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Kirchengericht:Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:14.05.1998
Aktenzeichen:VerwG.EKD 0124/C1-98
Rechtsgrundlage:MVG.EKD §§ 38, 45, 46, § 61 Abs. 10, § 63 Abs. 1 Buchst. a) und b), VGG.EKD § 13 Abs. 2, §16, VwGO §§ 146, 150, 161 Abs. 2, 101 Abs. 3
Vorinstanzen:Schlichtungsstelle der Ev.-Luth. Landeskirche Mecklenburgs, Az.: 7/97; Fundstellen: Die Mitarbeitervertretung 4/98 S. 188; Rechtsprechungsbeilage zum Amtsblatt der EKD 1999 S. 28; Kirche und Recht 4/98 S. 257
Schlagworte:Unterlassungsanspruch der Mitarbeitervertretung
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Leitsatz:

Bei drohender Verletzung des Mitbestimmungsrechts kann die Mitarbeitervertretung die Schlichtungsstelle anrufen und Unterlassung der mitbestimmungswidrigen Maßnahme verlangen.
Dieser Anspruch kann auch im Verfahren der einstweiligen Anordnung geltend gemacht werden.

Tenor:

Das Verfahren der einstweiligen Anordnung ist in der Hauptsache erledigt.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Gegenstandswert wird auf 4000,- (viertausend) DM festgesetzt.

Gründe:

I. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 24. Dezember 1997 vorgetragen und durch Vorlage von Schriftstücken glaubhaft gemacht: Die Antragsgegnerin habe ihr mit Schreiben vom 19. Dezember 1997 mitgeteilt, sie habe am 18. Dezember beschlossen, Teile der Dienststelle zum 1. Januar 1998 in die Trägerschaft einer gGmbH zu überführen. Dabei würde allen Mitarbeitern ein Übernahmeangebot nach § 613 a BGB unterbreitet; sämtliche Verträge mit Dritten würden übernommen und die Arbeit nach dem vorhandenen Konzept in ungeschmälertem Umfang weitergeführt.
Aufgrund Beschlusses vom 22. Dezember habe die Antragstellerin die Antragsgegnerin aufgefordert, die Angelegenheit mit ihr zu erörtern. Diese Erörterung habe jedoch bisher nicht stattgefunden und könne wegen der wenigen zur Verfügung stehenden Arbeitstage bis zum Jahreswechsel und der Urlaubslage während dieser Zeit auch nicht mehr stattfinden.
Die Antragstellerin hat geltend gemacht, die Entscheidung der Antragsgegnerin unterliege der Mitberatung durch die Mitarbeitervertretung (§ 46 MVG.EKD). Ihr Anspruch auf Mitberatung werde durch das Vorgehen der Antragsgegnerin verletzt.
Die Antragstellerin hat beantragt, wegen Eilbedürftigkeit durch den Vorsitzenden allein im Wege der einstweiligen Anordnung zu beschließen:
1. Der Beschluß der Antragsgegnerin vom 18. Dezember 1997, nach dem Teile der Dienststelle zum 1. Januar 1998 in die Trägerschaft einer gGmbH zu überführen sind, wird ausgesetzt.
2. Die Überführung ist vor ordnungsgemäßer Erörterung und vorheriger umfassender richtiger Information der Antragstellerin durch die Antragsgegnerin zu unterlassen.
Der Vorsitzende der Schlichtungsstelle hat den Antrag durch Beschluß vom 29. Dezember 1997 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Ungeachtet des tatsächlichen Vorbringens der Antragstellerin bestehe keine Rechtsvorschrift, die die beantragte einstweilige Anordnung trage. Die Schlichtungsstelle sei in Fällen, in denen eine notwendige Mitberatung nach § 46 MVG.EKD nicht stattgefunden hat, weder befugt, einen Beschluß der Antragsgegnerin auszusetzen, noch könne sie eine Unterlassung anordnen. Der Schlichtungsstelle obliege in solchen Fällen lediglich die Prüfung und Feststellung, ob die Mitarbeitervertretung ordnungsgemäß beteiligt worden sei. Die Rechtsfolge bei ungenügender oder gänzlich fehlender Beteiligung, die Unwirksamkeit der gleichwohl durchgeführten Maßnahme, ergebe sich unmittelbar kraft Gesetzes und bedürfe keiner Feststellung durch die Schlichtungsstelle.
Diese offenbare Unbegründetheit des Antrags stehe mangels Eilbedürftigkeit grundsätzlich einer Entscheidung im Eilverfahren entgegen. Die von der Antragstellerin begehrte Rechtsfolge könne auch nach Durchführung des ordentlichen Schlichtungsverfahrens noch eintreten. Ein Rechtsnachteil der Antragstellerin durch das unmittelbare Bevorstehen des 1. Januar 1998 sei nicht zu besorgen. Gleichwohl halte die Schlichtungsstelle die Bescheidung des Eilantrags aus Gründen der Rechtssicherheit für die Antragstellerin für angezeigt.
Gegen den Beschluß hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 30. Dezember 1997 Beschwerde eingelegt. Sie macht geltend, für den Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung habe ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vorgelegen.
Sie beantragt,
den Beschluß vom 29. Dezember 1997 aufzuheben und dem Eilantrag stattzugeben.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Die Beschwerde sei unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Die Schlichtungsstelle sei zu Recht davon ausgegangen, daß es für das Begehren der Antragstellerin keine Rechtsgrundlage gebe. Die Antragstellerin nehme zu Unrecht ein Mitberatungsrecht für sich in Anspruch. Die Antragsgegnerin habe ihre Verpflichtungen zu einem etwaigen Mitberatungsrecht bereits erfüllt. Die Antragstellerin habe eine abschließende Erörterung durch ihr Verhalten treuwidrig verhindert.
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten, insbesondere wegen aller Einzelheiten, wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze verwiesen.
Der Vorsitzende der Schlichtungsstelle hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Verwaltungsgericht vorgelegt.
Mit Schriftsatz vom 6. April 1998 teilt die Antragstellerin dem Gericht mit, die Antragsgegnerin habe die Überführung durchgeführt und damit nicht mehr vermeidbare Tatsachen geschaffen. Sie erklärt die Erledigung des Verfahrens.
II. Die Beschwerde der Antragstellerin ist an sich statthaft (§ 63 Abs. 1 Buchst. a) und b) MVG.EKD) und in zulässiger Weise eingelegt worden (§ 61 Abs. 10, § 62 Satz 1 MVG.EKD in Verbindung mit § 146 Abs. 4 VwGO).
Nachdem die Antragstellerin die Erledigung des Anordnungsverfahrens in der Hauptsache angezeigt hat, hat das Verwaltungsgericht nur noch nach § 16 VGG.EKD in Verbindung mit § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden und dabei den Sach und Streitstand zu berücksichtigen.
Allerdings kommt der Kostenentscheidung wegen der Bestimmung des § 13 Abs. 2 VGG.EKD inhaltlich keine verfahrensentscheidende Bedeutung mehr zu. Nach billigem Ermessen mußten der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten schon deshalb auferlegt werden, weil die mit dem Verfahren zusammenhängenden Rechtsfragen, besonders die Frage des Unterlassungsanspruchs der Mitarbeitervertretung bei Verletzung von Beteiligungsrechten, einen erheblichen Schwierigkeitsgrad aufweisen und von daher die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts gerechtfertigt war.
§ 161 Abs. 2 VwGO gibt dem Gericht aber Gelegenheit, sich zu den angesprochenen Rechtsfragen zu äußern. Das könnte für künftige mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten von Bedeutung sein, so daß beide Beteiligten ein rechtliches Interesse an einer fallbezogenen Äußerung des Gerichts haben.
Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD darf eine der Mitbestimmung der Mitarbeitervertretung unterliegende Maßnahme erst dann vollzogen werden, wenn die Zustimmung der Mitarbeitervertretung vorliegt oder durch die Schlichtungsstelle ersetzt worden ist. Im anderen Falle ist die Maßnahme unwirksam (Satz 2). Droht eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts, kann die Mitarbeitervertretung die Schlichtungsstelle anrufen und Unterlassung der mitbestimmungswidrigen Maßnahme verlangen (in Anlehnung an BAG B. v. 3. Mai 1994 - 1 ABR 24/93 - BAGE 76, 364 = AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972, zu B III, mit krit., aber im Ergebnis zust. Anm. von Richardi; vgl. weiter Richardi, NZA 95, 8; vgl. auch Unkel in Fey/Rehren, MVG.EKD (Stand Jan. 1996), § 38 Rn 41 a - c; sowie Baumann-Czichon/Germer, MVG.EKD (1997), § 38 Rn 1). Dieser Anspruch kann auch im Verfahren der einstweiligen Anordnung geltend gemacht werden (vgl. zum BetrVG Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 87 Rn 402, 411; ferner LAG Berlin U. v. 7. September 1995 - 10 TaBV 5/95 - AP Nr. 39 zu § 111 BetrVG 1972).
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 MVG.EKD ist eine der Mitberatung unterliegende Maßnahme unwirksam, wenn die Mitarbeitervertretung nicht nach Absatz 1 beteiligt worden ist. Während die Dienststellenleitung bei mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen nicht ohne Zustimmung der Mitarbeitervertretung (oder Zustimmungsersetzung durch die Schlichtungsstelle) handeln kann, ist die Dienststellenleitung bei mitberatungspflichtigen Maßnahmen nur für die Dauer des Beteiligungsverfahrens an der Durchführung der Maßnahme gehindert (zutr. Baumann-Czichon/Germer, aaO, § 45 Rn 1). Daraus läßt sich aber ebenfalls ein Unterlassungsanspruch der Mitarbeitervertretung jedenfalls für die Dauer des Beteiligungsverfahrens herleiten. Dieser Anspruch richtet sich auf die Sicherung des Mitberatungsrechts.
Von daher betrachtet, hätte die Schlichtungsstelle im vorliegenden Fall die beantragte einstweilige Anordnung - unter Berücksichtigung des bei Antragseingang glaubhaft gemachten Sachverhalts - erlassen können, wobei Fragen aus dem Bereich des § 46 Buchst. a) MVG.EKD in Verbindung mit § 17 Abs. 1 KSchG hier außer Betracht bleiben.
Diese Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 16 VGG.EKD, §§ 146 Abs. 4, 150, 161 Abs. 2, 101 Abs. 3 VwGO). Die Kostenregelung folgt aus § 13 Abs. 2 VGG.EKD, die Festsetzung des Gegenstandswertes aus § 8 Abs. 2 BRAGO (vgl. Streitwertkatalog in Redeker /v.Oertzen, VwGO, 12. Aufl., § 165 Rn 13, 19 I 7).