstelle der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) und des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. in Düsseldorf diese MAV-Wahl angefochten. Zugestellt wurden die Antragsschriften durch die Gemeinsame Schlichtungsstelle im Rheinland am 24. Juni 2022 und durch die Schieds- und Schlichtungsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz am 6. Juli 2022.
Die Wahlanfechtung ist (u.a.) jeweils darauf gestützt worden, dass die wahlberechtigte und wählbare stellvertretende Pflegedienstleitung nicht habe wählen und sich nicht zur Wahl habe stellen lassen dürfen; zudem sei die Pflegedienstleitung daran gehindert worden, ihre Stimme abzugeben. Unregelmäßigkeiten habe es auch in Bezug auf die Briefwahlunterlagen gegeben. Bezüglich der geltend gemachten Rechtsfehler bei der Durchführung der Wahl wird verwiesen auf die Antragsschrift vom 20. Juni 2022.
Die Gemeinsame Schlichtungsstelle im Rheinland hat dem dort eingereichten Antrag entsprochen, die in der Einrichtung durchgeführte Mitarbeitervertretungswahl für ungültig erklärt und die Wiederholung der Wahl angeordnet. Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig.
Auch im hiesigen Verfahren hat die Antragstellerin beantragt,
die am 7. Juni 2022 in der Dienststelle der Antragstellerin und Beteiligten zu 1) durchgeführte Mitarbeitervertretungswahl für ungültig zu erklären und die Wiederholung der Wahl anzuordnen.
Die Antragsgegnerin, die aus der Wahl vom 7. Juni 2022 hervorgegangene Mitarbeitervertretung, hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen
und den hiesigen Antrag wegen doppelter Rechtshängigkeit für unzulässig gehalten.
Die Schiedsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. hat mit dem Beschluss vom 19. August 2022 den Antrag wegen doppelter Rechtshängigkeit für unzulässig erachtet und ihn zurückgewiesen. Dem Antrag stehe die frühere Rechtshängigkeit des identischen Wahlanfechtungsverfahren bei der Gemeinsamen Schlichtungsstelle der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) und des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. entgegen; nach § 62 Satz 1 MVG-EKD, § 80 Absatz 2 Satz 1, § 46 Absatz 2 ArbGG, § 495, § 261 Absatz 1 Nr. 3 ZPO könne die Streitsache während der Dauer der bei der Gemeinsamen Schlichtungsstelle anhängigen Streitsache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der Gründe der angefochtenen Entscheidung wird Bezug genommen auf den Beschluss vom 19. August 2022.
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Antragsbegehren weiter. Die Vorinstanz habe verkannt, dass die Gliedkirchen unterschiedliche Rechtskreise bilden würden und im Verhältnis dieser Rechtskreise § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO nicht zur Anwendung kommen könne; dies gelte selbst dann, wenn ähnliche oder identische Normen bestünden. Rechtskreisübergreifende Verweisungen seien auch im Übrigen weder aus dem katholischen in den evangelischen oder aus dem weltlichen in den kirchlichen Rechtskreis möglich. Nur innerhalb des jeweiligen Rechtskreises könne sich die Frage doppelter Rechtshängigkeit stellen. In Bezug auf die Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird Bezug genommen auf die Beschwerdebegründungsschrift vom 23. November 2022 sowie die weiteren Schriftsätze.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin beantragt,
1. den Beschluss der Schiedsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. vom 19. August 2022, Aktenzeichen II-08/22, aufzuheben und
2. die am 7. Juni 2022 in der Dienststelle der Antragstellerin und Beschwerdeführerin durchgeführte Mitarbeitervertretungswahl für ungültig zu erklären und die Wiederholung der Wahl anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Normzweck von § 261 Absatz 3 ZPO sei es zu verhindern, dass über denselben Streitgegenstand sich widersprechende Entscheidungen in Rechtskraft erwachsen könnten. Deshalb sei der hiesige später rechtshängig gewordene Wahlanfechtungsantrag unzulässig.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die weiteren zu den Akten gereichten wechselseitigen Schriftsätze sowie auf die mündliche Anhörung verwiesen.
II. Die frist- und formgerecht eingereichte und begründete Beschwerde ist unbegründet. Die Vorinstanz hat den vorliegenden Wahlanfechtungsantrag zutreffend wegen doppelter Rechtshängigkeit gem. § 62 Satz 1 MVG-EKD, §§ 80 Abs. 2 Satz 1, 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 495, 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO für unzulässig erachtet und ihn zurückgewiesen. Während der Dauer der Rechtshängigkeit der zeitlich zuvor vor der Gemeinsamen Schlichtungsstelle im Rheinland mit identischem Streitgegenstand und denselben Beteiligten geltend gemachten Anfechtung der MAV-Wahl vom 7. Juni 2022 ist der hiesige Antrag unzulässig.
1. Die Einwände der Antragstellerin verhelfen der Beschwerde nicht zum Erfolg.
a) Die 20 in der EKD vereinten Gliedkirchen bilden zwar jeweils ihren eigenen durch Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 137 Absatz 3 WRV geschützten Rechtskreis und können folgerichtig ihr Mitarbeitervertretungsrecht und das anzuwendende Verfahrensrecht im Grundsatz selbstständig gestalten. Grundsätzlich gilt das von den einzelnen Religionsgemeinschaften gesetzte Recht deshalb auch nur in dem jeweiligen religionsgemeinschaftlichen Rechtskreis; dies wird, soweit erkennbar, von niemandem in Frage gestellt.
b) Aus dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften folgt aber gleichermaßen, dass diese im Hinblick auf die anzuwendende Rechtsordnung und die anzuwendenden Verfahrensregeln sich an einheitlichen Grundsätzen orientieren und gemeinsam – einheitlich und rechtskreisübergreifend – eine bestimmte Verfahrensordnung zur Anwendung kommen lassen können; gleichermaßen steht es ihnen frei, mit dem KGH.EKD eine einheitliche Beschwerdeinstanz zu schaffen. Die in beiden vorliegend tangierten Gliedkirchen bestehende Verweisungskette nach § 62 Satz 1 MVG-EKD, § 80 Absatz 2 Satz 1, § 46 Absatz 2 ArbGG, § 495, § 261 Absatz 3 Nr. 1 ZPO bedeutet deshalb, dass auch im Verhältnis verschiedener Rechtskreise nicht dieselbe Streitsache anderweitig rechtshängig gemacht werden kann.
c) Beide Gliedkirchen haben durch die Verweisungskette zum Ausdruck gebracht, dass sie dem Normzweck von § 261 Absatz 3 Nr. 1 ZPO, zu verhindern, dass über denselben Streitgegenstand wiedersprechende Entscheidungen in Rechtskraft erwachsen können, entsprechen wollen. Beide Gliedkirchen verfolgen mit der Verweisungskette das Ziel, Rechtsfrieden zwischen denselben Beteiligten dadurch herzustellen, dass es in der gleichen Streitsache nur eine Entscheidung geben kann.
d) Es ist fernliegend, anzunehmen, dass beide Gliedkirchen ihre Rechtsordnung so gestalten wollten, dass § 261 ZPO nur innerhalb des eigenen Rechtskreises zur Anwendung kommen soll. Gleichermaßen ist fernliegend, dass die Gliedkirchen in einem Fall wie vorliegend eine Rechtssituation entstehen lassen wollen, in der vor einer Schiedsstellte die Wahlanfechtung Erfolg hat und vor der anderen Schiedsstelle nicht. Unterbleibt – aus welchen Gründen auch immer – die Beschwerde an den Kirchengerichtshof der EKD, träte ein unlösbarer Zustand ein, da eine erfolgreiche und eine erfolglose Wahlanfechtung mit identischem Streitgegenstand zwischen denselben Beteiligten in Rechtskraft erwachsen würden.
e) Angesichts der in beiden gliedkirchlichen Rechtsordnungen identischen Verweisungskette hätte es einer ausdrücklichen Regelung bedurft, wenn § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO nur innerhalb des jeweils eigenen Rechtskreises der Gliedkirche greifen soll. Auch die weiteren Beschwerdeangriffe führen angesichts der eindeutigen Verweisungsketten deshalb nicht zum Erfolg.
2. Eine verfahrensbeendende Entscheidung ist in Bezug auf die Anfechtung der Wahl damit nicht getroffen. Im Hinblick auf die Unzulässigkeit der hiesigen Wahlanfechtung bleibt die materiell-rechtliche Prüfung dem weiteren zuvor rechtshängigen Wahlanfechtungsverfahren vorbehalten. Im Hinblick auf künftige Rechtsunsicherheiten in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit bei mehreren denkbar zuständigen Schieds- und Schlichtungsstellen bei einer Mitgliedschaft der Dienststelle in mehreren Diakonischen Werken sei darauf hingewiesen, dass beide Verfahrensordnungen über die Verweisungskette auch § 82 ArbGG zur Anwendung kommen lassen, mithin sich die örtliche Zuständigkeit danach richtet, wo die Einrichtung gelegen ist. Rechtskreisübergreifende Verweisungen sind dem kirchlichen Mitarbeitervertretungsrecht im Übrigen nicht fremd (vgl. KGH.EKD 9. Februar 2009 – I-0124/P85-08).
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Absatz 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Absatz 1 KiGG.EKD).