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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:08.09.2011
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/S67-10
Rechtsgrundlage:MVG.K § 36 Abs. 3 Nr. 2 , Satzung DW.H § 8 Abs. 2 Buchstabe e)
Vorinstanzen:Schiedsstelle der Konföderation ev. Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe - Kammer Diakonisches Werk Hannovers, 3 VR MVG 24/10; Fundstelle: ZMV 6/11, S. 324
Schlagworte:Unterlassung, Unterlassung der Anwendung der AVR.J, Überwachungsrecht, Überwachungsrecht der Mitarbeitervertretung
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Leitsatz:

1. § 36 Abs. 3 Nr. 2 MVG.K gibt der Mitarbeitervertretung das Recht auf die Feststellung, dass die Dienststelle die Anwendung einer bestimmten Arbeitsvertragsrichtlinie zu unterlassen hat, weil deren Anwendung mit den Mitgliedschaftspflichten im Diakonischen Werk der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers e.V. (DW.H) nicht vereinbar ist.
2. Unter unmittelbarer Geltung i.S.d. § 8 Abs. 2 Buchstabe e) Satz 1 Eingangssatz der Satzung des DW.H ist die Anwendungspflicht der Einrichtung kraft Satzung des Diakonischen Werkes oder der Kirche zu verstehen, für die und auf dessen rechtlicher Grundlagen die Arbeitsrechtsregelung geschaffen worden ist.

Tenor:

Die Beschwerde der Dienststellenleitung gegen den Beschluss der Schiedsstelle der Konföderation ev. Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe - Kammer Diakonisches Werk Hannovers - vom 3. September 2010 - 3 VR MVG 24/10 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die beschwerdeführende Dienststelle berechtigt ist, ab 1. Januar 2010 die Arbeitsvertragsrichtlinien der Johanniter - AVR.J - anzuwenden. Bis dahin hatte diese Dienststelle die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland - AVR.DW.EKD - angewendet. Mehrheitsgesellschafter der die Dienststelle tragenden GmbH ist eine Einrichtung, die ihrerseits Mitglied im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. - DWBO - ist. Dem DWBO gehören auch noch zwei weitere Einrichtungen an; alle drei zusammen bezeichnet die beschwerdeführende Dienststelle als "Verbund". Über den Zusammenhang aller drei Trägerorganisationen mit einem Orden haben die Verfahrensbeteiligten Näheres vorgetragen.
Die AVR.J sind am 8. Oktober 2009 durch einen Beschluss der Arbeitsrechtlichen Kommission für den sog. Verbund - ARK.J - geschaffen worden. Nach § 6 Abs. 4 des Kirchengesetzes über die Regelung der Rechtsverhältnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis (Arbeitsrechtsregelungsgesetz - ARRG.EKBO) kann die Rechtsverordnung nach § 6 Abs. 3 ARRG.EKBO "für Mitglieder des DWBO, die Einrichtungen auch auf dem Gebiet mehrerer anderer gliedkirchlicher diakonischer Werke innerhalb der EKD haben, die Bildung eigener Arbeitsrechtlicher Kommissionen nach den Vorschriften dieses Abschnitts vorsehen. Die von einer solchen Arbeitsrechtlichen Kommission beschlossenen Regelungen dürfen ausschließlich von dem Mitglied des DWBO angewendet werden, für das diese Arbeitsrechtliche Kommission gebildet wurde, und sind nicht auf andere Mitglieder übertragbar". Nach § 20 Abs. 1 der nach § 6 Abs. 3 ARRG.EKBO erlassenen Rechtsverordnung für die Arbeitsrechtliche Kommission des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. (Arbeitsrechtsregelungsordnung - ARRO.DWBO) kann die Kirchenleitung der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) im Einvernehmen mit dem Diakonischen Rat des DWBO "auf Antrag eines Mitglieds des DWBO mit Sitz im Geltungsbereich dieser Rechtsverordnung" die Bildung einer eigenen Arbeitsrechtlichen Kommission gem. § 6 Abs. 4 ARRG.EKBO genehmigen. Nach § 20 Abs. 3 ARRO.DWBO kann sich die Genehmigung "... auch auf Einrichtungen erstrecken, die dem antragstellenden Mitglied zum Beispiel ... dadurch verbunden sind, dass das antragstellende Mitglied eine wesentliche Beteiligung an dieser Einrichtung hält". Auf dieser Grundlage wurde die ARK.J gebildet, die sich eine eigene Ordnung (OAK.J) gegeben hat. Einem Antrag nach § 20 Abs. 3 ARRO.DWBO ist u.a. hinsichtlich der beschwerdeführenden Dienststelle stattgegeben worden.
Die beschwerdeführende Dienststelle hat ihren Sitz und Betrieb im räumlichen Bereich des Diakonischen Werks der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers e.V. - DW.H. Sie gehört nur dem DW.H an. Die Mitglieder des DW.H sind nach § 8 Abs. 2 der Satzung des DW.H (Fassung vom 6. Mai 2009) verpflichtet,
"e) die unmittelbar geltenden oder die vom Präsidium oder der Mitgliederversammlung für das Diakonische Werk übernommenen Rechtsvorschriften, insbesondere
- das Kirchengesetz der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen über Mitarbeitervertretungen (Mitarbeitervertretungsgesetz - MVG);
- die Arbeitsvertragsrichtlinien der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen für Einrichtungen, die sich dem ARRGD angeschlossen haben (AVR.K), oder ein anderes kirchliches Arbeitsvertragsrecht
in ihrer jeweils gültigen Fassung anzuwenden. Das Präsidium kann auf Antrag ein Mitglied von dieser Verpflichtung befreien, wenn ein zwingender Grund vorliegt;
..."
Die AVR.J sind nicht vom DW.H übernommen worden. Die beschwerdeführende Dienststelle ist von der Verpflichtung nach § 8 Buchstabe e) der Satzung des DW.H nicht befreit worden.
Anlässlich der Einstellung eines Mitarbeiters verweigerte die bei der Dienststelle errichtete Mitarbeitervertretung ihre Zustimmung zu dessen Eingruppierung in die Entgeltgruppe 3 AVR.J mit - im Kern - der Begründung, die AVR.J seien mangels Rechtsgrundlage nicht anwendbar. Den ursprünglichen Streit über den Grund für die Zustimmungsverweigerung zur Eingruppierung dieses Mitarbeiters haben die Beteiligten beigelegt. Indessen hat die Mitarbeitervertretung ihrerseits beantragt,
festzustellen, dass die Dienststellenleitung nicht berechtigt ist, die AVR.J mit Wirkung zum 1. Januar 2010 anzuwenden und die Eingruppierung neuer Mitarbeiter danach vorzunehmen.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Mitarbeitervertretung wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze vom 18. Juni und 1. September 2010 Bezug genommen.
Die Dienststellenleitung hat beantragt,
den Antrag der Mitarbeitervertretung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, auf Grund der Regelungen für das DWBO und dessen Genehmigung die AVR.J anwenden zu dürfen. Wegen der Einzelheiten ihres erstinstanzlichen Vorbringens wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen vom 15. Juni und 30. August 2010 Bezug genommen.
Die Schiedsstelle hat dem Antrag der Mitarbeitervertretung durch ihren Beschluss vom 3. September 2010 stattgegeben. Sie hat zum Einen erkannt, dass die AVR.J kein kirchliches Arbeitsrecht i.S. des § 8 Nr. 2 Buchstabe e) der auch die beschwerdeführende Dienststelle kraft Mitgliedschaft bindenden Satzung des DW.H sei, zum Anderen, dass es an einer ausreichenden kirchenrechtlichen Legitimation dafür fehle, dass die AVR.J für solche eigenständigen Rechtsträger gelten solle, die im Gebiet anderer Gliedkirchen (nur) Mitglied im dortigen Diakonischen Werk sind. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Dienststellenleitung mit ihrer Beschwerde. Sie hält den Beschluss für rechtswidrig und meint im Kern, der Mitarbeitervertretung stehe kein Mitbestimmungsrecht zu. Die Anwendung der AVR.J verstoße auch nicht gegen § 40 Nr. 16 MVG.K. Wegen der Einzelheiten ihres umfangreichen Vortrags wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen vom 8. November und 14. Dezember 2010,sowie vom 25. August 2011 Bezug genommen.
Sie beantragt,
den Beschluss der Schiedsstelle der Konföderation ev. Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke Braunschweig, Hannover und Oldenburg - Kammer Diakonisches Werk Hannovers - vom 3. September 2010, Az. 3 VR MVG 24/10, aufzuheben und den Antrag der Mitarbeitervertretung zurückzuweisen.
Die Mitarbeitervertretung beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss nach näherer Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 23. Mai 2011, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.
Der Senat hat die Beschwerde der Dienststelle zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 23. März 2011).
II. Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Vorinstanz hat dem Feststellungsantrag der Mitarbeitervertretung im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Die Befugnis der Mitarbeitervertretung, den geltend gemachten Feststellungsantrag stellen zu dürfen, folgt aus § 36 Abs. 3 Nr. 2 MVG.K, die Begründetheit des Antrags aus § 8 Abs. 2 Buchstabe e) der Satzung des DW.H.
1. Kraft Mitgliedschaft der beschwerdeführenden Dienststelle im DW.H ist das MVG.K (§ 8 Abs. 2 Buchstabe e) vierter Spiegelstrich der Satzung des DW.H) anzuwenden. Hierüber streiten die Beteiligten nicht. Ebenso ist unstreitig, dass infolge der Mitgliedschaft im DW.H die dessen Mitglieder bindenden sonstigen Bestimmungen, vor allem die Mitgliedschaftspflichten des § 8, einzuhalten sind.
2. Die Befugnis der Mitarbeitervertretung, den hier in Rede stehenden Feststellungsantrag stellen zu dürfen, folgt aus § 36 Abs. 3 Nr. 2 MVG.K. Nach dieser mit § 35 Abs. 3 Buchstabe b) MVG.EKD wortgleichen Bestimmung "soll die Mitarbeitervertretung insbesondere dafür eintreten, dass die arbeits-, sozial- und dienstrechtlichen Bestimmungen und Vereinbarungen eingehalten werden".
a) Nach dieser Vorschrift steht der Mitarbeitervertretung das Recht zu, feststellen zu lassen, dass die Dienststellenleitung die Anwendung einer bestimmten Arbeitsrechtsregelung zu unterlassen hat, wenn diese Anwendung nach den die Dienststelle bindenden Vorschriften nicht rechtmäßig ist und für die von der Anwendung dieser Arbeitsrechtsregelung betroffenen Arbeitnehmer kein Individualrechtsschutz zur Verfügung steht. Anders könnte die Klärung, ob die Anwendung der von der Dienststelle gewählten Arbeitsrechtsregelung kirchenrechtlich zulässig ist oder nicht, jeder gerichtlichen Kontrolle, sei es durch die weltliche Arbeitsgerichtsbarkeit, sei es durch die Kirchengerichtsbarkeit, entzogen werden. Es entstünde ein "rechtsfreier Raum". Das aber wäre mit dem Grundprinzip des säkularen Rechtsstaates wie der „Rechtlichkeit“ als einem grundlegenden Prinzip der kirchlichen Ordnung (vgl. Claessen, Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kommentar und Geschichte, Art. 32, S. 516 m.w.N) unvereinbar.
aa) Die Mitarbeitervertretung hat kein Kontrollrecht oder Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Auswahl zwischen verschiedenen Arbeitsrechtsregelungen, wenn die Dienststelle unter diesen nach den sie bindenden Rechtsvorschriften auswählen darf (statt vieler: KGH.EKD, Beschluss vom 23. September 2009 - I-0124/R12-09 - z.V.v).
bb) Der Kirchengerichtshof der EKD (vormals das Verwaltungsgericht der EKD) hat im Beschluss vom 7. Dezember 2000 - 0124/E4-00 - RsprB ABl.EKD 2002, S. 28 = ZMV 2001, S. 138 = KuR 2001, 118 (985- Ls) - erkannt, aus der in § 35 Abs. 3 Buchstabe b) MVG.EKD normierten grundlegenden Aufgabe der Mitarbeitervertretung, dafür einzutreten, dass die arbeitsrechtlichen Bestimmungen, Vereinbarungen und Anordnungen einhalten werden, folge die Befugnis, kirchengerichtlich klären zu lassen, welchen Arbeitsbindungen die Arbeitsverträge von Rechts wegen unterliegen. In jenem Fall war streitig, ob die dem gliedkirchlichen Diakonischen Werk angehörende Dienststelle aus rechtlichen Gründen die AVR.DW.KW oder die AVR.DW.EKD anzuwenden hatten.
cc) Der Zweite Senat für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten des Kirchengerichtshofs der EKD hat in seinem Beschluss vom 23. Februar 2010 (II-0124/R18-09 - z.V.v.) angenommen, aus § 35 Abs. 3 Buchstabe b) MVG.DWBO folge zwar kein Anspruch auf Unterlassung der Anwendung der von der betroffenen Dienststelle angewandten Arbeitsordnung; die Mitarbeitervertretung könne die Dienststellenleitung im Rahmen ihrer Überwachung nach § 35 Abs. 3 Buchstabe b) MVG.DWBO nur auf ein vorschriftenkonformes Verhalten verpflichten. Aufgrund ihres Wächteramtes stehe der Mitarbeitervertretung aber - ebenso wie im staatlichen Recht nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (BAG, Beschluss vom 9. Dezember 2003 - 1 ABR 44/02 - AP Nr. 1 zu § 33 BetrVG 1972) - kein gegen die Dienststelle durchsetzbarer Unterlassungsanspruch zu.
b) Für den hier vorliegenden Streit darüber, ob kirchenrechtlich die Anwendung und Vereinbarung der vom Arbeitgeber gewählten Arbeitsvertragsrichtlinie gegen höherrangiges oder den Dienstgeber bindendes Kirchenrecht verstößt, steht der Mitarbeitervertretung die Befugnis zu, einen entsprechenden Feststellungsantrag kirchengerichtlich geltend zu machen, weil es sonst an jeder gerichtlichen, nicht zuletzt auch kirchengerichtlichen Kontrolle fehlte. Insoweit ist die bisherige Rechtsprechung des Kirchengerichtshofs der EKD (und vormals des Verwaltungsgerichts der EKD) fortzuführen.
aa) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Begrenzung der Aufgaben des § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG basiert auf dem Grundgedanken, dass die Unrechtmäßigkeit des Handelns des Arbeitgebers - je nach Lage des Falles - nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung die Unwirksamkeit dieses Handelns zur Folge habe, dass der betroffene Arbeitnehmer diese Unwirksamkeit individualrechtlich vor der Arbeitsgerichtsbarkeit geltend machen könne und dass darüber hinaus bei krassen Verstößen des Arbeitgebers Sanktionsmöglichkeiten nach § 23 BetrVG oder ein allgemeiner Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber gegeben seien.
bb) Keine dieser Möglichkeiten findet sich im kirchlichen Arbeitsrecht, wenn es - wie hier - darum geht, ob kirchenrechtlich die Anwendung der vom Dienstgeber für anwendbar gehaltenen Arbeitsvertragsrichtlinie und eine darauf basierende Eingruppierung rechtens sind oder nicht.
cc) Auf § 39 Abs. 1 Satz 1 MVG K (bis auf "Schiedsstelle" statt "kirchengerichtlich" wortgleich: § 38 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD) können weder die Mitarbeitervertretung, noch der einzelne Mitarbeiter zurückgreifen, weil es sich bei der Vereinbarung der Arbeitsvertragsrichtlinie im Arbeitsvertrag nicht um eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme i.S. dieser Bestimmung handelt.
Eine individualrechtliche Kontrolle des einzelnen Arbeitsvertrages scheidet aus; die Anwendbarkeit der betreffenden Arbeitsvertragsrichtlinie findet Grund und Rechtfertigung im privatautonom zwischen Dienststelle und Arbeitnehmer abgeschlossenen Arbeitsvertrag. Eine Klauselkontrolle nach den §§ 305 ff. BGB betrifft, wenn die Arbeitsvertragsrichtlinie insgesamt übernommen wird, nur die Bezugnahme im Arbeitsvertrag, eine Inhaltskontrolle der Arbeitsvertragsrichtlinie scheidet aus, wenn und weil diese nach Regeln des Dritten Weges zustande gekommen ist (vgl. BAG, Urteil vom 22. Juli 2010 - 6 AZR 847/07 - ZMV 2010, 331 = NZA 2011, 634). Die kraft Mitgliedschaft der Dienststelle von dieser zu respektierenden Satzungsregeln des Diakonischen Werkes, dem die betreffende Dienststelle angehört, haben keine individualschützende Drittwirkung.
dd) Einen speziellen Unterlassungsanspruch, wie er in § 23 BetrVG geregelt ist, kennt das MVG.K ebenso wenig wie das MVG.EKD.
c) Der Mitarbeitervertretung steht insoweit zwar kein mit Zwangsmitteln durchsetzbarer Unterlassungsanspruch gegen die Dienststellenleitung zu, wenn sich deren Verwendung einer bestimmten Arbeitsvertragsrichtlinie als kirchenrechtlich unrechtmäßig erweist, sondern nur ein entsprechender Anspruch auf eine gerichtliche Feststellung. So ist auch der vorliegende Antrag zu verstehen. Die gebotene Rechtsklarheit wird nach der geläufigen Übung, dass sich Dienststellenleitungen ebenso wie Mitarbeitervertretungen an die Rechtserkenntnisse der Kirchengerichtsbarkeit zu halten haben und zu halten pflegen, mit einem entsprechenden Feststellungsantrag erreicht.
3. Der von der Mitarbeitervertretung befugtermaßen gestellte Feststellungsantrag ist auch begründet. Dies hat die Vorinstanz im Ergebnis richtig erkannt.
a) Die Vorinstanz hat richtig erkannt, dass die Rechtsetzungsmacht einer Gliedkirche oder die von ihr auf ihr Diakonisches Werk delegierte Rechtsetzungsbefugnis keine Legitimation der Geltung dieser Gesetze oder sonstiger rechtlich verbindlicher Regelungen für einen rechtlich selbständigen Rechtsträger erzeugen kann, der nur im Gebiet einer anderen Gliedkirche oder deren Diakonischen Werkes ansässig ist und nur eben diesem Diakonischen Werk angehört. Dies folgt aus dem grundsätzlich zu beachtenden Territorialprinzip. Es beansprucht Geltung nicht nur unter den Gliedkirchen und Landeskirchen, sondern auch unter deren diakonischen Werken. Im Bereich der Diakonie wird dieses Prinzip grundsätzlich auch durch Mitgliedschaft (nur) im territorial zuständigen Diakonischen Werk geachtet.
Hiervon ausgehend ist fraglich, ob die auf der Grundlage des gliedkirchlichen Rechts der EKBO und dessen Diakonischem Werk entstandenen AVR.J überhaupt für die der Einrichtung verbundenen selbständigen Einrichtungen, die im Gebiet der EKBO keinen Sitz haben und keine Einrichtung betreiben und dem dortigen Diakonischen Werk nicht angehören, überhaupt "Geltung" haben können. Eine kraft Mitgliedschaft im DWBO begründete rechtliche Verpflichtung der hier beteiligten Dienststelle, die AVR.J anzuwenden, besteht jedenfalls nicht. Die gesellschaftsrechtliche Verbundenheit der Dienststelle mit der sie beherrschenden Mitgliedseinrichtung, die ihrerseits dem DWBO angehört, genügt hierfür nicht, um das Territorialprinzip zu durchbrechen.
Durchbrochen und überlagert wird das gliedkirchliche Territorialprinzip hinsichtlich der Diakonischen Werke durch das Diakonische Werk der EKD (DW.EKD). Ihm können - seiner Idee entsprechend - solche Einrichtungen angehören, die über das Gebiet einer Gliedkirche oder deren Diakonischen Werkes hinaus tätig sind. Für die ihm derart angehörenden Dienststellen und Einrichtungen gilt, dass sie die für das DW.EKD geschaffenen Arbeitsrechtsregelungen anzuwenden haben, nicht zuletzt die DW.EKD, aber auch, dass sie dem nur unterliegen, wenn sie nicht die territorial einschlägigen Arbeitsrechtsregelungen entsprechend den Bestimmungen der jeweiligen gliedkirchlichen diakonischen Werke anwenden.
b) Die mitgliedschaftliche Verpflichtung der hier beteiligten Dienststelle gegenüber dem DW.H geht über diesen Gesichtspunkt hinaus noch weiter. Nach § 8 Abs. 2 Buchstabe e) Satz 1 Eingangssatz der Satzung des DW.H hat ein Mitglied des DW.H grundsätzlich die „unmittelbar geltenden“ oder die vom Diakonischen Werk (sc. der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers e.V.) „übernommenen“ Rechtsvorschriften anzuwenden. Die Einhaltung dieser Bestimmung darf auch die Mitarbeitervertretung einfordern.
Keine der Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Buchstabe e) Satz 1 Eingangssatz der Satzung des DW.H ist hier gegeben.
aa) Auf einen Dispens durch das DW.H nach Satz 2 kann die beteiligte Dienststelle nicht zurückgreifen. Das DW.H hat die AVR.J auch nicht übernommen.
bb) Bei den AVR.J handelt es sich aber auch nicht um "unmittelbar geltendes" Recht i.S. des § 8 Abs. 2 Buchstabe e) Satz 1 Eingangssatz der Satzung des DW.H. Mit der ab Inkrafttreten der am 6. Mai 2009 beschlossenen Änderung dieser Satzungsbestimmung des DW.H geltenden Formulierung öffnet sich das DW.H insoweit generell, als es - im Gegensatz zur vorherigen Fassung - nicht mehr nur auf die vom DW.H (Präsidium oder Mitgliedsversammlung) "übernommenen" Vorschriften abstellt, sondern ohne territoriale Einschränkung auf alle "unmittelbar geltenden" Vorschriften. Diese Änderung beseitigt nicht nur den Rechtsschein, das DW.H könne sich gleichsam aussuchen, welche Vorschriften es von seinen Mitgliedern angewendet wissen möchte, sondern fordert und erlaubt damit auch, dass das Mitglied des DW.H alle unmittelbar geltenden Vorschriften einhält.
cc) Gegenständlich sind damit als "geltende" Vorschriften - soweit es um Arbeitsrechtsregelungen geht - die AVR.K, aber auch andere nach gliedkirchlichem Recht und nach dem Recht der EKD auf dem Dritten Weg geschaffenen Arbeitsvertragsrichtlinien und sonstigen Arbeitsrechtsregelungen, ebenso zu verstehen, wie die unter Einhaltung von Kirchenrecht abgeschlossenen Tarifverträge. Hierunter können auch die AVR.J fallen, wenn und weil sie nach dem Recht der EKBO und dessen Diakonischem Werk geschaffen worden sind.
dd) Indessen fehlt es an der Unmittelbarkeit der Geltung. Hierunter ist nicht die normative Geltung zu verstehen, weil es für eine normative Geltung von Arbeitsvertragsrichtlinien keine Rechtsgrundlage gibt. Vielmehr ist unter unmittelbarer Geltung i.S. des § 8 Abs. 2 Buchstabe e) Satz 1 Eingangssatz der Satzung des DW.H die Anwendungsverpflichtung kraft Satzung des betreffenden Diakonischen Werkes oder der betreffenden Kirche zu verstehen, für die und auf dessen rechtlichen Grundlagen die Arbeitsrechtsregelung geschaffen worden ist. Daran fehlt es hier schon deshalb, weil die beteiligte Dienststelle nicht Mitglied im DWBO ist. Ihre Verbundenheit mit ihrer dem DWBO als Mitglied angehörenden Mehrheitsgesellschafterin genügt für eine unmittelbare Geltung im soeben skizzierten Verständnis nicht.
c) Dies hat zur Folge, dass die beteiligte Dienststelle die AVR.J nicht anwenden, d.h., ihre Geltung nicht in ihren Arbeitsverträgen vereinbaren darf, und dass die AVR.J auch keine Eingruppierungsgrundlage bei ihr bilden.
4. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann dahingestellt bleiben, ob die AVR.J nicht nur formal auf dem Dritten Weg entstanden sind, sondern sie dessen Anforderungen auch inhaltlich unter dem Gesichtspunkt genügen, dass Mitglieder der Mitarbeiterseite der dafür zuständen Arbeitsrechtlichen Kommission sich nicht nur subjektiv als "unabhängig" fühlen, sondern es auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sind. Denn diese Mitglieder sind - soweit bekannt - alle Mitarbeiter der Einrichtung. Die denkbare Bündelung des Lenkungseinflusses des Ordens auf seine Einrichtungen und Untergliederungen lässt jedenfalls einen solchen Zweifel nicht von vornherein als illusorisch erscheinen. Ferner bedarf es vorliegend auch keiner Erörterung, inwieweit es mit dem Dritten Weg vereinbar ist, auf diese Weise für eine einzige zusammenhängende Gruppe von Einrichtungen eine gesonderte Arbeitsrechtsregelung zu schaffen. Die Grundidee des Dritten Weges bestand jedenfalls darin, einrichtungsübergreifende Regelungswerke zu schaffen, deren Zuschnitt gerade nicht von den Bedarfen und Wünschen einer einzigen Einrichtung oder Einrichtungsgruppe oder deren Mitarbeitern abhängig ist.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).