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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:09.11.2010
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/S46-10
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 3 und 4
Vorinstanzen:Kirchengericht der Ev.-Luth. Kirche in Bayern für Streitigkeiten nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz, 26/0-6/4-702
Schlagworte:Altersteilzeit (Ermessensentscheidung)
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Leitsatz:

1. Eine anzufechtende Entscheidung weicht von der herangezogenen Entscheidung nach § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 MVG.EKD nur ab, wenn sie zu einer Rechtsfrage einen Rechtssatz aufgestellt hat, der von einem anderen Rechtssatz abweicht, der in der herangezogenen Entscheidung zur selben Rechtsfrage aufgestellt worden ist; dies ist von demjenigen darzulegen, der sich auf eine Divergenz beruft.
2. Ein Verfahrensfehler i.S.d. § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 MVG.EKD kann darin liegen, dass das Kirchengericht dem Bestreiten einer Tatsachenbehauptung nicht nachgeht, sondern die bestrittene Tatsachenbehauptung als wahr annimmt. Ein innerer oder rechtlicher Vorgang ist grundsätzlich keinem Tatsachenbeweis zugänglich. Geht das Kirchengericht dem nicht nach, so liegt darin kein Verfahrensfehler.

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Kirchengerichts der Ev.-Luth. Kirche in Bayern für Streitigkeiten nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz vom 28. April 2010 - Az.: 26/0-6/4-702 wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Verweigerung der Zustimmung der Mitarbeitervertretung zur Ablehnung des Antrags der Mitarbeiterin D, mit ihr einen Altersteilzeitantrag zu schließen. Frau D ist seit 1990 bei der Antragstellerin als Erzieherin angestellt und als Gruppenleiterin eingesetzt. Leiter der Beschäftigungsdienststelle ist Herr E.
Frau D hat mit ihrem am 22. Juni 2009 bei der Antragstellerin (Personalabteilung) eingereichten Schreiben vom 1. März 2009 beantragt, ihr ab 1. Oktober 2009 bis 30. September 2013 Altersteilzeit im Blockmodell zu gewähren. In dem Schreiben heißt es u.a.:
"...
Im September 2008 bin ich 60 Jahre alt geworden.
Daher möchte ich von der Altersteilzeit Gebrauch machen, weil sie einen gleitenden Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand ermöglicht.
...
Für den Anspruch auf Altersteilzeit ist es erforderlich, zwei Kriterien zu erfüllen - 25 Jahre Beschäftigungszeit und Alter 60 Jahre. Auch wenn ich nur das Kriterium Lebensalter erfülle, bitte ich Sie, über meinen Antrag wohlwollend zu entscheiden.
Mit Herrn E habe ich bereits über meinen Antrag geredet. Er unterstützt meinen Antrag. ..."
Der Beschäftigungsdienststellenleiter Herr E hat der Dienststellenleitung mit seinem Schreiben vom 28. Juli 2010 mitgeteilt:
"Frau D und eine weitere Mitarbeiterin sind zwei verdiente Gruppenleiterinnen in unserem stationären Bereich. Im Hinblick auf den enormen Arbeitsanfall, die psychische und physische Belastung der Gruppenleitung und dem immer schwieriger werdenden Personenkreis ist es verständlich, dass beide Mitarbeiterinnen nicht in vollem Umfang bis zur Rente arbeiten möchten.
Aus diesem Grund befürworte ich die Anträge auf Altersteilzeit."
Die Dienststelle hat mit der am 4. Dezember 2009 eingereichten (Fax)Antragsschrift vom selben Tag das Kirchengericht angerufen, um die fehlende Zustimmung der Mitarbeitervertretung zur Ablehnung des Antrags der Mitarbeiterin ersetzen zu lassen.
Die Dienststellenleitung beabsichtigt, den Altersteilzeitantrag aus wirtschaftlichen Gründen abzulehnen. Sie habe zwar in der Vergangenheit Altersteilzeitanträge abgeschlossen, auch wenn lediglich die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 der Arbeitsrechtsregelung über die Altersteilzeit (Altersteilzeitordnung - ATZO) - vorgelegen haben. Dies sei - unstreitig - zuletzt am 28. März 2008 geschehen. Ihr Geschäftsführer habe zum 2. Halbjahr 2008 beschlossen, diese Praxis aufzugeben und aus wirtschaftlichen Gründen grundsätzlich keine Altersteilzeitanträge nach § 2 Abs. 1 ATZO mehr zu genehmigen. Sie habe bei ihrer Ermessensentscheidung die von Frau D in ihrem Antrag vorgebrachten Gründe berücksichtigt; die wirtschaftlichen Gründe habe sie jedoch als für die Entscheidung maßgeblich angesehen. Wegen der Einzelheiten ihres erstinstanzlichen Vorbringens wird auf die Schriftsätze und Anlagen der Dienststellenleitung vom 4. Dezember 2009, 23. Februar, 15. März und 26. April 2010 Bezug genommen.
Sie hat beantragt,
die Zustimmung der Mitarbeitervertretung zur Ablehnung des Antrags der Mitarbeiterin D auf Bewilligung von Altersteilzeit zu ersetzen.
Die Mitarbeitervertretung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hat ihre Zustimmung zur Ablehnung des Antrags der Mitarbeiterin verweigert. Der Geschäftsführer sei nicht zu einer solchen grundlegenden Entscheidung befugt gewesen, eine Ermessensentscheidung habe nicht stattgefunden. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Mitarbeitervertretung wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen vom 15. Januar und 21. April 2010 Bezug genommen.
Das Kirchengericht hat durch den angefochtenen Beschluss den Antrag mit im Kern der Begründung zurückgewiesen, Frau D habe keinen Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrages. Die Ablehnung ihres Begehrens halte sich im Rahmen des der Dienststellenleitung eingeräumten Entscheidungsermessens.
Gegen diesen ihr am 8. Juli 2010 zugestellten Beschluss wendet sich die Mitarbeitervertretung mit ihrer am 6. August 2010 (Fax) eingereichten Beschwerde. Ihre Beschwerdebegründungsschrift vom 20. August 2010 ist am selben Tag (Fax) eingegangen. Sie meint, die Beschwerde sei wegen Unrichtigkeit, wegen Divergenz und wegen eines Verfahrensmangels zur Entscheidung anzunehmen. Der Beschluss gehe an der Rechtslage vorbei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 20. August 2010 Bezug genommen.
II. Die Beschwerde war nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil hierfür kein Grund gegeben ist.
1. Die Entscheidung über die Statthaftigkeit, Zulässigkeit und das Verfahren der Beschwerde richtet sich nach § 63 MVG.EKD i.V.m. § 1 Übernahmegesetz der Ev.-Luth. Kirche in Bayern (KABl. 2004, S. 48).
2. Nach § 63 Abs. 2 Satz 1 MVG.EKD bedarf die Beschwerde gegen die verfahrensbeendenden Beschlüsse der Kirchengerichte der Annahme durch den Kirchengerichtshof der EKD. Sie ist nach § 63 Abs. 2 Satz 2 MVG.EKD anzunehmen, wenn 1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses bestehen, 2. die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, 3. der Beschluss von einer Entscheidung des Kirchengerichtshofes der Evangelischen Kirche in Deutschland oder einer Entscheidung eines obersten Landesgerichts oder eines Bundesgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 4. ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem der Beschluss beruhen kann. Keiner dieser Gründe liegt vor, insbesondere nicht die zu Nummer 1, Nummer 3 und Nummer 4.
a) Der Annahmegrund zu § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 MVG.EKD liegt nicht vor.
aa) Ernstliche Zweifel an der materiell-rechtlichen Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses sind nur anzunehmen, wenn die Entscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit voraussichtlich anders zu treffen sein wird; die bloße Möglichkeit einer entgegen gesetzten Entscheidung genügt nicht (st. Rspr. KGH.EKD, z.B. Beschluss vom 7. April 2008 - I-0124/P5-08 - ZMV 2009, 37; Beschluss vom 10. November 2008 - I-0124/P37-08 - ZMV 2009, 36; Beschluss vom 20. April 2009 - I-0124/R10-09; Beschluss vom 1. September 2009 - I-0124/R26-09 - ZMV 2010, 34; Beschluss vom 27. Januar 2010 - II-0124/P36-08 - z.V.v.; Beschluss vom 12. April 2010 - I-0124/S13-10 - ZMV 2010, 264). Umstände, aus denen sich ergibt, dass die Entscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anders zu treffen sein werde, sind weder vorgebracht noch ersichtlich.
bb) Die Beschwerde meint, der angefochtene Beschluss sei unrichtig, weil er auf einer falschen Tatsachenfeststellung des Kirchengerichts beruhe. Entgegen der dortigen tatbestandlichen Feststellung stamme die dort wiedergegebene Kostenrechnung nicht von der Mitarbeitervertretung, sondern von der Dienststellenleitung. Zu Unrecht heiße es im Beschluss auch, die Dienststellenleitung habe die "Richtigkeit der Kostenberechnung durch die Mitarbeitervertretung bestritten".
Die im Beschluss dargestellte Kostenrechnung ergibt sich in der Tat als Saldo aus Berechnungen der Dienststellenleitung. Allerdings hat die Mitarbeitervertretung sich diese Berechnung zu Eigen gemacht (Schriftsatz vom 15. Januar 2010, S. 2 unten). Jedoch beruht der Beschluss hierauf nicht. An keiner Stelle hat das Kirchengericht in seiner Entscheidungsbegründung auf diesen Gesichtspunkt zurückgegriffen.
b) Die Beschwerde war auch nicht wegen einer Divergenz nach § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 MVG.EKD zur Entscheidung anzunehmen. Es liegt keine Divergenz zur herangezogenen Entscheidung des Kirchengerichtshofs der EKD vom 12. Februar 2010 - II-0124/P56-08 - z.V.v. vor.
aa) Eine anzufechtende Entscheidung weicht von der herangezogenen Entscheidung nach § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 MVG.EKD nur ab, wenn sie zu einer Rechtsfrage einen Rechtssatz aufgestellt hat, der von einem anderen Rechtssatz abweicht, der in der herangezogenen Entscheidung zur selben Rechtsfrage aufgestellt worden ist; dies ist von demjenigen darzulegen, der sich auf eine Divergenz beruft (s. zur vgl. Vorschrift des § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG: BAG, Beschluss vom 14. Februar 2001 - 9 AZN 878/00 - AP Nr. 42 zu § 72a ArbGG 1979 - Divergenz).
bb) Die Beschwerde zeigt eine solche Divergenz abstrakter Rechtssätze zur selben Rechtsfrage nicht auf. Sie liegt auch nicht vor. Das Landesarbeitsgericht hat nicht etwa angenommen, es bedürfe keiner Ermessensentscheidung, wenn eine grundsätzliche Entscheidung der Dienststellenleitung vorliegt, Altersteilzeitanträgen, die auf § 2 Abs. 1 ATZO gestützt sind, grundsätzlich abzulehnen, sondern es hat angenommen, die Dienststellenleitung habe das ihr zustehende Ermessen gewahrt.
c) Die Beschwerde ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 MVG.EKD zur Entscheidung anzunehmen. Einen solchen hat die Beschwerde nicht dargelegt.
aa) Ein Verfahrensfehler i.S.d. § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 MVG.EKD kann darin liegen, dass das Kirchengericht dem Bestreiten einer Tatsachenbehauptung nicht nachgeht, sondern die bestrittene Tatsachenbehauptung als wahr annimmt. Ein innerer oder rechtlicher Vorgang ist grundsätzlich keinem Tatsachenbeweis zugänglich.
bb) Die erstinstanzliche Rüge, die Dienststellenleitung habe kein Ermessen im Einzelfall ausgeübt, stellt nicht das Bestreiten eines einem Tatsachenbeweis zugänglichen tatsächlichen Geschehens dar, sondern eine bloße Rechtsbehauptung, wonach die Dienststellenleitung ihre Entscheidung ohne Ausübung von Ermessen getroffen habe. Das aber ist das Leugnen eines keinem Tatsachenbeweis zugänglichen inneren oder rechtlichen Vorgangs. Geht das Kirchengericht dem nicht nach, so liegt darin kein Verfahrensfehler i.S.d. § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 MVG.EKD.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).