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Kirchengericht:Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:27.04.1995
Aktenzeichen:VerwG.EKD 0124/5-95
Rechtsgrundlage:
Vorinstanzen:Schlichtungsstelle DW der Ev. Kirche von Westfalen, Az.: 2 M 63/94; Fundstellen: Die Mitarbeitervertretung 1/96 S. 38; Rechtsprechungsbeilage zum Amtsblatt der EKD 1996 S. 23
Schlagworte:Beteiligung der MAV bei außerordentlichen Kündigungen, , Fristen des § 45 MVG.EKD
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Leitsatz:

1. Auch bei einem falsch berechneten Fristablauf wird die rechte Frist in Lauf gesetzt. Für die Rechtswirksamkeit der Maßnahme einer Dienststellenleitung ist die Wahrung des richtigen Fristablaufzeitpuktes maßgebend.
2. Beim Zugangszeitpunkt einer fristgebundenen Erklärung an den Dienstgeber ist zu beachten, daß eine Stellungnahme dem Dienstgeber im Normalfall nicht mehr nach Dienstschluß zugeht.
3. Im Fall einer knapp werdenden Frist vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung dürfen an die Pflicht der Dienststellenleitung zur schriftlichen Begründung einer abweichenden Entscheidung i.S.v. § 45 Abs. 1 S. 8 MVG.EKD keine strengen Maßstäbe angelegt werden.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Dienststellenleitung wird der Beschluß der Schlichtungsstelle des Diakonischen Werks der Ev. Kirche von Westfalen vom 19. Dezember 1994 - 2 M 63/94 - aufgehoben.
Der Antrag der Mitarbeitervertretung wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, ob die Mitarbeitervertretung bei der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Lehrers ordnungsgemäß beteiligt worden ist.
Bei der Antragsgegnerin ist an der Realschule der Lehrer C beschäftigt. Dieser wurde am 9. Juni 1994 von Vertretern der Antragsgegnerin und im Beisein des Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung zu dem von den Eltern einer Schülerin erhobenen Vorwurf angehört, er habe die Grenzen seiner pädagogischen Fürsorgepflicht gegenüber der Schülerin bei weitem überschritten. Als Beweis wurden dafür angeführt: häufiges Zusammensein des Lehrers mit der Schülerin außerhalb des schulischen Kontextes; Besuche der Schülerin in der Wohnung des Lehrers; ein Brief des Lehrers an die Schülerin unter falschem Namen, der als Liebesbrief zu bezeichnen sei. Nach dem bei der Anhörung gefertigten Protokoll verpflichtete der Lehrer sich, das private Verhältnis zu der Schülerin umgehend zu beenden. Ihm wurde von der Antragsgegnerin unter dem 21. Juni 1994 wegen seines Verhaltens eine schriftliche Abmahnung erteilt.
Am 18. August 1994 sagte die Schülerin in einem Gespräch im Schulleiterbüro aus, sie habe entgegen ihrer bisherigen Darstellung sexuelle Kontakte mit dem Lehrer in Form von Petting gehabt. Am 19. August wurde dem Lehrer die Aussage der Schülerin vorgehalten. Er bestritt die Richtigkeit der Aussage. Am 25. August kam es zu einer weiteren Anhörung des Lehrers, bei der auch sein Prozeßbevollmächtigter anwesend war. Der pädagogische Vorstand der Antragsgegnerin teilte dem Lehrer laut Anhörungsprotokoll vom 25. August mit, der Schulträger beabsichtigte aufgrund des derzeitigen Erkenntnisstandes, Strafanzeige gegen ihn zu erstatten und gegebenenfalls eine fristlose Kündigung auszusprechen. Weiter ist in dem Anhörungsprotokoll vermerkt, der Mitarbeitervertretung werde eine Erklärungsfrist bis Montag, den 29. August, 12 Uhr eingeräumt.
Der Vorsitzende der Mitarbeitervertretung wurde am 26. August 1994 über den aktuellen Stand der Ermittlungen unterrichtet und auf die im Protokoll vom 25. August genannte Absicht (Anzeige und fristlose Kündigung) hingewiesen.
Die Mitarbeitervertretung gab unter dem 31. August 1994 - datiert auf 17 Uhr - eine "Vorläufige Stellungnahme zur fristlosen Kündigung" des Lehrers ab. Darin ist unter anderem ausgeführt, bei dem Vorwurf, der Lehrer habe sexuelle Beziehungen zu der Schülerin unterhalten, handele es sich nur um eine Vermutung, eine fristlose Kündigung müsse aber durch Tatsachen begründet werden; weiter solle die Personalakte des Lehrers eingesehen werden; die Mitarbeitervertretung behalte sich weitere Ausführungen vor.
Diese Stellungnahme wurde vom Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung - nach seiner Darstellung - um 17.30 bis 17.45 Uhr persönlich dem Schulrektor im Schulbüro übergeben. Dieser hat, wie in der Verhandlung vor der Kammer unstreitig geworden ist, vom Inhalt der Stellungnahme Kenntnis genommen und erklärt: "Wir werden trotzdem kündigen!"
Eine schriftliche fristlose Kündigung - datierend vom 31. August 1994 - wurde nach der schriftlichen Erklärung des Schulrektors und eines weiteren Mitarbeiters der Antragsgegnerin am 31. August 1994 um 17.50 Uhr in den Wohnungsbriefkasten des Lehrers eingeworfen, nachdem auf Klingeln nicht geöffnet worden war.
Die Mitarbeitervertretung hat geltend gemacht, sie sei bei der fristlosen Kündigung des Lehrers nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Sie hat beantragt festzustellen, daß ihr Mitberatungsrecht gemäß § 46 b MVG verletzt worden ist. Die Dienststellenleitung hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Die Schlichtungsstelle des Diakonischen Werkes der EKvW in Münster (Westfalen) hat durch Spruch vom 19. Dezember 1994 festgestellt, daß das Mitberatungsrecht der Mitarbeitervertretung gemäß § 46 b MVG verletzt worden sei.
Dagegen hat die Antragsgegnerin rechtzeitig Rechtsmittel eingelegt. Sie beantragt,
1. den Schiedsspruch der beteiligten Schlichtungsstelle vom 19. Dezember 1994 aufzuheben
und
2. festzustellen, daß sie die Pflichten aus der Mitberatung bei der außerordentlichen Kündigung des Lehrers vom 31. August 1994 gegenüber der Antragstellerin nach Sinn und Zweck erfüllt habe.
Die Antragstellerin beantragt,
das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Sie vertritt weiterhin die Auffassung, daß ihre Mitberatungsrechte von der Antragsgegnerin verletzt worden seien.
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den von ihnen in der Verhandlung vor der Kammer vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze Bezug genommen.
II. Das Rechtsmittel der Antragsgegnerin ist an sich statthaft (§ 63 Abs. 1 Buchst. b MVG), es ist weiter frist- und formgerecht (§ 63 Abs. 3 MVG) eingelegt worden und damit zulässig. Es ist auch in der Sache begründet. Die Antragsgegnerin hat die Rechte der Mitarbeitervertretung nicht in rechtserheblicher Weise verletzt.
1.) Nach § 46 Buchst. b MVG hat die Mitarbeitervertretung bei der außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ein Mitberatungsrecht. In den Fällen der Mitberatung ist der Mitarbeitervertretung eine beabsichtigte Maßnahme rechtzeitig vor der Durchführung bekanntzugeben und auf Verlangen mit ihr zu erörtern (§ 45 Abs. 1 Satz 1 MVG). Die Mitarbeitervertretung kann die Erörterung nur innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der beabsichtigten Maßnahme verlangen. Bei einer beabsichtigten fristlosen Kündigung kann die Dienststellenleitung die Frist bis auf drei Arbeitstage verkürzen (§ 45 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 MVG). Im Falle einer Nichteinigung hat die Dienststellenleitung oder die Mitarbeitervertretung schriftlich zu begründen (§ 45 Abs. 1 Satz 7 und Satz 8 MVG). Wird die Mitarbeitervertretung nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise beteiligt, ist die betreffende Maßnahme des Dienstgebers unwirksam (§ 45 Abs. 2 Satz 1 MVG).
2. a) Die Dienststellenleitung beabsichtigt die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Lehrers. Nach § 626 Abs. 2 BGB kann eine solche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. In der Regel muß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über den Vorfall, der zur Kündigung führen soll, anhören. Das Ergebnis der Anhörung ist für den Lauf der Frist jedoch nicht von Bedeutung. Die Anhörung des Arbeitnehmers wirkt nur dann fristhemmend, wenn sie innerhalb kurzer Zeit, die im allgemeinen nicht über eine Woche hinausgehen darf, stattfindet, nachdem der Arbeitgeber den betreffenden Vorgang kennt (BAGE 24, 341 = AP Nr. 3 zu § 626 BGB Ausschlußfrist). Im vorliegenden Fall hatte die Dienststellenleitung den Lehrer bereits am 9. Juni 1994 angehört, wobei allerdings der spezielle Vorwurf, der Lehrer habe sexuelle Beziehungen in Form von Petting mit der Schülerin unterhalten, noch nicht Anhörungsgegenstand war. Von diesem besonderen Vorwurf erfuhr die Dienststellenleitung am 18. August 1994; sie hörte den Lehrer dazu am folgenden Tage an. Bei dieser Sachlage mußte die Dienststellenleitung damit rechnen, daß die Frist zur außerordentlichen Kündigung am 1. September, wegen der Anhörung des Lehrers am folgenden Tage jedoch spätestens am 2. September ablief. Dabei hatte sie weiter zu bedenken, daß der Zugang der Kündigungserklärung (§ 130 BGB) noch innerhalb der Kündigungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sichergestellt werden mußte.
2. b) Soweit die Dienststellenleitung der Mitarbeitervertretung am 25. August 1994 eine Erklärungsfrist bis zum 29. August setzte, hat sie allerdings nicht beachtet, daß die Anhörungsfrist des § 45 Abs. 1 Satz 3 MVG nur auf drei Arbeitstage verkürzt werden darf. Die Fristsetzung als solche wurde dadurch aber nicht einfach unwirksam. Vielmehr wurde hierdurch lediglich die rechte Frist in Lauf gesetzt. Dies folgt daraus, daß die Dienststellenleitung klar zu erkennen gegeben hat, daß sie die vom Gesetz vorgeschriebene Anhörung der Mitarbeitervertretung wahren wollte. Berechnet der Dienstgeber die Anhörungsfrist falsch, geht das zu seinen Lasten. Er handelt dann auf eigenes Risiko. Kündigt er nämlich bereits nach Ablauf der unrichtig berechneten Frist, ist seine Maßnahme unwirksam (§ 45 Abs. 2 MVG). Wartet er dagegen ab bis zum zutreffenden Fristablauf, kann seine Erklärung der Fristverkürzung für sich genommen noch keine Rechtsunwirksamkeit der Maßnahme im Gefolge haben.
Vorliegend hat die Dienststellenleitung den Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung am 26. August über den aktuellen Stand der Ermittlungen unterrichtet und auf die im Protokoll vom 25. August genannte Absicht (Strafanzeige und fristlose Kündigung) hingewiesen. Damit begann die Anhörungsfrist zu laufen. Sie endete am 31. August, weil das Wochenende vom 27. und 28. August keine regelmäßigen Arbeitstage der im Schuldienst Beschäftigten hatte. Die Dienststellenleitung hat auch die beabsichtigte Maßnahme der außerordentlichen Kündigung klar genug bezeichnet. Wenn im Protokoll vom 25. August davon die Rede ist, gegebenenfalls eine fristlose Kündigung auszusprechen, dann wird damit nur zum Ausdruck gebracht, daß die endgültige Willensbildung des Dienstgebers erst nach Anhörung der Mitarbeitervertretung erfolgen solle. Dieses Vorgehen entspricht dem Sinn und Zweck der vom Gesetzgeber bestimmten Anhörung bei der Mitberatung.
2. c) Die Mitarbeitervertretung hatte danach bis zum 31. August 1994 Zeit, ihre Stellungnahme zu fassen und der Dienststellenleitung mitzuteilen. Allerdings lief die Anhörungsfrist nicht erst um Mitternacht dieses Tages ab (§ 188 Abs. 1 BGB), sondern bereits im Zeitpunkt des normalen Dienstschlusses der Dienststellenleitung, also um etwa 17 Uhr. Dies folgt daraus, daß eine Stellungnahme dem Dienstgeber im Normalfall nicht mehr nach Dienstschluß zugeht, auf den Zugang der Erklärung als rechtsgeschäftsähnlicher Handlung aber abgestellt werden muß (vgl. zu diesem für die Praxis sehr wichtigen Gesichtspunkt LAG Hamm, Urteil vom 11. Februar 1992 - 2 Sa 1615/91 = DB 1992, 2640; sowie vor allem die ausführliche Darstellung des Zugangsproblems von Düwell in: Praxishandbuch Arbeitsrecht, Teil 7, Kap. 5.1.6 Seiten 4 ff.).
In der Verhandlung vor der Kammer ist unstreitig geworden, daß der Vorsitzende der Mitarbeitervertretung die Stellungnahme der MAV noch am Nachmittag des 31. August persönlich dem Schulrektor im Schulbüro übergeben hat. Damit waren die Rechte der Mitarbeitervertretung zur Anhörung gewahrt. Eine danach ausgesprochene Kündigung konnte das Anhörungsrecht nicht mehr verletzen. Soweit die Mitarbeitervertretung eine weitere Erörterung und Einsichtnahme in die Personalakte des Lehrers verlangte, brauchte die Dienststellenleitung darauf nicht mehr einzugehen, weil sie alle wesentlichen für die beabsichtigte Kündigung maßgeblichen Tatsachen mitgeteilt hatte. In der Äußerung des Schulrektors "Wir werden trotzdem kündigen." ist gegenüber dem Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung die Erklärung zu sehen, daß die Erörterung als beendet angesehen werde.
3. a) Ob die durch Briefkasteneinwurf abgegebene Kündigungserklärung im Sinne des § 130 BGB zugegangen ist (zur Frage des Zugangs vgl. Palandt, BGB, 54. Aufl., § 130 Rz 5,6), hat für den vorliegenden rein mitarbeitervertretungsrechtlichen Streitfall keine Bedeutung. Jedenfalls wurde die Kündigung "ausgesprochen" im Sinne der Durchführung einer Maßnahme nach § 45 MVG. Denn eine schriftliche Kündigung ist ausgesprochen, wenn sie den Machtbereich des Arbeitgebers verlassen hat, etwa durch Aufgabe zur Post oder durch Aushändigung seitens eines Boten (vgl. BAGE 27, 331 = AP Nr. 7 zu § 102 BetrVG). Hier ist die Kündigungserklärung um 17.50 Uhr im Beisein des Schulrektors in den Briefkasten des Empfängers geworfen worden. Vorher war sie nicht "ausgesprochen", weil der Schulrektor als Vertreter der Dienstgeberseite anzusehen ist und der Kündigungsbrief sich bis zu dem Zeitpunkt des Einwurfs noch in seinem Machtbereich befand.
3. b) Allerdings hat die Dienststellenleitung ihre vom Standpunkt der Mitarbeitervertretung abweichende Entscheidung gegenüber der Mitarbeitervertretung nicht mehr schriftlich vor Ausspruch der Kündigung begründet, wie es § 45 Abs. 1 Satz 8 MVG vorsieht. Das war jedoch aus Zeitgründen nicht mehr möglich, weil die Zweiwochenfrist des § 626 BGB am 1. September, spätestens aber am 2. September ablief. Bis dahin mußte der Zugang des Kündigungsschreibens sichergestellt sein. Am 31. August abends nach Dienstschluß brauchte die Dienststellenleitung sich nicht mehr zu der Stellungnahme der MAV zu äußern. Eine am nächsten Tage (1. September) abgesetzte Stellungnahme wäre bei normalem Ablauf der Mitarbeitervertretung frühestens am selben Tage oder gar erst am 2. September zugegangen. Eine daraufhin im normalen Postverkehr übermittelte Kündigung hätte die Zweiwochenfrist möglicherweise nicht mehr gewahrt. In derartigen Fällen dürfen an die Beachtung der Pflichten der Dienststellenleitung nach § 45 Abs. 1 Satz 8 MVG nicht die gleichen Maßstäbe angelegt werden wie bei den von § 46 MVG sonst aufgezählten, von einer außerordentlichen Kündigung sehr unterschiedlich gelagerten Tatbestandsfällen.