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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:15.04.2013
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/U35-12
Rechtsgrundlage:MVG.K § 40 Nr. 16; AVR.DW.EKD Anlage 14 Ziffer 4
Vorinstanzen:Schiedsstelle der Konföderation ev. Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe - Kammer Diakonisches Werk Hannovers
Schlagworte:Streichung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung
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Leitsatz:

1. Ein an das Kirchengericht gerichteter Antrag der Mitarbeitervertretung auf Feststellung, dass die Streichung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung nach Ziffer 4 der An-lage 14 AVR.DW.EKD unwirksam ist, ist unzulässig.
2. Die Mitarbeitervertretung hat kein Mitbestimmungsrecht beim Entfallen der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung nach Ziffer 4 der Anlage 14 AVR.DW.EKD. Das gilt auch dann, wenn in der Einrichtung nicht nur die AVR.DW.EKD, sondern auch noch eine weitere Arbeitsvertragsgrundlage angewendet wird.

Tenor:

Die Beschwerde der Mitarbeitervertretung gegen den Beschluss der Schiedsstelle der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe - Kammer Diakonisches Werk Hannovers - vom 8. Oktober 2012, 4 VR MVG 21/12, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten sich darum, ob die Mitarbeitervertretung ein Mitbestimmungsrecht bei der Streichung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung hat.
Die Dienststelle ist Mitglied im Diakonischen Werk der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers e.V. und beschäftigt etwa 250 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In den Arbeitsverträgen mit den nicht-ärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Geltung der Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen, die dem Diakonischen Werk der EKD angeschlossen sind (AVR.DW.EKD) vereinbart, in den Arbeitsverträgen mit den Ärztinnen und Ärzten wird auf die Tarifverträge mit dem Marburger Bund verwiesen.
Im Jahre 2011 erzielte die Dienststelle ein negatives betriebliches Ergebnis von € 2.596.531,52.
Sie teilte der Mitarbeitervertretung mit Schreiben vom 12. April 2012 mit, dass die Zahlung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung für das Jahr 2011 aufgrund der wirtschaftlichen Situation nach Anlage 14 der AVR.DW.EKD ausgesetzt werden solle. Am 4. Juni 2012 erläuterte die Dienststellenleitung der Mitarbeitervertretung den vorläufigen Jahresabschluss 2011. Eine Auszahlung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung unterblieb. Ein Testat lag am 14. Juni 2012 nicht vor. Der endgültige Jahresabschluss wurde der Mitarbeitervertretung am 19. September 2012 ausgehändigt.
Die Mitarbeitervertretung hat die Auffassung vertreten, dass sie bei der Streichung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung mitzubestimmen habe.
Die Mitarbeitervertretung hat beantragt,
festzustellen, dass die Dienststellenleitung mit der Streichung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung für das Jahr 2011 ("Sommergeld") für einen Teil der Beschäftigten der Dienststelle das Mitbestimmungsrecht der Antragstellerin verletzt und diese Maßnahme unwirksam ist.
Die Dienststellenleitung hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Schiedsstelle der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe - Kammer Diakonisches Werk Hannovers - hat den Antrag der Mitarbeitervertretung mit Beschluss vom 8. Oktober 2012 zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten des Beschlusses wird auf Bl. 52 bis 54 der erstinstanzlichen Akte verwiesen. Gegen diesen Beschluss, der der Mitarbeitervertretung am 7. November 2012 zugestellt wurde, hat diese mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2012, beim Kirchengerichtshof der EKD eingegangen am selben Tage, Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 7. Januar 2013, beim Kirchengerichtshof der EKD eingegangen am selben Tage, begründet. Der Kirchengerichtshof der EKD hat die Beschwerde mit Beschluss vom 25. Januar 2013 zur Entscheidung angenommen.
Die Mitarbeitervertretung meint, dass durch die Streichung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung das Mitbestimmungsrecht nach § 40 Nr. 16 MVG.K verletzt worden sei. Die Dienststellenleitung dürfe nicht frei darüber entscheiden, ob die zweite Hälfte der Jahressonderzahlung gestrichen werde. Die Mitarbeitervertretung habe die Aufgabe, auf die Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorschriften zu achten. Hierzu gehöre es, dass sie prüfen müsse, ob die Voraussetzungen für eine Streichung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung vorlägen.
Die Mitarbeitervertretung beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses der Schiedsstelle der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe - Kammer Diakonisches Werk Hannovers - vom 8. Oktober 2012 (4 VR MVG 21/12) festzustellen, dass die Dienststellenleitung mit der Streichung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung für das Jahr 2011 ("Sommergeld") für einen Teil der Beschäftigten der Dienststelle das Mitbestimmungsrecht der Antragstellerin verletzt hat und diese Maßnahme unwirksam ist.
Die Dienststellenleitung beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie ist der Meinung, dass kein Mitbestimmungsrecht bestehe. Soweit die Mitarbeitervertretung die Feststellung verlange, dass die Streichung unwirksam sei, fehle es an einem Feststellungsinteresse, weil insoweit nur Interessen der Beschäftigten betroffen seien. Bei der Streichung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung handele es sich nicht um betriebliche Lohngestaltung.
II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Beschwerde ist nach § 63 Abs. 1 MVG.EKD statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Der Kirchengerichtshof der EKD hat sie zur Entscheidung angenommen.
2. Die Beschwerde ist unbegründet, weil der Antrag der Mitarbeitervertretung zum Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet ist.
a) Der Antrag der Mitarbeitervertretung ist zulässig, soweit damit die Feststellung verlangt wird, dass die Dienststelle bei der Streichung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung das Mitbestimmungsrecht der Antragstellerin verletzt hat, nicht jedoch, soweit darüber hinaus die Feststellung begehrt wird, dass die Maßnahme unwirksam ist.
Für den Antrag auf Feststellung der Verletzung eines Mitbestimmungsrechts liegen die Voraussetzungen für einen Feststellungsantrag vor. Diese sind gegeben, wenn die begehrte Feststellung auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses oder einzelner Berechtigungen aus einem Rechtsverhältnis gerichtet ist. Dazu gehört auch der Streit um das Bestehen oder Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts an einer Maßnahme (Schwab/Weth/Weth, ArbGG, § 81 Rn. 27, 29). Das erforderliche Feststellungsinteresse setzt voraus, dass die zu klärende Frage noch tatsächliche Bedeutung für die Zukunft haben kann. Handelt es sich um eine in der Vergangenheit bereits abgeschlossene Maßnahme, besteht kein Feststellungsinteresse mehr, hierfür noch zu klären, ob ein Mitbestimmungsrecht bestanden hätte. Vielmehr müsste der Antrag dann auf gleichartige in der Zukunft zu erwartende Fälle gerichtet sein (Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge/Matthes, ArbGG, § 81 Rn. 25). Diesen Anforderungen genügt der Antrag der Mitarbeitervertretung. Bei ihm geht es trotz der anderslautenden Formulierung des Antrags um die Feststellung, dass die Mitarbeitervertretung ein von der Dienststelle zu beachtendes Mitbestimmungsrecht bei der Streichung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung hat, und nicht um die bloße Tatsachenfeststellung, ob die Dienststelle ein solches Mitbestimmungsrecht verletzt hat. Zwar beschränkt sich der Antrag auf die letztgenannte Tatsachenfeststellung. Ein Antrag ist aber der Auslegung fähig und bedürftig (Baumbach u.a., ZPO, § 253, Rn. 40). Maßstab der Auslegung ist dasjenige, was vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (Baumbach u.a., ZPO, vor § 128, Rn. 52). Hiervon ausgehend kann nicht angenommen werden, dass es der Mitarbeitervertretung um eine bloße Feststellung einer Verletzung ihres Mitbestimmungsrechtes geht, sondern um die Feststellung des Mitbestimmungsrechts. Die Feststellung einer in der Vergangenheit liegenden Pflichtverletzung ist nämlich ohne weitere Auswirkungen auf die Gegenwart oder Zukunft, während das Bestehen eines Mitbestimmungsrechtes Auswirkungen auf die Maßnahme selbst und die Praxis der Beteiligten haben kann. Bei diesem Verständnis liegt das erforderliche Feststellungsinteresse vor. Wenn nämlich ein Mitbestimmungsrecht bestehen sollte, hätte es die Dienststelle mit der Folge nicht beachtet, dass die Mitarbeitervertretung noch zu beteiligen sein und in Wahrnehmung ihrer Rechte die Entscheidung der Dienststelle verhindern oder ändern könnte. Es geht damit nicht nur um eine in der Vergangenheit abgeschlossene und unabänderliche Maßnahme.
Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, soweit die Mitarbeitervertretung verlangt, dass die Maßnahme unwirksam ist. Für eine solche Unwirksamkeit kann es viele Gründe geben, die unabhängig vom Bestehen eines Mitbestimmungsrechts der Mitarbeitervertretung sind, insbesondere kann sie sich daraus ergeben, dass die Voraussetzungen für die Streichung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung nach § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD oder der Anlage 14 AVR.DW.EKD nicht gegeben sind. Das hätte aber nichts mit dem Rechtsverhältnis zwischen der Mitarbeitervertretung und der Dienststelle zu tun, sondern ginge weit darüber hinaus. Folglich geht es in dem Antrag der Mitarbeitervertretung insoweit nicht um ein Rechtsverhältnis mit der Dienststelle. Vielmehr betrifft er die Unwirksamkeit einer Maßnahme, die außerhalb dieses Rechtsverhältnisses steht.
b) Soweit der Antrag zulässig ist, ist er unbegründet. Die Mitarbeitervertretung hat kein Mitbestimmungsrecht bei der Streichung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung nach § 40 Nr. 16 MVG.K. Ein solches Mitbestimmungsrecht besteht nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Norm nur, soweit diese Fragen nicht auf anderem Wege abschließend geregelt worden sind. Das ist hier der Fall. Die Regelung in Ziffer 4 der Anlage 14 AVR.DW.EKD sieht vor, dass der Anspruch auf die Zahlung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung in dem Maße, in dem die Reduzierung in Summe zu einem ausgeglichenen Ergebnis führt, entfällt, wenn die Dienstgeberin bzw. der Dienstgeber nachweist, dass bei voller Juni-Zahlung der anteiligen Bruttopersonalkosten der Jahressonderzahlung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein negatives betriebliches Ergebnis im Vorjahr (Wirtschaftsjahr der geleisteten Novemberzahlung) vorliegen würde. Dabei gilt der Nachweis als erbracht, wenn die Dienststellenleitung der Mitarbeitervertretung ein Testat eines vereidigten Wirtschaftsprüfers oder einer Treuhandstelle vorlegt, aus dem sich der Umfang des negativen betrieblichen Ergebnisses und die Summe der regulären betrieblichen Juni-Zahlung ergeben. Das ist eine vollständige und abschließende Regelung für die Streichung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung, die kein Mitbestimmungsrecht für die Mitarbeitervertretung eröffnet. Die einzigen Entscheidungen, an denen die Mitarbeitervertretung in diesem Zusammenhang teilhaben könnte, wäre die Willensbildung der Dienststelle, sich auf Ziffer 4 der Anlage 14 AVR.DW.EKD zu berufen, und die Auftragserteilung für ein Testat. Eine Teilhabe an diesen Entscheidungen der Dienststelle gehört aber nicht zu dem Anwendungsbereich von § 40 Nr. 16 MVG.K. Regelungsgehalt von Ziffer 4 der Anlage 14 AVR.DW.EKD ist nämlich nicht, dass eine Arbeitgeberin nicht zu zahlen braucht, wenn sie nicht will. Vielmehr wird darin geregelt, dass der Anspruch auf die zweite Hälfte der Jahressonderzahlung bei einem negativen Ergebnis ganz oder teilweise entfällt. Die Dienstgeberin gewinnt insoweit nur Bedeutung, als sie dieses Entfallen des Anspruchs auf einem bestimmten Wege nachweisen muss. Nicht eine Willensentschließung der Dienstgeberin lässt damit den Anspruch entfallen, sondern das negative wirtschaftliche Ergebnis. Daran kann es kein Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung geben. Soweit der Kirchengerichtshof der EKD in seinem Beschluss vom 20. April 2009 (I-0124/R11-09 - www.kirchenrecht-ekd.de) von einem Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung ausgeht, handelt es sich um die gänzlich andere Rechtslage nach § 24 Abs. 4 AVR.K, in dem im Gegensatz zu Anlage 14 AVR.DW.EKD eine Beteiligung der Mitarbeitervertretung jedenfalls beim Nachweis des wirtschaftlichen Ergebnisses vorgesehen ist.
Um eine Frage der betrieblichen Lohngestaltung nach § 40 Nr. 16 MVG.K handelt es sich auch nicht deshalb, weil nur für die den AVR.DW.EKD unterfallenden Beschäftigen eine solche Kürzung vorgesehen ist, nicht aber für das ärztliche Personal, für das die Tarifverträge für den Marburger Bund gelten. Dieser Umstand ändert zum einen nichts daran, dass Ziffer 4 der Anlage 14 AVR.DW.EKD kein Raum für ein Mitbestimmungsrecht auslöst. Zum anderen ergibt sich aus ihm auch keine andere Maßnahme, die als Regelung einer Frage der Lohngestaltung anzusehen sein könnte. Die Dienststelle hat sich nicht "entschieden", die beiden Beschäftigtengruppen bei der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung unterschiedlich zu behandeln, sondern sie hat nur von einer Berechtigung Gebrauch gemacht, die ihr nur bei einer Beschäftigtengruppe eingeräumt ist. Ob die Voraussetzungen für eine Abweichungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD gegeben sind, unterliegt ebenfalls nicht dem Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung, weil diese Voraussetzungen dort abschließend geregelt sind.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).