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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:07.12.2020
Aktenzeichen:KGH.EKD II-0124/26-2020
Rechtsgrundlage:§ 51 MVG-EKD; § 178 SGB IX
Vorinstanzen:Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Ev. Kirche von Westfalen – 2. Kammer, Az. 2 M 84/19
Schlagworte:Leserecht Dienstplanungsprogramm, Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen (SBV)
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Leitsatz:

1. Die Einteilung einzelner Schwerbehinderter in einen Dienstplan ist eine Angelegenheit i.S.v. § 51 Abs. 3 Satz 1 MVG-EKD, über die die SBV regelmäßig rechtzeitig und umfassend zu unterrichten ist.
2. Es besteht kein Anspruch der SBV, dass die Unterrichtung durch den Dienstgeber in einer bestimmten Art und Weise erfolgt, etwa durch Einräumung von Leserechten in ein Dienstplanungsprogramm.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Dienststelle wird der Beschluss der Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche von Westfalen - 2. Kammer - vom 4. Juni 2020, Az. 2 M 84/19, abgeändert:
Der Antrag der Vertrauensperson der Schwerbehinderten wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über ein Leserecht der Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen (SBV) für das Dienstplanprogramm Clinic Planner.
Die Antragstellerin ist die bei der Dienststelle gewählte SBV. Die Dienststelle und Beteiligte zu 2 betreibt ein aus mehreren Betriebsstätten zusammengesetztes Krankenhaus mit ca. 4.500 Mitarbeitenden, darunter ca. 250 schwerbehinderte Mitarbeitende. Die Beteiligte zu 3 ist die bei der Beteiligten zu 2 bestehende Mitarbeitervertretung.
Erstmals in der laufenden Wahlperiode ist die SBV nicht Mitglied der Mitarbeitervertretung. Sie trat an die Beteiligte zu 2 heran mit der Bitte, ihr dieselben Leserechte hinsichtlich des Dienst-planprogrammes Clinic Planner einzuräumen wie der Mitarbeitervertretung. Das Leserecht der Mitarbeitervertretung ist in einer Dienstvereinbarung geregelt. Die Beteiligte zu 2 hat ein Leserecht der SBV in das Dienstplanprogramm abgelehnt unter Hinweis darauf, das Leserecht sei der Mitarbeitervertretung gewährt worden, weil diese die Aufgaben der Mitbestimmung umfassend wahrzunehmen habe; dies schließe auch die Vertretung der schwerbehinderten Mitar-beitenden ein. Situativ stehe der SBV ein Kontrollrecht nur dann zu, wenn sie von einer/m Schwerbehinderten beauftragt sei.
Mit dem am 27. Dezember 2019 per Fax bei der Schlichtungsstelle eingegangenen Antrag verfolgt die SBV ihr Begehren weiter. Die Schlichtungsstelle hat die bei der Dienststelle gebildete Mitarbeitervertretung am vorliegenden Verfahren beteiligt.
Die SBV hat die Auffassung vertreten, ihr sei die dienstübliche technische Ausstattung zur Verfügung zu stellen; dies beinhalte auch Leserechte für das Dienstplanprogramm Clinic Planner. Ohne diese Leserechte könne sie ihre Aufgaben nach dem MVG-EKD und dem SGB IX nicht angemessen wahrnehmen.
Die SBV hat beantragt,
die Dienststelle zu verpflichten, ihr Leserechte für die Einsicht in das bei der Dienststelle verwendete Dienstplanprogramm Clinic Planner zu gewähren.
Die Beteiligte zu 2 hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen,
und u.a. geltend gemacht, ein gesetzlicher Anspruch auf Einräumung eines Leserechts bestehe zu Gunsten der Beteiligten zu 1 nicht. Die Mitarbeitervertretung hat sich dem Antrag der SBV angeschlossen.
Die Schlichtungsstelle hat dem Antrag entsprochen. Zur Erfüllung der Aufgaben der SBV sei die Einsicht in das Dienstplanungsprogramm und das damit verbundene Leserecht erforder-lich. Sie müsse darüber wachen, dass die zugunsten schwerbehinderter Menschen geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen umgesetzt würden. U.a. um die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu prüfen, sei die Einsicht in das vollständige Dienstplanungsprogramm erforderlich. Schließlich ergebe sich der Anspruch daraus, dass sie das Recht habe, an allen Sitzungen der Mitarbeitervertretung beratend teilzunehmen; dies beinhalte, über den gleichen Informationsfluss und -umfang verfügen zu können.
Die Dienststelle wendet sich mit der Beschwerde gegen diesen Beschluss und verfolgt den Antrag auf Zurückweisung des erstinstanzlichen Antrages weiter. Die Mitarbeitervertretung habe ausschließlich aufgrund der Dienstvereinbarung und nicht auf gesetzlicher Grundlage ein Leserecht; auch zu Gunsten der SBV bestehe kein gesetzlicher Anspruch. Bei der Prüfung der Dienstpläne seien keine Angelegenheiten der Schwerbehinderten betroffen.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die wechselseitigen in der Beschwerdeinstanz zu den Akten gereichten Schriftsätze sowie auf die Erörterung in der mündlichen Anhörung.
II. Die frist- und formgerecht eingereichte und begründete Beschwerde der Dienststelle ist begründet. Die SBV hat keinen Anspruch auf Einräumung eines Leserechtes in das Dienstplan-programm Clinic Planner.
1. Die Zuweisung einzelner Schwerbehinderter in einen Dienstplan ist eine Angelegenheit i.S.v. § 51 Absatz 3 Satz 1 MVG-EKD, über die die SBV regelmäßig rechtzeitig und umfassend zu unterrichten ist.
a. Nach § 51 Absatz 1 MVG-EKD bestimmen sich Aufgaben und Befugnisse der SBV nach den §§ 177-179 SGB IX. Nach § 178 Absatz 2 Satz 1 SGB IX hat der Arbeitergeber die SBV in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Eine gleichlautende Regelung enthält § 51 Absatz 3 Satz 1 MVG-EKD mit der Maßgabe, dass die SBV „rechtzeitig“ und umfassend zu unterrichten ist.
b. Nicht erforderlich ist, dass die Maßnahme gerade wegen der Schwerbehinderung erfolgt, ein unmittelbarer Zusammenhang mit den schwerbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist nicht erforderlich (JMNS/Neuendorf MVG-EKD § 51 Rn. 14). Sinn der Unterrichtungs- und Anhörungspflicht ist es zu vermeiden, dass eine Entscheidung des Arbeitgebers die Belange schwerbehinderter Menschen beeinträchtigt; der SBV soll ermöglicht werden, auf eine sachgerechte Behandlung hinzuwirken (JMNS/Neuendorf MVG-EKD, a.a.O.).
c. Arbeitszeitregelungen sind - zumindest bei einer monatlich wechselnden Zuweisung in ver-schiedene Schichten - eine Angelegenheit im Sinne der Norm (vgl. Fey/Rehren MVG-EKD § 51 Rn. 11, JMNS/Neuendorf § 51 MVG-EKD Rn. 15). Zwar ist nicht jede gewöhnliche Weisung, mit der der Arbeitgeber die Arbeitspflicht konkretisiert, eine Angelegenheit i.S.v. § 178 Absatz 3 SGB 9 (Düwell in LPK-SGB IX § 178 Rn. 41, 50). Die fachliche Weisung in der Be-dienung einer Maschine z.B. ist nicht Gegenstand einer Unterrichtungsverpflichtung (Düwell a.a.O. Rn. 50). Die Einteilung eines/r schwerbehinderten Mitarbeitenden in einen Schichtplan hingegen berührt den Schwerbehinderten i.S.d. angezogenen Normen. „Berühren“ ist mit „be-treffen“ gleichzusetzen (BAG vom 17. August 2010 - 9 ABR 83/09 – Rn. 14; KGH.EKD, Be-schluss vom 17. Februar 2020 - II-0124/14-2019). Die Zuweisung bestimmter, insbesondere wechselnder Arbeitszeiten im Schichtbetrieb kann für Schwerbehinderte erheblich belastender sein als für nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer. Eine frühzeitige Unterrichtung der SBV stellt sicher, dass sie aus ihrer fachlichen Sicht auf mögliche - vom Arbeitgeber eventuell nicht be-dachte - Auswirkungen der Einteilung zu bestimmten Schichten hinweisen kann. Die erforderli-che und gesetzlich gebotene rechtzeitige und umfassende Unterrichtung der SBV setzt deshalb voraus, dass der Dienstgeber die SBV über die Dienstpläne über allen Abteilungen infor-miert, in denen auch schwerbehinderte Mitarbeitende beschäftigt werden; nur so ist gewährleistet, dass die SBV ihrer Aufgabe nachkommen kann, zu prüfen, ob die zugunsten schwer-behinderter Menschen geltenden Gesetze, insbesondere auch die nach § 164 Absatz 4 Nummer 4 SGB IX bestehende Verpflichtung des Dienstgebers auf eine schwerbehindertengerech-te Gestaltung der Arbeitszeit, eingehalten wird.
2. Daraus folgt jedoch kein Anspruch der SBV, dass die Unterrichtung durch den Dienstgeber in einer bestimmten Art und Weise etwa durch Einräumung von Leserechten erfolgt.
a. „Unterrichten“ im Sinne von § 52 Absatz 3 MVG-EKD bzw. § 178 Absatz 2 Satz 1 SGB IX beinhaltet zwar ein „aktives Tun“ des Dienstgebers. Auf welche Art und Weise die Unterrichtung zu erfolgen hat, bestimmt das Gesetz aber nicht. Der Dienstgeber kann deshalb die Form der Unterrichtung festlegen, soweit damit der Informationsanspruch der SBV vollständig erfüllt wird.
b. Dies bestätigt eine Parallelwertung zum Anspruch der Mitarbeitervertretung auf Unterrich-tung nach § 34 MVG-EKD. Auch die Mitarbeitervertretung ist nach § 34 Absatz 1 MVG-EKD zur Durchführung ihrer Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten; darüber hinaus sind ihr aber nach § 34 Absatz 3 Satz 1 MVG-EKD die zur Durchführung ihrer Aufgaben erfor-derlichen Unterlagen rechtzeitig zur Verfügung zu stellen. Daraus folgt z.B. dass die Mitarbei-tervertretung einen Anspruch auf Übergabe von Listen hat, die den Bruttolohn der Mitarbei-ter/innen ausweisen (KGH.EKD, Beschluss vom 19. Juni 2018 - II-0124/6-2018; Beschluss vom 4. Juni 2019 - I-0124/1-2019; Beschluss vom 2. Oktober 2019 - II-0124/44-2019). Daraus folgt weiter, dass die Mitarbeitervertretung dann einen Anspruch auf Einräumung eines Leser-echtes in ein Dienstplanungsprogramm hat, wenn dieses Dienstplanungsprogramm die nach § 34 Absatz 3 MVG-EKD „erforderliche Unterlage“ darstellt (vgl. KGH.EKD, Beschluss vom 24. Januar 2011 - I-0124/S22-10 zu einem Leserecht von elektronisch erfassten Arbeitszeiten).
c. Eine vergleichbare Vorschrift zugunsten der SBV enthalten weder § 178 SGB IX noch § 51 MVG-EKD, lediglich im Bewerbungsverfahren besteht nach § 51 Absatz 1 MVG-EKD i.V.m. § 178 Absatz 2 Satz 4 SGB IX ein Anspruch auf Einsicht in die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen.
d. Daraus folgt, dass der Dienstgeber grundsätzlich frei darin ist, wie er den Informationsanspruch der SBV erfüllt. Er kann dies durch Ausdruck und Ermöglichung von Einsichtnahme in die jeweiligen Dienstpläne veranlassen, er kann die Information in einem gemeinsamen Gespräch mit der SBV erteilen oder er kann der SBV ein - auf Abteilungen mit schwerbehinderten Mitarbeitern beschränktes - Leserecht ermöglichen. Selbst wenn es sich dabei um die einfachste Form der Unterrichtung handeln sollte, sehen die gesetzlichen Bestimmungen einen unmittelbaren Anspruch auf eine bestimmte Form der Unterrichtung nicht vor.
3. Aus dem Teilnahmerecht der SBV an den Sitzungen der MAV nach § 51 Absatz 5 Satz 1 MVG-EKD folgt kein Anspruch gegen die Dienststelle auf vorherige Überlassung sämtlicher Unterlagen. Es ist Sache der Mitarbeitervertretung, wie sie in der Sitzung den Informationsfluss organisiert.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 65 Absatz 7 MVG-K i.V.m. § 22 Absatz 1 KiGG.EKD).