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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:29.06.2020
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/11-2020
Rechtsgrundlage:MVG-EKD § 17, MVG-EKD § 21 Abs. 2, BGB § 626 BGB
Vorinstanzen:Kirchengericht - MVG - für Streitigkeiten aus der Anwendung des Mitarbeitervertretungsgesetzes - Kammer für das Diakonische Werk Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland e.V, Az. II-21-2019
Schlagworte:Ausschluss aus der Mitarbeitervertretung, Außerordentliche Kündigung eines Mitglieds der Mitarbeitervertretung, Beleidigung von Mitarbeitenden und Vorgesetzten, Verdachtskündigung
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Leitsatz:

1) Die Zustimmung der Mitarbeitervertretung zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung gegen-über einem Mitglied der Mitarbeitervertretung ist zu ersetzen, wenn die Voraussetzungen, die nach § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung gegeben sein müssen, vorliegen.
2) Wenn sich ein Kündigungsgrund im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens über die Ersetzung der Zu-stimmung zu der außerordentlichen Kündigung eines Mitglieds der Mitarbeitervertretung ändert, muss zunächst die Mitarbeitervertretung erneut beteiligt werden, bevor dieses im Gerichtsverfahren berücksich-tigt werden kann. Entbehrlich ist eine solche erneute Beteiligung nur dann, wenn der Mitarbeitervertre-tung bei der ursprünglichen Anhörung schon alle maßgeblichen Tatsachen mitgeteilt worden sind.
3) Voraussetzung für einen Ausschluss aus der Mitarbeitervertretung ist nach § 17 MVG ein grober Miss-brauch von Befugnissen oder eine grobe Pflichtverletzung. Die Äußerung, dass das Verfahren zur Feststel-lung, die Mitarbeitervertretung habe die Zustimmung zu einer konkreten Kündigung zu Unrecht verwei-gert, „richtig viel Geld“ koste, ist in keinerlei Hinsicht eine Pflichtverletzung oder ein Missbrauch von Be-fugnissen.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Mitarbeitervertretung wird der Beschluss des Kirchenge-richts - MVG - für Streitigkeiten aus der Anwendung des Mitarbeitervertretungsge-setzes - Kammer für das Diakonische Werk Evangelischer Kirchen in Mittel-deutschland e.V. - vom 5. November 2019, Az. II-21-2019, abgeändert.
Die Anträge der Dienststellenleitung werden zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die zu 1 beteiligte Dienststellenleitung verlangt, die Zustimmung der Mitarbeitervertretung zur außerordentlichen Kündigung des Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung, Herrn D, zu ersetzen und ihn aus der Mitarbeitervertretung auszuschließen.
Der im Dezember 1956 geborene und verheiratete Herr D ist seit dem 14. Oktober 1996 in der Dienststelle beschäftigt, und zwar zuletzt als Gruppenleiter mit einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von € 3.059,91. Daneben bezieht er aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit bei der Familienhilfe steuerfrei € 2.400,00 jährlich.
Die Tätigkeit als Gruppenleiter beinhaltet die Anleitung und Beaufsichtigung behinderter Men-schen in der von der Dienststelle betriebenen Elektromontage.
Am 4. Juli 2019 fuhr der Produktionsleiter Herr E in den Bereich Elektromontage, um zu prüfen, ob alle für den Arbeitsschutz erforderlichen Belehrungen und Unterweisungen vorgenom-men worden waren. Er stellte fest, dass keine Unterweisung für eine Maschine vorgenommen worden war, an der es zuvor bei einem Beschäftigten zu einer Schnittverletzung gekommen war. Herr D zeigte Herrn E eine Unterweisung zu den Themen Brandschutz, Hausordnung und Werkzeuge. Diese hielt Herr E für zu lang und vertrat die Meinung, dass die Beschäftigten zumindest die Chance erhalten müssten, die wesentlichen Inhalte einer Unterweisung zu behal-ten. Darauf erklärte Herr D:
„Mal ehrlich, die meisten wissen doch gar nicht mehr, was ich erzählt habe, wenn sie ihre Un-terschrift geleistet haben.“
Bei der anschließenden Prüfung der Vollständigkeit der Unterweisungen stellte Herr E mit, dass für Rollenschneider und Cutter eine Unterweisung unterblieben war. Auf Nachfrage erklärte Herr D:
„Das musst Du doch kontrollieren, dass ich das richtig mache, ich kann das ja nicht wissen.“
Am 10. Juli begab sich Herr E vor einer Begehung durch das Gewerbeaufsichtsamt in den Bereich Elektromontage, um mit Herrn D fehlende Unterlagen zu besprechen und Betriebsan-weisungen auszuhängen. Bei dieser Gelegenheit streichelte Herr D den Bauch eines Beschäftigten und sagte dabei zu Herrn E;
„…, dieses Bäuchlein muss immer gefüttert werden, das Essen ist das wichtigste für unsere Beschäftigten. Sie sind sehr traurig, dass du die Frau F abgezogen hast und es nun nur die Ausgabeküche gibt.“
Herr E wies sodann auf Planungsschwierigkeiten hin und forderte Herr D auf, sich die Gesamtsituation anzusehen. Herr D suche sich immer nur Einzelsituationen heraus und kritisiere die Entscheidungen von Herrn E. Statt sich für einen Mitarbeiter Herrn G einzusetzen, zu des-sen Kündigung die Mitarbeitervertretung die Zustimmung verweigert hatte, worauf die Dienst-stellenleitung ein kirchengerichtliches Verfahren zur Feststellung der Unbegründetheit der Zustimmungsverweigerung eingeleitet hatte, solle er sich um zwei andere Mitarbeiter kümmern. Das Engagement für Herrn G bringe nichts, koste nur Geld und er, Herr E, wisse nicht, wie oft Herr D noch verlieren wolle. Herr D erklärte darauf:
„Genau darum geht es, es muss richtig viel kosten, damit die H das endlich lernt und so etwas nie wieder versucht.“
Bei Frau H handelt es sich um das kaufmännische Vorstandsmitglied der Dienststelle.
In der Dienststelle war Herr I als Mitarbeiter tätig. Bei seinem Ausscheiden kaufte er der Dienststelle den auf ihn abgestimmten Schreibtisch ab und transportierte diesen am 12. Juli 2019 aus dem Betrieb heraus. Zur Verpackung des Schreibtisches hatte Herr D Herrn I auf einer Rolle befindliches Filtermaterial übergeben, das in der Werkstatt verarbeitet wird. Eine komplette Rolle dieses Materials hat einen Einkaufspreis von € 66,16 inkl. MwSt.. Ein Mitarbeiter übernahm von Herrn I dessen dienstliches Mobiltelefon. Auf diesem fand der Mitarbeiter folgende SMS von vor:
„Hallo …, hat das alles mit dem Tisch geklappt? Oder gab es dumme Fragen? Ich hätte Dir das Verpackungszeug nicht geben dürfen, könnte mir als Diebstahl ausgelegt werden. Ist es in der Konsequenz auch. Grüße …“
Bei einem Gespräch am 16. Juli 2019 erklärte Herr D gegenüber Frau H, dem kaufmännischen Vorstandsmitglied, Frau J, dem theologischen Vorstandsmitglied und einem Mitglied der Mitarbeitsvertretung, sowie einer Mitarbeiterin aus der Geschäftsbereichsleitung Eingliederungshilfe, dass das Filtermaterial schadhaft gewesen sei und vermutlich entsorgt worden wäre.
Herr I brachte das Filtermaterial in das Büro der Mitarbeitervertretung. Am 4. November 2019 wurde die Rolle von der Mitarbeitervertretung an die Dienststellenleitung übergeben.
Mit Schreiben vom 18. Juli 2019 beantragte die Dienststellenleitung bei der Mitarbeitervertretung die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung von Herrn D. Die Mitarbeitervertretung teilte mit Schreiben vom 19. Juli 2019 mit, dass sie beschlossen habe, die Zustimmung zu verweigern.
Die Dienststellenleitung hat die Auffassung vertreten, dass Herr D in dem Gespräch mit Herrn E am 10. Juli 2019 eine derartig massive Schädigungsabsicht gegen das unternehmerische Wirken der Dienststelle geäußert habe, dass eine außerordentliche Kündigung berechtigt sei. Er habe deutlich gemacht, dass er wissentlich und vorsätzlich eine Schädigung des Unter-nehmens in Kauf nehme, um Frau H persönlich zu belehren. Ferner habe er sich dadurch übergriffig verhalten, dass er dem Beschäftigten über den Bauch gestreichelt und inhaltlich erklärt habe, dass für behinderte Menschen das Wichtigste das Essen sei. Das sei eine Her-abwürdigung behinderter Beschäftigter, die dadurch nahezu auf ihre Fütterung reduziert wor-den seien.
In Bezug auf das Filtermaterial bestehe ein stark erhärteter Verdacht gegen Herrn D, dass er Unternehmenseigentum gestohlen habe. Wenn das Filtermaterial beschädigt gewesen wäre, wäre von der Lieferantin eine Ersatzlieferung erfolgt. Durch die Frage in der SMS, ob es „dumme Fragen“ gegeben habe, habe Herr D unterstellt, dass Frau J als das Vorstandsmit-glied, dass die Arbeitsplatzübergabe mit Herrn I vorgenommen habe, dumme Fragen gestellt haben könnte. Das sei eine persönliche Herabwürdigung von Frau J, ohne dass es rechtferti-gende Ansatzpunkte für eine solche Ausdruckweise gegeben habe.
Die Dienststellenleitung hat beantragt,
1) die Zustimmung der Antragsgegnerin und Beteiligten zu 2 zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3 gemäß § 21 MVG-EKD zu setzen,
2) den Beteiligten zu 3 als Mitglied aus der Mitarbeitervertretung des auszuschließen,
Die Mitarbeitervertretung hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Sie hat gemeint, dass es keinen Grund für eine außerordentliche Kündigung und einen Ausschluss aus der Mitarbeitervertretung gebe.
Das Kirchengericht hat den Anträgen der Dienststellenleitung mit Beschluss vom 5. November 2019 stattgegeben. Gegen diesen Beschluss, der der Mitarbeitervertretung am 7. Februar 2020 zugestellt wurde, hat diese mit Schriftsatz vom 27. Februar 2020, beim Kirchengerichtshof eingegangen am 28. Februar 2020, Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 6. April 2020, beim Kirchengerichtshof eingegangen am 6. April 2020, begründet.
Die Mitarbeitervertretung ist der Ansicht, dass weder ein Grund für eine fristlose Kündigung noch ein Grund für einen Ausschluss aus der Mitarbeitervertretung gegeben sei. Das Filterma-terial sei nicht mehr zweckmäßig zu gebrauchen gewesen und habe sich im Lager 1 befunden, wo das fehlerhafte Material gesammelt werde.
Die Mitarbeitervertretung beantragt,
den Beschluss des Kirchengerichts – MVG – für Streitigkeiten aus der Anwendung des Mitarbeitervertretungsgesetzes, Aktenzeichen II-21-2019, vom 5. November 2020, zugestellt am 7. Februar 2020, aufzuheben und die Anträge des Beschwerdegegners, mithin des Antragstellers, zurückzuweisen.
Die Dienststellenleitung beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Da die Rolle mit dem Filtermaterial erst am 4. November 2019 zurückgegeben worden sei, habe sie vor dem erstinstanzlichen Termin nicht mehr geprüft werden können. Es habe sich dann herausgestellt, dass ca. 5 bis 10 cm große Beschädigungen des dicklagigen Filtermaterials im Abstand von 30 bis 80 cm vorlä-gen. Das dazwischen liegende Material könne aber ohne Probleme verwendet werden, so dass 50 % für Materialzuschnitte geeignet gewesen seien. Für eine Ersatzlieferung durch die Lieferantin hätte eine Reklamation durch die Dienststellenleitung ausgereicht. Es hätte aber zumindest die schadhafte Rolle vorgehalten werden müssen, auch wenn sie von der Lieferan-tin nicht kontrolliert worden wäre. Es hätte allerdings eine solche Reklamation vor dem Vorfall noch nicht gegeben. Eine Schädigung der Dienststelle hätte demgemäß selbst dann vorgelegen, wenn die Rolle mit dem Filtermaterial vollständig unbrauchbar gewesen wäre. Nur Kleinstteile des Filtermaterials, aus denen sich kein brauchbarer Flicken mehr hätte herstellen lassen, seien der Entsorgung zugeführt worden. Herr D habe Herrn E im Juli 2018 zu Ver-schnitten des Filtermaterials gefragt und zur Antwort erhalten, dass das Material, aus dem man keine Filter mehr schneiden – unausgesprochen: weil diese Reste im Rahmen der Nutzung zu klein geworden seien – könne, entsorgt werden müsse. Es sei bei dem Gespräch klar gewe-sen, dass es sich nur um solche Reste gehandelt habe, die im Rahmen der Nutzung der Rolle für einen weiteren Gebrauch zu klein gewesen seien. Weil es sich um Gewerbeabfall handele, müsse das Material wegen seiner besonderen chemischen Zusammensetzung wie eine Art Sondermüll entsorgt werden. Die Übergabe des Filtermaterials müsse früh morgens auf einem grundsätzlich sehr weitläufigen Gelände erfolgt sein. Da sich der Ausgang der Einrichtung dort an einer schmalen Seitendurchfahrt befinde, sei es möglich, fernab vom üblichen Verkehr eine Übergabe unter Verladung in einen Pkw vorzunehmen. Selbst wenn Herr D beobachtet worden wäre, hätte er sich ob seiner Autorität als Vorsitzender der Mitarbeitervertretung darauf verlassen können, dass seine Ausrede von anderen Beschäftigten nicht hinterfragt worden wäre. Im Übrigen habe auch Herr I einen unüblichen Weg für die von ihm gekauften Gegen-stände gewählt. Es habe sich um eine Fluchttreppe gehandelt. Außerdem seien zu der Zeit des Abtransports fast alle Beschäftigten schon auf dem Weg nach Hause gewesen. Die von Herrn D durch seine Bemerkung darüber, dass es richtig viel kosten müsse, geäußerte Blockadehaltung mache deutlich, dass er die absolute Konfrontation suchen werde, wenn ein solches Thema wieder anstehe.
II. Die Beschwerde der Mitarbeitervertretung ist zulässig und begründet.
1) Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 63 Abs. 1 MVG-EKD statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Der Kirchengerichtshof der EKD hat sie zur Ent-scheidung angenommen.
2) Die Beschwerde ist begründet, weil die Anträge der Dienststellenleitung zulässig, aber unbegründet sind.
a) Die Anträge sind zulässig. Die Dienststellenleitung kann die von ihr angestrebten Rechtsschutzziele nur mit den beim Kirchengericht gestellten Anträgen erreichen, für die deshalb das erforderliche Rechtsschutzinteresse besteht.
b) Die Anträge sind unbegründet.
aa) Die Zustimmung der Mitarbeitervertretung zum Ausspruch einer außerordentlichen Kün-digung gegenüber Herrn D ist nicht zu ersetzen, weil die Voraussetzungen, die nach § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung gegeben sein müssen, nicht vorliegen.
Es gelten folgende Grundsätze: Für das Vorliegen eines wichtigen Grundes kommt es darauf an, ob Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer der Kündigenden die Fortsetzung des Dienstverhältnisses unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann. Dazu müssen objektiv Tatsachen gegeben sein, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen und das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belasten. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses muss als nicht zumutbar erscheinen. Dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Die subjektive Bewertung durch die Kündigende ist nicht maßgeblich. Eine verhal-tensbedingte Kündigung setzt ein vertragswidriges Verhalten des Gekündigten voraus. Die Vertragspflichtverletzung muss rechtswidrig und schuldhaft begangen worden sein, wobei Fahrlässigkeit ausreicht (KR-Fischermeier § 626 BGB Rdnr. 144 ff). Vom Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitgeberin begangene Straftaten, insbesondere Diebstähle oder sonstige Ver-mögensdelikte zum Nachteil der Arbeitgeberin, können auch bei einem nur geringen Wert in der Regel eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (KR-Fischermeier § 626 Rdnr. 461 ff). Auch Beleidigungen können geeignet sein, an sich einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen (KR-Fischermeier § 626 BGB Rdnr. 431 ff). Neben der Kündigung wegen einer erwiesenen Vertragspflichtverletzung des Arbeitnehmers ist auch eine Kündigung wegen des Verdachts einer Vertragspflichtverletzung, insbesondere einer Straftat, möglich. Voraussetzung ist, dass der Verdacht objektiv durch bestimmte, im Zeitpunkt der Kündigung vorliegende Tatsachen begründet ist, wobei eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen muss, dass der Gekündigte eine Straftat oder Pflichtverletzung begangen hat. Darüber hinaus muss die strafbare Handlung oder die Vertragspflichtverletzung, derer der Gekündigte ver-dächtigt ist, schwerwiegend sein. Vor dem Ausspruch einer Verdachtskündigung muss die Arbeitgeberin alle zumutbaren Maßnahmen unternommen haben, um den Sachverhalt aufzu-klären, insbesondere den Arbeitnehmer zu dem Verdacht anhören (KR-Fischermeier § 626 BGB Rdnr.227 ff). Bei einer außerordentlichen Kündigung wegen eines Verstoßes gegen Ver-tragspflichten ist die Kündigung regelmäßig erst nach erfolgloser Abmahnung zulässig, § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB. Dieses gilt nach § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 323 Abs. 2 Ziffern 1 und 3 BGB nicht, wenn der Arbeitnehmer die vertragsgemäße Leistung ernsthaft und endgültig verweigert oder besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen. Ist an sich ein Grund für eine außeror-dentliche Kündigung gegeben, ist mit einer umfassenden Interessenabwägung unter Berück-sichtigung aller in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalles zu prüfen, ob die Kündi-gung wirksam ist (KR-Fischermeier, § 626 BGB Rdnr. 250 ff). Zu den zu berücksichtigenden Umständen gehören insbesondere das Lebensalter, die Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers und die wirtschaftliche Lage des Unternehmens.
Soweit Herr D auf den Hinweis von Herrn E geäußert hat, dass die meisten Beschäftigten die Unterweisung gar nicht verstünden, liegt eine Vertragspflichtverletzung nicht vor. Es handelt sich um eine Meinungsäußerung von Herrn D, die möglicherweise deutlich macht, dass er seine arbeitsvertragliche Aufgabe als Gruppenleiter nicht richtig versteht, aber arbeitsvertraglich nicht verboten ist. Diese Meinung darf Herr D vertreten und müsste seinerseits dann dazu angeleitet werden, wie er die Unterweisungen in verständlicher Form erteilen kann,
Soweit Herr D dem Beschäftigten über den Bauch streichelte und dabei bemerkte, dass das Essen das Wichtigste für die Beschäftigen sei, dürfte eine Pflichtverletzung von Herrn D gege-ben sein, weil dieses Verhalten und die Bemerkung zeigen, dass er den Beschäftigten nicht mit dem erforderlichen Respekt und mit der erforderlichen Achtung ihrer Menschenwürde und Persönlichkeit entgegentritt. Dieses dürfte aber zu seinen arbeitsvertraglichen Pflichten als Gruppenleiter gehören. Ob insoweit eine Pflichtverletzung gegeben ist, kann aber dahingestellt bleiben, weil sie weder schwerwiegend genug wäre, um an sich eine außerordentliche Kündi-gung begründen zu können, noch eine Abmahnung entbehrlich wäre. Weder hat Herr D die vertragsgemäße Leistung insoweit ernsthaft und endgültig verweigert oder noch liegen beson-dere Umstände vor, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen
Die Bemerkung von Herrn D, dass „es“ richtig viel kosten müsse, damit „die H“ das endlich lerne und so etwas nie wieder versuche, ist an sich als Grund für eine außerordentliche Kündigung nicht geeignet. Soweit damit die Auffassung zum Ausdruck gebracht wird, dass das kaufmännische Vorstandsmitglied wegen der Kosten eines Mitbestimmungsverfahrens lernen solle, dass es sich nicht lohne, eine Kündigung gegen den Willen der Mitarbeitervertretung aussprechen zu wollen, ist dieses eine zulässige Auffassung, die in nicht gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstößt. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob es sich nicht sowieso um eine Äußerung handelte, die Herr D als Vorsitzender der Mitarbeitervertretung getätigt hat, so dass sie als Arbeitspflichtverletzung nicht berücksichtigt werden dürfte. Soweit Herr D das Vor-standmitglied als „die H“ bezeichnete, entspricht dieses sicher nicht üblicher Höflichkeit und bringt zum Ausdruck, dass Herr D dieses Vorstandsmitglied nicht besonders schätzt. Allerdings ist eine solche Wortwahl noch keine Äußerung der Nicht-Achtung oder gar Missachtung, die als Beleidigung gewertet werden könnte.
Keine Beleidigung ist ferner, dass Herr D Herr I in der SMS fragte, ob dumme Fragen gestellt worden seien. Es ist nicht einmal ersichtlich, dass sich diese Frage auf das theologische Vorstandsmitglied Frau J beziehen sollte. Selbst wenn das aber der Fall sein sollte, wäre es keine Äußerung der Nicht-Achtung und Missachtung, weil damit nicht unterstellt wird, dass Fragen von Frau J „dumm“ seien. Vielmehr will Herr D nur wissen, ob es solche Fragen gegeben habe. Dass er es für möglich hielt, dass Frau J dumme Fragen gestellt haben könnte, ist nicht ehrverletzend. Dumme Fragen kann in jedwedem Zusammenhang jeder Mensch stellen, auch ein Vorstandsmitglied.
Ein Grund für eine außerordentliche Kündigung ergibt sich nicht aus der Überlassung der Fil-terrolle an Herrn I. Insoweit kommt es nur darauf an, ob die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung gegeben sind. Das ist nicht der Fall.
Für die Kündigung müssen die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung gegeben sein, während die Voraussetzungen für eine Kündigung wegen einer begangenen Pflichtverlet-zung/Straftat nicht zu prüfen sind. Die Dienststellenleitung hat die Mitarbeitervertretung nämlich insoweit nur zu einer Kündigung wegen eines „erhärteten“ Verdachts angehört. Es kann dahingestellt bleiben, was mit einem erhärteten Verdacht gemeint ist. Jedenfalls ist damit keine Kündigung wegen einer begangenen Pflichtverletzung/Straftat gemeint. An diesem Prüfungsmaßstab für den Kündigungsgrund ändert sich auch dann nichts, wenn im Laufe des Verfahrens sich der Verdacht so weit verdichtet haben sollte, dass von einer begangenen Pflichtver-letzung/Straftat ausgegangen werden könnte. Zwar ist es möglich, dass sich im Verlaufe des Kündigungsschutzprozesses ein Verdacht so verstärkt, dass von einer Begehung der Tat auszugehen ist. Das gilt aber nicht für das Verfahren für die Ersetzung der Zustimmung der Mitar-beitervertretung. Wenn sich hier der Kündigungsgrund ändert, muss zunächst die Mitarbeiter-vertretung erneut beteiligt werden, bevor dieses im Gerichtsverfahren über die Ersetzung der Zustimmung berücksichtigt werden kann. Das eine solche erneute Beteiligung zu einer Kündigung wegen einer begangenen Tat hier erfolgt ist, ist nicht ersichtlich. Entbehrlich ist eine solche erneute Beteiligung nur dann, wenn der Mitarbeitervertretung bei der ursprünglichen Anhörung schon alle maßgeblichen Tatsachen mitgeteilt worden sind (KR-Rinck, § 102 BetrVG Rdnr. 243 ff).
Die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung sind nicht gegeben. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass Herr D die Straftat oder Pflicht-verletzung begangen hat und ob diese schwerwiegend ist. Jedenfalls ist bei einer Interessen-abwägung wegen einer Verdachtskündigung zu berücksichtigen, dass diese wegen des blo-ßen Verdachts erfolgt und damit nicht wegen eines Verhaltens. Es muss der Makel des Ver-dachts sein, der so schwer wiegt, dass der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der normalen Kündigungsfrist - wenn sie denn anwendbar wäre - unzu-mutbar macht. Das ist hier angesichts der ungestörten Dauer des Arbeitsverhältnisses und des Alters von Herrn D nicht der Fall. Sicher berechtigt beides Herrn D nicht, sich an Eigentumsgegenständen der Beklagten zu vergreifen. Es geht aber hier auch nur um den Verdacht einer derartigen Pflichtverletzung, bei dem der Arbeitgeberseite eine größere Zurückhaltung zuzumuten ist als bei einer begangenen Pflichtverletzung. Zugunsten der Dienststellenleitung kann ferner kein besonderer Wert der Rolle berücksichtigt werden, weil dieser nicht in das Verfahren eingebracht wurde. Es ist nicht bekannt, ob es sich um eine ganze Rolle oder nur Teile einer ganzen Rolle handelte. Bekannt ist dagegen, dass das Filtermaterial auf der Rolle fehlerhaft war, so dass die Dienststelle einen Anspruch auf Übersendung einer neuen Rolle gegen die Lieferantin gehabt hätte. Welchen Wert die restliche Verwertungsmöglichkeit der Rolle gehabt hätte, wenn die noch nutzbaren Stellen aus der Rolle verwendet worden wären, ist ebenfalls nicht bekannt. Ebenfalls nicht bekannt ist, ob die Rolle mit welcher Menge von Filtermaterial auch immer sich bei den zu entsorgenden Materialien befand, so dass Herr D möglicherweise davon ausgehen konnte, dass sie für die Dienststelle überhaupt keinen Wert mehr haben wür-de. Jedenfalls für eine Verdachtskündigung sind dieses Umstände, die bei der Interessenab-wägung zu berücksichtigen sind, weil es einen Unterschied darstellt, ob der Verdacht einer wissentlichen Vermögensschädigung besteht oder ob sich der Verdacht nur darauf bezieht, dass der Arbeitnehmer der Dienststelle Eigentum entziehen wollte, von dem er annahm, dass es wertlos für die Dienststelle sei. Soweit die Dienststellenleitung insoweit mit einem Gespräch zwischen Herrn E und Herrn D im Juli 2018 darlegt, dass dem Kläger hätte klar sein müssen, das Material nur insoweit hätte entsorgt werden dürfen, als es überhaupt nicht mehr brauchbar sei, soll sich dieses aus dem nach dem Vortrag der Dienststellenleitung unausgesprochenem Teil der Unterhaltung ergeben haben. Das ist aber gerade nicht ausreichend, um die erforderliche Klarheit zu schaffen. Auch wegen dieser Unklarheit kann nicht angenommen werden, dass das Interesse der Dienststellenleitung am Ausspruch der außerordentlichen Kündigung das Interesse von Herrn D an deren Vermeidung übersteigt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob sich im Verfahren der Verdacht so erwiesen hat, dass von einer begangenen Pflichtverletzung ausgegangen werden kann. Die Mitarbeitervertretung ist insoweit nicht von den hierfür maßgeblichen Tatsachen unterrichtet worden. Weder ist sie über die Art der Beschädigung der Rolle noch über die Tatsache, wann und wie Herr D von Herrn E über den Umgang mit fehlerhaftem Material unterrichtet worden sein soll, informiert worden.
bb) Der Antrag der Dienststellenleitung, Herrn D aus der Mitarbeitervertretung auszuschlie-ßen, ist unbegründet. Voraussetzung für einen Ausschluss ist nach § 17 MVG ein grober Missbrauch von Befugnissen oder eine grobe Pflichtverletzung. Beides ist nicht ersichtlich. Insbesondere liegt weder ein Missbrauch von Befugnissen noch eine Pflichtverletzung vor, wenn Herr D es gut findet, dass es „richtig viel Geld kostet“, wenn sich die Dienststellenleitung entgegen der Ansicht der Mitarbeitervertretung zu einer Kündigung entschließt. Dieses offenbart eine Meinung und ist weder ein Missbrauch noch eine Pflichtverletzung. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass die Mitarbeitervertretung die Zustimmung zur Kündigung von Herrn G missbräuchlich verweigert hat oder sich Herr D missbräuchlich für eine derartige Ver-weigerung der Zustimmung eingesetzt hat. Die Äußerung einer Meinung dazu, dass es Kosten verursacht, wenn die Mitarbeitervertretung die Zustimmung zu einer Kündigung nicht erteilt hat, ist in keinerlei Hinsicht eine Pflichtverletzung oder ein Missbrauch von Befugnissen.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).