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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:30.01.2006
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/L39-05
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 50 Abs. 1 , § 14, § 18 Abs. 1, § 16 Abs. 2, ArbGG § 90 Abs. 2, 3, § 83 Abs. 3, 4, § 83a
Vorinstanzen:Kirchengericht des Nordelbischen Diakonischen Werkes e.V. - Kammer Hamburg, Az.: 22-2004-HH, Fundstelle: Die Mitarbeitervertretung 2006, S. 145
Schlagworte:Anfechtung der Wahl der Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
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Leitsatz:

1. Eine gerichtliche Entscheidung, durch die eine mitarbeitervertretungsrechtliche Wahl für unwirksam erklärt wird, wirkt rechtsgestaltend und nur für die Zukunft.
2. Das Rechtsschutzinteresse an der rechtsgestaltenden Entscheidung, durch die eine mitarbeitervertretungsrechtliche Wahl für unwirksam erklärt werden soll, entfällt, wenn sich die angefochtene Wahl z.B. durch Ende des Amtes erledigt hat.

Tenor:

1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Kirchengerichts des Nordelbischen Diakonischen Werkes e.V. - Kammer Hamburg - vom 23. Juni 2005 - 22-2004-HH - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antrag, die Wahl der Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei der Antragstellerin vom 8. Juni 2004 für unwirksam zu erklären, als unzulässig zu-rückgewiesen wird.
2. Der Verfahrenswert zur Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren für den Beschwerderechtszug wird auf 8.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

I. Am 8. Juni 2004 fand bei der antragstellenden Evangelischen Stiftung die Wahl der Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen statt. Der Wahlvorstand sah 688 Personen als wahlberechtigt an, davon waren 135 Personen schwerbehinderte Menschen als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angestellt und 553 Personen Beschäftigte einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Zur Wahl standen zwei Personen. Nach Rücktritt der gewählten Vertrauensperson am 21. Juli 2004 rückte die beteiligte Vertrauensperson nach.
Mit ihrem am 18. Juni 2004 eingereichten Schriftsatz vom 15. Juni 2004 hat die Antragstellerin die Wahl mit der Begründung angefochten, die 553 Beschäftigten in der WfbM seien Rehabilitanden und hätten mangels aktiven Wahlrechts zu Unrecht an der Wahl teilgenommen. Auf den Inhalt ihrer erstinstanzlichen Schriftsätze nebst Anlagen wird Bezug genommen. Sie hat beantragt,
die am 8. Juni 2004 durchgeführte Wahl der Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für unwirksam zu erklären.
Die beteiligte Vertrauensperson hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen, und hat geltend gemacht, die Beschäftigten in der WfbM hätten zu Recht als aktiv Wahlberechtigte an der Wahl teilgenommen. Im Übrigen wird auf den Inhalt ihrer erstinstanzlichen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Kirchengericht hat den Wahlanfechtungsantrag durch seinen Beschluss vom 23. Juni 2005 als unbegründet zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Beschlusses Bezug genommen.
Gegen diesen ihr am 29. Juni 2005 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit ihrem Schriftsatz vom 18. Juli 2005 am 19. Juli 2005 Beschwerde eingelegt und im selben Schriftsatz zur Begründung vorgetragen.
Auf der Grundlage dieses Vortrags hat der Kirchengerichtshof die Beschwerde zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 12. September 2005).
Sodann haben die Beteiligten mitgeteilt: Mit Wirkung vom 1. April 2005 sind aus der Einrichtung Teile abgespalten oder herausgelöst worden. Das Arbeitsverhältnis der beteiligten Vertrauensperson - ist auf die gGmbH D. übergegangen. Die WfbM ist auf die gGmbH E. übergegangen, Rehabilitanden, wie sie in der WfbM beschäftigt werden, sind bei der Antragstellerin nicht (mehr) tätig. Bei der gGmbH E. hat am 30. Juni 2005 eine Wahl der neuen Vertrauensperson für schwerbehinderte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stattgefunden
Die Antragstellerin trägt vor, die beteiligte Vertrauensperson habe die Wahl der Vertrauensperson für schwerbehinderte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vom 30. Juni 2005 bei der gGmbH E. angefochten; das Verfahren sei - unstreitig - vom Kirchengericht (Az.: 68/2005-HH) bis zur Rechtkraft der Entscheidung im vorliegenden Verfahren ausgesetzt. Sie meint unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der Rechtsstreit sei nicht in der Hauptsache erledigt; vielmehr bestehe nach wie vor ein rechtliches Interesse an der beantragten Feststellung. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen vom 18. Juli, 20. Oktober und 17. November 2005 Bezug genommen. Sie beantragt nunmehr,
1. unter Aufhebung des Beschlusses des Kirchengerichts des Nordelbischen Diakonischen Werkes e.V. - Kammer Hamburg - vom 23. Juni 2005 - Az.: 22-2004-HH - die Wahl der Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei der Antragstellerin vom 8. Juni 2004 für unwirksam zu erklären,
2. zusätzlich und hilfsweise als Antragstellerin die gGmbH E. und als "Antragsgegner" die dort gewählte neue Vertrauensperson im Rubrum zu führen,
3. hilfsweise festzustellen, dass die in der Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigten, nicht in einem Arbeitsverhältnis stehenden behinderten Personen nicht zu den Beschäftigten i.S. von § 2 Abs. 1 MVG.EKD gehören und kein aktives und passives Wahlrecht haben.
Die beteiligte Vertrauensperson erklärt
den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt.
Sie trägt vor: Sie habe die Wahl vom 30. Juni 2005 nicht angefochten. Ihr Mandat habe spätestens als Übergangsmandat am 30. September 2005 geendet. Der Antragstellerin stehe kein Rechtsschutzbedürfnis zur Fortführung des Rechtsstreits zur Seite. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze vom 30. September, 18. Oktober, 1. und 28. November 2005 Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II. Über die statthafte und zur Entscheidung angenommene Beschwerde (§ 63 Abs. 2 MVG.EKD, § 1 KGMVG der Nordelbischen Ev. Landeskirche, GVOBl. 2005, S. 7) war mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 90 Abs. 3, § 83 Abs. 4 Satz 3 ArbGG).
Das Verfahren ist nicht schon deshalb entsprechend § 83a ArbGG erledigt, weil die beteiligte Vertrauensperson eine solche Erklärung abgegeben hat. Eine andere Beteiligte als die Antragstellerin kann das Verfahren wirksam nicht für erledigt erklären (Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, § 83a ArbGG Rn. 24). Ein solcher Vortrag gibt jedoch Anlass zu prüfen, ob für den Sachantrag noch ein Rechtsschutzinteresse besteht. Ist dies zu verneinen, und hält die Antragstellerin ihren Antrag gleichwohl aufrecht, so ist der Antrag als unzulässig abzuweisen (vgl. BAG Beschluss vom 23. Januar 1986 - 6 ABR 47/82 - BAGE 51, 29 = NZA 86, 404).
III. Die Beschwerde ist nicht begründet.
1. Der Antrag zu 1, die Wahl vom 8. Juni 2004 für unwirksam zu erklären, ist unzulässig geworden, nachdem das Amt des letzten aus dieser Wahl hervorgegangenen Amtsträgers, nämlich das der beteiligten Vertrauensperson, infolge Übergang ihres Arbeitsverhältnisses am 1. April 2005 auf die gGmbH D." (vgl. § 50 Abs. 2, § 18 Abs. 1 Buchst. d MVG.EKD), spätestens aber mit dem Ende eines eventuell anschließenden Restmandats von längstens sechs Monaten (§ 50 Abs. 2, § 15 Abs. 4 MVG.EKD), mithin spätestens am 30. September 2005 erloschen ist.
a) Gegenstand des Hauptantrags ist allein das Begehren, die in der Einrichtung der Antragstellerin am 8. Juni 2004 durchgeführte Wahl der Vertrauensperson für schwerbehinderte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gem. § 50 Abs. 1, § 14 MVG.EKD für unwirksam zu erklären.
b) In einem mitarbeitervertretungsrechtlichen Wahlanfechtungsverfahren ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen, ob der Wahlanfechtungsantrag, nämlich der Sachantrag, eine bestimmte Wahl für unwirksam zu erklären, (noch) zulässig ist oder ob das notwendige Rechtsschutzinteresse für die begehrte rechtsgestaltende Entscheidung nicht mehr gegeben ist. Erst mit dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, dass die Wahl für unwirksam erklärt wird, tritt diese Wirkung rechtsgestaltend für die Zukunft ein (vgl. BAG 29. Mai 1991 - 7 ABR 67/90 - BAGE 68, 74 = NZA 92, 36). Eine solche rechtsgestaltende Wirkung kann jedoch nicht mehr eintreten, wenn sich die Wahl aus anderen Gründen, vor allem wegen Beendigung der Amtszeit, erledigt hat. Bei der Prüfung, ob das Rechtsschutzinteresse an der Wahlanfechtung noch gegeben ist, muss das Rechtsmittelgericht auch solche Umstände berücksichtigen, die erst während des Rechtsmittelzuges eintreten (vgl. zum Betriebsverfassungsrecht: BAG in ständiger Rechtsprechung, vgl. statt vieler: Beschluss vom 13. März 1991 - 7 ABR 5/90 - NZA 1991, 946 (Wahl einer Jugend- und Auszubildendenvertretung)). Das Rechtsschutzinteresse für eine Wahlanfechtung entfällt dabei mit dem Ablauf der Amtszeit des Gremiums oder des Amtsinhabers, dessen Wahl angefochten wird (BAG a.a.O.; BAG Beschluss vom 13. Mai 1998 - 7 ABR 45/97 - AP Nr. 1 zu § 21 MitbestG). Das Amt der in der angefochtenen Wahl gewählten Vertrauensperson hat mit deren Amtsniederlegung am 21. Juli 2004 geendet, das Amt der für sie nachgerückten Vertrauensperson hat spätestens am 30. September 2004 geendet.
2. Es besteht weder ein Anlass noch eine Rechtsgrundlage dafür, hinsichtlich des Hauptantrags "zusätzlich und hilfsweise" - Hilfsantrag zu 2 - anstelle der Antragsstellerin oder gar zusätzlich nunmehr das Unternehmen D. oder dessen Leitung zu beteiligen, das inzwischen die WfbM führt. Dasselbe gilt hinsichtlich der dort gewählten neuen Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Auch wenn der Senat der Anregung der Antragstellerin folgen wollte, bestünde für den Hauptantrag nicht das notwendige Rechtsschutzinteresse. Denn es geht mit dem Hauptantrag nicht um die dortige Wahl vom 30. Juni 2005, mit der die Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die in der gGmbH E. beschäftigt sind, gewählt wurde, sondern allein um die Anfechtbarkeit der Wahl der Vertrauensperson bzw. der nachgerückten Vertrauensperson bei der Antragstellerin vom 8. Juni 2004. Die Tatsache, dass in beiden Wahlanfechtungsverfahren die Frage des Wahlrechts schwerbehinderter Rehabilitanden Thema ist, ändert hieran nichts. Die Hinweise der Antragstellerin auf die Entscheidungen des BAG vom 22. März 2000 - 7 ABR 34/98 - (BAGE 94, 144-154 = NZA 2000, 1119) und vom 27. Juni 2001 - 7 ABR 50/99 - (BAGE 98, 151 = NZA 2002, 50) sind unbehelflich.
3. Die Beschwerde ist auch hinsichtlich des Hilfsantrags zu 3 unbegründet.
a) Mit ihm soll - entsprechend der Begründung der Wahlanfechtung - festgestellt werden, dass in der WfbM Beschäftigte, soweit sie nicht im Arbeitsverhältnis zum Betreiber der WfbM stehen, keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter i.S. des § 2 MVG.EKD seien und ihnen weder das aktive noch das passive Wahlrecht zustehen. Der Wortlaut des Antrags lässt offen, um welche Wahl(en) es dabei gehen soll. Er bezieht sich indessen nach seiner Begründung und der des (ursprünglichen) Anfechtungsbegehens nur auf die Wahl der Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
b) Der Hilfsantrag ist schon deshalb unzulässig, weil es der Antragstellerin insoweit am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Ein solches könnte nur dann zu bejahen sein, wenn bei der Antragstellerin überhaupt noch solche Menschen beschäftigt wären. Daran fehlt es aber. Solche Menschen werden bei der Antragstellerin nicht (mehr) beschäftigt. Der Umstand, dass die gGmbH E. nunmehr die WfbM führt, ist unbehelflich. Denn die begehrte Feststellung kann rechtlich bindende Wirkung nur gegenüber den notwendig am Verfahren Beteiligten erzeugen. Notwendig am Verfahren beteiligt ist die Antragstellerin (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 90 Abs. 2, § 83 Abs. 3 ArbGG). Mit rechtlich bindender Wirkung wird die von der Antragstellerin im Hilfsantrag aufgeworfene Frage deshalb gegenüber der gGmbH E. nicht geklärt.
c) Der Anregung der Antragstellerin, zusätzlich oder an ihrer Stelle die gGmbH E. und die dort am 30. Juni 2005 gewählte Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu beteiligen, vermag der Senat nicht zu folgen. Wer im Beschwerderechtszug eines Beschlussverfahrens zu beteiligen ist, richtet sich allein nach § 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 90 Abs. 2, § 83 Abs. 3 ArbGG. Ein Austausch der Beteiligten im Beschwerderechtszug setzt zumindest voraus, dass der Zusammenhang zur erstinstanzlichen Auseinandersetzung gewahrt bleibt. Bereits daran fehlt es hier. Erstinstanzlich ging es allein um die Anfechtung der Wahl der Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vom 8. Juni 2004 bei der Antragstellerin. Der Hilfsantrag ist erst in das vorliegende Verfahren eingeführt worden, als bei der Antragstellerin bereits keine entsprechenden Beschäftigungen mehr vorhanden waren und nachdem eine entsprechende Wahl bei der gGmbH E. durchgeführt und ihrerseits - unabhängig vom vorliegenden Rechtsstreit - gerichtlich (Kirchengericht, Az.: 68/2005-HH) angefochten worden war. Zudem würde der rechtlich von der Antragstellerin zu unterscheidenden gGmbH E. ebenso wie der notwendig zu beteiligenden, dort gewählten Vertrauensperson für schwerbehinderte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, der erstinstanzliche Rechtszug rechtswidrig vorenthalten werden. Das wirtschaftlich nachvollziehbare Interesse der Antragstellerin, die Frage (auch) für mit ihr verbundene Einrichtungen geklärt zu erhalten, ohne deshalb erneut die erste Instanz zu bemühen, schlägt rechtlich nicht durch.
IV. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 12 Abs. 5 ArbGG). Die Wertfestsetzung beruht auf § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG i.V.m. § 22 Abs. 2 KiGG.EKD; dabei wurde der entsprechende Antrag unterstellt. Für den Anfechtungsantrag beträgt der Wert 4.000,- Euro. Der Wert für den Hilfsantrag war, da er eine eigenständige Bedeutung hat, mit ebenfalls 4.000,- Euro festzusetzen.