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Kirchengericht:Disziplinarkammer der Evangelischen Kirche von Westfalen
Entscheidungsform:Urteil (rechtskräftig)
Datum:11.07.1977
Aktenzeichen:DK 1/77
Rechtsgrundlage:§ 36 PfDG
§ 5 DG.EKD
Vorinstanzen:keine
Schlagworte:Disziplinarrecht, Ehe (außereheliche Beziehungen)
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Leitsatz:

  1. Eheliche Untreue und ein Mangel an ehelicher Gesinnung stellen bei einem Pfarrer eine schwere Eheverfehlung dar. Einem Pfarrer kommt innerhalb der Gemeinde eine Vorbildfunktion zu, sodass er sich für die Überwindung der Spannungen in seiner Beziehung zu Gunsten der Aufrechterhaltung der alten Ehe aktiv einzusetzen hat.
  2. Eine Verletzung der Amtspflicht liegt vor, wenn der Superintendent nicht ausreichend über das anstehende Scheidungsverfahren informiert wird und die Scheidungsgründe nicht ausreichend belegt werden können.
  3. Eine „unbegründete“ Scheidungsklage lässt ein Getrenntleben und einen Auszug aus der gemeinsamen Wohnung nicht rechtfertigen.
  4. Eine neue Heirat ohne Zustimmung des Landeskirchenamtes stellt eine Verletzung der Vorschriften des PfDG dar.

Tenor:

Der beschuldigte Pfarrer wird mit der Disziplinarstrafe der Amtsenthebung bestraft.
Der Beschuldigte trägt die Kosten des Verfahrens.
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Tatbestand:

Der Beschuldigte ist am … 1944 in B. (K. S.) geboren. Nach Ablegung der Reifeprüfung belegte er in F. die für ein theologisches Studium erforderlichen Kurse für alte Sprachen, war ein Jahr lang beim Ev. St. in V. und begann dann in T. mit dem Studium der Theologie, das er mit einem pädagogischen Studium verband. In … vollendete er seine Lehrerausbildung und bestand sein Examen für Grund- und Hauptschulen. Anschließend kehrte er nach T. zurück und legte dort im Jahre 1970 sein Erstes Theologisches Examen ab. Nach einem 2 jährigen Schuldienst bestand er im Frühjahr 1972 sein Zweites Lehrerexamen. Es folgte nun sein Vikariat in ...., das er mit dem Zweiten Theologischen Examen abschloss. Anschließend siedelte er nach … über, übernahm dort die 3. Kreispfarrstelle des K. … und wurde synodaler Schulreferent für die Kirchenkreise … und ....
Am ..... 1969 hat er U. K. geheiratet. Aus der Ehe mit ihr sind zwei, am … 1972 und am … 1974 geborenen Söhne namens … und … hervorgegangen. Mit einer am 12. März 1975 beim Landgericht B. eingegangenen Klage beantragte er, seine Ehe aus dem Verschulden seiner Ehefrau zu scheiden. Diese erhob mit Schriftsatz vom 27. Juni 1975 eine Widerklage mit dem Antrag, die Ehe aus dem Verschulden des Beschuldigten zu scheiden. Im Termin vom 30. Juni 1975 nahm:der Beschuldigte seine Klage zurück und erklärte vor Gericht, er habe seine Familie Ostern 1975 verlassen. Er sei nicht bereit, zu ihr zurückzukehren. Vorwürfe erhebe er seiner Ehefrau gegenüber nicht. Einen hinreichenden Grund, sie zu verlassen, habe sie ihm nicht gegeben. Aufgrund dieser Erklärung wurde daraufhin die Ehe auf die Widerklage geschieden und der Beschuldigte für schuldig erklärt. Das Urteil ist seit dem 30. Juni 1975 rechtskräftig. Am 8. Oktober 1975 heiratet der Beschuldigte die Lehrerin E. M., geb. ...., ohne zuvor die Zustimmung des Landeskirchenamtes eingeholt zu haben.
Am 8. Juli 1975 wurde gegen den Beschuldigten nach § 14 Disziplinargesetz der Evangelischen Kirche von Deutschland Ermittlungen wegen des Verdachts einer Amtspflichtverletzung eröffnet. Gleichzeitig wurde der Beschuldigte nach § 15 Disziplinargesetz der Evangelischen Kirche von Deutschland für die Dauer von sechs Monaten von seinen Dienstgeschäften beurlaubt und seine am 17. April 1975 wegen des vorgenannten Ehescheidungsverfahrens ausgesprochene Beurlaubung von seinem Pfarramt als synodaler Schulreferent für die K. … und … wieder aufgehoben. Das Ermittlungsverfahren führte zu einer mehrfachen Anhörung des Beschuldigten durch den mit der Ermittlung beauftragten Landeskirchenrat K. sowie zur Vernehmung des Superintendenten des Kirchenkreises ...., des Pfarrers K. und der geschiedenen Ehefrau des Beschuldigten.
Nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens beschloss das Landeskirchenamt am 9. Dezember 1975 die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens nach § 18 des Disziplinargesetzes EKD sowie die vorläufige Dienstenthebung des Beschuldigten nach § 100 des Disziplinargesetzes EKD. Der mit der Durchführung des förmlichen Dienststrafverfahrens beauftragte Untersuchungsführer vernahm den Beschuldigten und hörte als Zeugen Superintendent ...., Pfarrer K., Frau U.K., Pfarrer L., Frau R. S., Frau G. H. und Frau E. K.. Im Wege der Rechtshilfe wurden ferner durch das Amtsgericht … die Hausfrau U. B. sowie der Facharzt W. B. vernommen. Wegen des Untersuchungsergebnisses wird auf die Niederschriften des Landeskirchenamtes vom 8. März, 31. März, 25. Juni und 9. November 1976 sowie die Niederschrift des Amtsgerichts S. vom 13. Oktober 1976 verwiesen.
In der Anschuldigungsschrift des Vertreter~ des Landeskirchenamtes vom 3. Januar 1977 wird der Beschuldigte angeschuldigt,
  1. während seiner 1. Ehe
    1. ehewidrige Beziehungen unterhalten,
    2. die Scheidung der Ehe ungerechtfertigt betrieben,
    3. seine Familie ohne hinreichenden Grund verlassen zu haben.
  2. Nach Scheidung seiner 1. Ehe ohne Einholung der Zustimmung des Landeskirchenamtes eine neue Ehe eingegangen zu sein.
Die Disziplinarkammer beauftragte durch Beschluss vom 10. Mai 1977 ihren rechtskundigen Beisitzer, auswärtige Zeugen an ihren Wohnorten zu vernehmen. Dieser vernahm daraufhin am 19. Juni 1977 in M.-N. als Zeugen die Hausfrau F. P., den Zahnarzt W. P. und den Architekten W. B. sowie am gleichen Tag in Reutlingen den Sozialpädagogen (grad.) A. B. und am 4. Juli 1977 in G. die Lehrerin U. K. Auf die Aussagen zu Protokoll vom 19. Juni und 4. Juli 1977 wird Bezug genommen.
In der mündlichen Verhandlung vor der Disziplinarkammer hat der Beschuldigte erklärt, auf sein zweites Kind habe er sich gefreut. Am 1. August 1974 habe er seiner geschiedenen Ehefrau erklärt, so ginge es mit ihnen beiden nicht weiter, um sie zur Besinnung zu bringen und um eine ernsthafte Aussprache einzuleiten, denn er habe sich nicht weiter ihrem bestimmendem Wesen unterordnen können. Seiner Mutter gegenüber habe er im August 1974 nicht geäußert, er sei in seine jetzige Ehefrau verliebt. Diese habe er durch den Reitsport kennen gelernt, den er mit Billigung seiner geschiedenen Ehefrau betrieben habe. Der Reitsport sei aber nicht an seine jetzige Ehefrau gebunden gewesen. Etwaige eifersüchtige Regungen seiner geschiedenen Ehefrau habe er missverstanden. Von Gerüchten über unerlaubte Beziehungen zu seiner jetzigen Ehefrau habe er im Dezember 1974 gehört, habe ihnen aber keine Bedeutung beigemessen. Deshalb habe er sich auch von seiner jetzigen Ehefrau während eines Krankenhausaufenthaltes im Dezember 1974 einmal besuchen lassen. Von Mitte Januar bis etwa zum 1 April 1975 habe er sie nicht gesehen. Dies habe er deshalb vermieden, um seine Gespräche mit dem Dipl.-Psychologen D. von der Evangelischen Ehe- und Erziehungsberatungsstelle … und mit Dr. F. von der Eheberatungsstelle in … nicht stören zu lassen. Ehewidrige Beziehungen zu seiner jetzigen Ehefrau habe er während des Ehescheidungsverfahrens nicht unterhalten. Am 19. oder 20. April 1975 sei seine geschiedene Ehefrau von einem Besuch bei ihren Eltern zurückgekehrt und habe ihm fernmündlich erklärt, er solle sie abholen. Da sie sofort den Hörer wieder aufgelegt habe, sei er nicht in der Lage gewesen, ihr zu erklären, dass er eine andere Wohnung gefunden habe und sich von ihr trennen werde. Sie habe gewusst, dass er zur Trennung entschlossen gewesen sei; nur der Zeitpunkt der Trennung sei ihr nicht bekannt gewesen. Er habe sie dann nicht abgeholt sondern zu seiner neuen Wohnung gefahren. Im Übrigen räumte der Beschuldigte ein, er habe sich bezüglich der unterlassenen Einholung der Zustimmung des Landeskirchenamtes seine 2. Eheschließung betreffend nicht korrekt verhalten.
Der Vertreter der Einleitungsbehörde hielt den Beschuldigten bezüglich sämtlicher Punkte der Anschuldigungsschrift für überführt und beantragte, seine Entfernung aus dem Dienst anzuordnen. Der Beschuldigte erklärte in seinem letzten Wort, dass er sich mit Ausnahme der Ziffer 2 der Anschuldigungsschrift nicht schuldig fühle.
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Entscheidungsgründe:

Die Disziplinarkammer ist aufgrund des Ergebnisses der Ermittlungen, der Aussagen der von ihrem rechtskundigen Beisitzer vernommenen Zeugen und der Anhörung des Beschuldigten zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschuldigte in sämtlichen ihn in der Anschuldigungsschrift vorgeworfenen Punkten als überführt zu betrachten ist. Sie hat ihn deshalb mit der Diszip1inarstrafe der Amtsenthebung bestraft.
Dem Beschuldigten hat nicht nachgewiesen werden können, dass er bereits im Jahre 1974 eine Verbindung zu seiner jetzigen Ehefrau gesucht und aufgenommen hat, die über ihrer beider Interessen am Reitsport hinausgingen und dementsprechend engerer Art waren. Es besteht der dringende Verdacht, dass bereits Ende des Jahres 1974 sein Verhältnis zu der damaligen Frau M. sich nach und nach intensiv gestaltete und daher sowohl die Eifersucht der Zeugin U. K. als auch die sich mit ihm beschäftigenden Gerüchte begründet waren. Mangels eines eindeutigen Beweises kann jedoch hier von ebenso wenig ausgegangen werden wie davon, dass der Beschuldigte bereits im August 1974 seiner Mutter gegenüber eingeräumt hat, er sei in Frau M. verliebt.
Die Kammer nimmt dem Beschuldigten ab, dass er sich im Jahre 1975 acht bis zehn Wochen lang bis etwa zum 1. April 1975 nicht mit Frau M. getroffen hat, um die Bemühungen der Eheberatungsstellen in B. und H. um eine Aussöhnung zwischen ihm und der Zeugin U. K. nicht zu gefährden. Sie ist aber der Überzeugung, dass der Beschuldigte sich ab Anfang April 1975 regelmäßig und häufig mit Frau M. getroffen hat und zwar nicht nur wegen des gemeinsamen Reitsports, sondern weil in ihm im Frühjahr 1975 und nach Erhebung der Scheidungsklage der Entschluss gereift war, Frau M. zu heiraten. Zu dieser Überzeugung ist die Kammer deshalb gelangt, weil der Beschuldigte auf die wiederholte Frage, wann er seine Besuche bei Frau M. wieder aufgenommen habe, keine klare Antwort erteilt hat und zwar auch dann nicht, als er darauf hingewiesen wurde, er gebe ausweichende Antworten. Außerdem ist nicht vorstellbar, dass der Beschuldigte zu einer Zeit, als er die Trennung von seiner Familie betrieb, den Umzug in eine andere Wohnung vorbereitete und schließlich auch durchführte, nicht Frau M. um Rat und Hilfe wegen seines Umzugs gebeten hat. Es wäre schließlich lebensfremd, anzunehmen, dass der Beschuldigte, der erkannt hatte, dass er nicht in der Lage war, sich weiterhin dem bestimmendem Wesen der Zeugin U. K. unterzuordnen, sich nicht spätestens nach Einreichung der Scheidungsklage mit dem Gedanken beschäftigt hat, was nach Beendigung des Ehescheidungsrechtsstreits zu geschehen habe. Aus den vorstehenden Gründen ist daher erwiesen, und zwar insbesondere wegen der vom Beschuldigten unbeantwortet gelassenen Frage nach seinen Beziehungen zu Frau M. ab Anfang April 1975, dass er sie von diesem Zeitpunkt an oft besucht hat oder sich nach seinem Umzug von ihr hat besuchen lassen. Ob es dabei bis zur rechtskräftigen Scheidung seiner Ehe zur Aufnahme intimer Beziehungen zwischen beiden gekommen ist, kann dahin gestellt bleiben. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, ist das Verhalten des Beschuldigten als ehewidrig im Sinne der Anschuldigungsschrift zu werten. Die Ehe ist als eine auf gegenseitige Liebe, Achtung und Treue aufgebaute Lebensgemeinschaft zu betrachten. Es ist deshalb jeder Ehegatte verpflichtet, alles zu unterlassen, was ihn in Verdacht bringen könnte, nicht treu zu sein. Nachdem die bereits erörterten Aussöhnungsversuche gescheitert waren, musste die Zeugin U. K. argwöhnen, dass der Umgang des Beschuldigten mit Frau M. eine Untreuehandlung bildete. Die Aufrechterhaltung dieses Verkehrs ist daher als ein Mangel des Beschuldigten an ehelicher Gesinnung zu werten und bildet eine schuldhaft begangene schwere Eheverfehlung. Der Beschuldigte ist somit der fortgesetzten ehewidrigen Beziehungen zu seiner jetzigen Ehefrau, die er während der Zeit von Anfang April bis Ende Juni 1975 unterhalten hat, schuldig.
Er hat darüber hinaus die Scheidung seiner Ehe ungerechtfertigt betrieben. Die Klage ist gestützt auf
  1. die grundlose Verweigerung des ehelichen Verkehrs seit Mai 1974,
  2. die Schädigung des Beschuldigten durch die Zeugin K. in seinem beruflichen Selbstbewusstsein und seiner Selbstsicherheit,
  3. auf die negative Bewertung seiner beruflichen Leistungsfähigkeit durch die Zeugin U. K.,
  4. auf Beschimpfungen wie "Verbrecher" und "Mörder",
  5. auf die Äußerung, auch Dritten gegenüber, der Beschuldigte sei zur Ausübung seines Pfarrerberufes nicht fähig, sei nicht fleißig genug und bemühe sich nicht ausreichend, seinem Beruf gerecht zu werden und
  6. auf die Behauptung, die Zeugin K. habe Freunden und Verwandten von den zwischen dem Beschuldigten und ihr nicht geregelten intimen Beziehungen berichtet und hieraus den Vorwurf abgeleitet, er habe sich einer anderen Frau zugewandt, von der er ferngesteuert werde und der er hörig sei.
Hierzu ist festzustellen, dass die Zeugin K. während ihrer Schwangerschaft und in der ersten Zeit nach ihrer Entbindung nicht verpflichtet war, dem Beschuldigten den ehelichen Verkehr zu gestatten. Hiervon abgesehen hat die Zeugin U. K. glaubhaft in Abrede gestellt, dass es im ehelichen Verkehr vier bis sechs Wochen Pause gegeben habe. Nach ihrer Entbindung konnte sie sich dem Beschuldigten verweigern, weil er den bereits erwähnten Gerüchten nicht mit Energie entgegen getreten ist, zum Beispiel dadurch, dass er eine Unterredung mit den Zeuginnen U. und E. K. herbeiführte, um die erstgenannte Zeugin von der Unhaltbarkeit des Gerüchts zu überzeugen. Im Übrigen bedarf es weiterer Ausführungen hierzu nicht, weil der Beschuldigte nicht behauptet, von der Zeugin U. K. nach deren Entbindung noch den Intimverkehr erbe ten zu haben. Die Kammer ist ihrer Aussage auch bezüglich des weiteren Vorwurfs gefolgt und zu der Überzeugung gelangt, dass sie dem Beschuldigten nicht sein Selbstbewusstsein und seine Selbstsicherheit durch herabsetzende Äußerungen genommen und ihm gegenüber auch nicht zum Ausdruck gebracht hat, sein Bemühen und seine Arbeiten seien zwecklos und er würde es doch nicht schaffen. Die Kammer brauchte der Zeugin deshalb nicht zu misstrauen, weil der Beschuldigte seinen Antrag, zu der Behauptung zu Punkt e) die Eheleute O. und I. K. in D. als Zeugen zu vernehmen, zurückgenommen und damit zu erkennen gegeben hat, dass diese Zeugen jedenfalls die Behauptung zu e) nicht als richtig bestätigen konnten und weil der hierzu gleichfalls als Zeuge benannte Sozialpädagoge B. zwar bekundet hat, die Zeugin U. K. habe im November 1974 geäußert, der Beschuldigte vernachlässigte seinen Beruf und gehe unpünktlich zum Dienst; er sei mit einer anderen Frau namens E. zusammen, diese Äußerung aber nur im Zusammenhang mit den zur gleichen Zeit umlaufenden Gerüchten über das Verhältnis des Beschuldigten zu seiner jetzigen Ehefrau gesehen werden kann, Sodass ihr eine schwerwiegende Bedeutung nicht zukommt. Ähnlich verhält es sich mit der Behauptung des Beschuldigten zu Punkt f). Auch insoweit hat er seinen Antrag auf Vernehmung der Eheleute K. in D. zurückgenommen. Der Zeuge B. hat hierzu bekundet, die Zeugin U. K. habe ihm im November 1974 gesagt, in ihrer Ehe finde nichts mehr statt; das eheliche Leben sei vorbei. Diese Bemerkung muss der Beschuldigte verwinden, weil er die eifersüchtigen Regungen der Zeugin hätte ernst nehmen und den umlaufenden Gerüchten durch geeignete Maßnahmen hätte entgegen treten müssen. Die Behauptung zu Punkt d) hält die Kammer für unzutreffend. Die Zeugin U. K., die sichtlich bemüht war, sachlich zu bleiben und die an sie gerichteten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten, hat glaubhaft bestritten, den Beschuldigten mit Ausdrücken wie "Mörder" und "Verbrecher" beschimpft zu haben. Sie hat lediglich eingeräumt, sie habe auf seine Bemerkung hin, er könne mit ihr nicht mehr zusammenleben, erwidert, was er vorhabe, sei seinen Kindern gegenüber ein Verbrechen. Von der Richtigkeit dieser Aussage geht die Kammer aus. Als eine Eheverfehlung kann die von der Zeugin bekundete Äußerung nicht gewertet werden.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass objektiv gesehen, die Scheidungsklage des Beschuldigten unbegründet war und hätte abgewiesen werden müssen, wenn der Beschuldigte sie nicht zurückgenommen hätte. Die Disziplinarkammer verkennt jedoch nicht, dass die Zeugin U. K. zu dem Zerwürfnis, das zwischen ihr und dem Beschuldigten bestand, beigetragen hat. Die Zeugen P., B. und B. haben übereinstimmend bekundet, dass die Zeugin eine spitze Zunge hatte, herrisch veranlagt und ein bestimmender Typ war und auf den Beruf des Beschuldigten nicht oder nur unzureichend einging. Dennoch durfte dieser sich nicht auf den Rat seines jetzigen Rechtsbeistandes und damaligen Prozessbevollmächtigten im Ehescheidungsverfahren verlassen und die Scheidungsklage durch ihn einreichen lassen. Obwohl sich ihm seine Ehe als nicht geordnet dargestellt haben mag, war er verpflichtet, wegen der für ihn verbindlichen Bestimmungen des Pfarrerdienstgesetzes auch den Rat seines für ihn zuständigen Superintendenten einzuholen. Nach deren §§ 35/36 hatte er sich jederzeit bewusst zu sein, "dass er mit seinem Haus eine besondere Stellung im Leben der Gemeinde einnahm" und dass die Ehe nach Gottes Gebot unauflöslich ist. Für ihn war somit eine besondere Ordnung verbindlich, die sich grundlegend von den Bestimmungen des im Jahre 1975 gültigen Ehescheidungsgesetz unterschied. Infolgedessen hätte er bei gewissenhafter Prüfung zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass die Empfehlung seines jetzigen Rechtsbeistandes allein nicht ausreichend sein konnte und dass er die von diesem zusammengestellten Scheidungsgründe auch dem Superintendenten seines Kirchenkreises zu unterbreiten hatte, um auch diesen prüfen zu lassen, ob sie im Rahmen des Pfarrerdienstgesetzes als gerechtfertigt zu betrachten seien und eine Ehescheidung als unvermeidlich erscheinen ließen. Der Beschuldigte hat diese Maßnahme nicht ergriffen. Die Ermittlungsakte ergibt lediglich, dass am 10. Januar 1975 ein Gespräch zwischen ihm und seinem zuständigen Superintendenten stattgefunden hat, sowie weitere Gespräche im Januar und Anfang März 1975 mit V. Dr. D. und dem damaligen P. T.. Der Beschuldigte hat somit seine sich aus der Bestimmung des § 36 Pfarrerdienstgesetz ergebende besondere Informationspflicht über die Frage, ob nach kirchlichem Recht und dem Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe die Scheidungsgründe als ausreichend zu betrachten seien, verletzt. Er hätte dahin informiert werden müssen, dass angesichts seines Versprechens, der Zeugin K. die Treue bis zu ihrem oder seinem Tode zu halten, die gegen sie erhobenen Vorwürfe über die Scheidung seiner Ehe nicht rechtfertigen würden.
Die Disziplinarkammer ist daher, wie eingangs bereits erwähnt, zu der Feststellung gelangt, dass der Beschuldigte mit Rücksicht auf die Verletzung seiner Informationspflicht die Scheidung seiner Ehe ungerechtfertigt betrieben hat.
Die ihm zur Last gelegte Amtspflichtverletzung ist somit darin zu erblicken, dass er sich als ein Amtsträger der Kirche und der mit diesem Amt übernommenen besonderen Verpflichtungen nicht ausreichend darüber hat informieren lassen, ob sein Scheidungsbegehren mit der im Pfarrerdienstgesetz festgelegten Bedeutung der Ehe und seiner Pflicht, mit seiner Ehefrau gegenüber der Gemeinde eine besondere Stellung einzunehmen, vereinbar ist. Mit dieser Auffassung verstößt die Kammer nicht gegen die im Jahr 1975 gültigen Bestimmungen des Ehescheidungsrechts. Es wird dem Beschuldigten nicht das Recht abgesprochen, unter Berufung auf diese Bestimmungen und dem Rat seines damaligen Prozessbevollmächtigten folgend, eine Scheidungsklage einzureichen. Er mag auch davon überzeugt gewesen sein, dass die von ihm vorgetragenen Gründe die beantragte Scheidung rechtfertigen würden. Er übersieht aber, dass die angerufene Ehescheidungskammer nach durchgeführter Beweisaufnahme die Klage abgewiesen hätte, und damit den ihm im Disziplinarverfahren gemachten Vorwurf, die Scheidung der Ehe ungerechtfertigt betrieben zu haben, bestätigt haben würde. Wenn diesen Erwägungen nicht gefolgt werden konnte und der Beschuldigte die Scheidungsklage für vermeidbar gehalten haben sollte, müsste zwar seine persönliche Entscheidung respektiert werden, nicht aber die Entscheidung, die er als Amtsträger gefällt hat und die mit dem Pfarrerdienstgesetz nicht zu vereinbaren ist. Da der Beschuldigte nach der Überzeugung der Disziplinarkammer eine unbegründete Scheidungsklage erhoben hat, stand ihm kein Recht zum Getrenntleben zu. Hieraus folgt zwingend, dass er seine Familie ohne einen hinreichenden Grund verlassen hat. Die Art, wie er die Trennung von ihr vollzog, scheint besonders verwerflich. Es ist ihm zu glauben, dass er willens war, seiner geschiedenen Frau fernmündlich zu erklären, dass er sie nicht vom Bahnhof abholen werde, weil er seinen Umzug in eine andere Wohnung durchgeführt habe und dass er diese Erklärung nicht abgeben konnte, weil seine Frau den Hörer aufgelegt hatte. Aber bereits diese nur fernmündliche Eröffnung widersprach seiner Fürsorgepflicht für seine Familie, die trotz seines Entschlusses, sie zu verlassen, bestehen blieb. Denn er hätte zunächst schon allein um seiner Kinder willen deren Mutter in die für sie sich ergebende neue Lage gewissenhaft einführen müssen. Stattdessen hat er sie vor vollendeten Tatsachen gestellt und es ihr überlassen, mit den für sie entstandenen Problemen fertig zu werden.
Der dem Beschuldigten schließlich gemachte Vorwurf, er sei eine neue Ehe eingegangen ohne die Zustimmung des Landeskirchenamtes eingeholt zu haben, räumt er ein. Damit hat er dem Landeskirchenamt die Möglichkeit der Prüfung genommen, ob die Trauung der neuen Ehe nach den Vorschriften der Ordnung des kirchlichen Lebensbaus zu verantworten ist (§ 36 Abs. 4 Pfarrerdienstgesetz) und gegen eine weitere Amtspflicht uneinsichtig verstoßen. Auch hier kann ihm ein schwerwiegender Vorwurf nicht erspart werden, weil von einem Amtsträger der Kirche gewissenhafte Beachtung der von ihm übernommenen Pflichten erwartet wird, und zwar schon allein deshalb, weil er den Kirchenbeamten und kirchlichen Angestellten ein Vorbild zu sein hat. Die weiteren sich aus dem Beweisantrag vom 7. Juli 1977 sich ergebenden Beweise zu erheben, bedurfte es angesichts der getroffenen Feststellung nicht. Diese rechtfertigen es nicht, dem Antrag des Vertreters der Einleitungsbehörde zu entsprechen und als Dienststrafe auf die Entfernung des Beschuldigten aus dem Dienst zu erkennen. Der Beschuldigte ist zwar, wie er selbst zugegeben hat, in seiner Ehe gescheitert. Jedoch kann ihm dies nicht allein angelastet werden. Es dürfte nicht unberücksichtigt bleiben, dass seine geschiedene Ehefrau die ehelichen Spannungen mit verursacht hat. Zugunsten des Beschuldigten muss somit davon ausgegangen werden, dass er sich ohne diesen Umstand nicht von ihr abgewandt und seiner jetzigen Ehefrau zugewandt hätte. Dennoch muss er sich vorwerfen lassen, dass er sich nicht frühzeitig und energisch genug für die Aufrechterhaltung seiner Ehe eingesetzt hat. Dadurch hat er dem Ansehen seines Standes schweren Schaden zugefügt und gegen seine Pflicht, den Gemeinden des Kirchenkreises … als Vorbild zu dienen und ihnen vorzuleben, dass Spannungen in der Ehe um der Unauflöslichkeit derselben überwunden werden müssen, verstoßen. Angesichts seiner als schwer zu beurteilenden Amtspflichtverletzungen konnte der Beschuldigte nicht in seinem Amt belassen sondern musste nach § 5 Disziplinargesetz EKD mit der Disziplinarstrafe der Amtsenthebung bestraft werden. Die Kammer hat davon abgesehen, Anordnungen nach § 10 Abs. 2 Disziplinargesetz zu treffen, und zwar wegen der ungewöhnlich langen Dauer des Verfahrens, das sich über einen Zeitraum von insgesamt 2 Jahren erstreckt hat und um den weiteren Entscheidungen des Landeskirchenamtes nicht vorzugreifen.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 114 Abs. 1 Disziplinargesetz EKD.
Gegen dieses Urteil kann gemäß § 92 Abs. 1 Disziplinargesetz EKD in Verbindung mit § 3 Kirchengesetzes betr. die Ordnung des Disziplinarrechts in der Evangelischen Kirche von Westfalen vom 27. Oktober 1956 bis zum Ablauf des Monats nach Zustellung Berufung an den Gemeinsamen Rechtsausschuss der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Evangelischen Kirche im Rheinland eingelegt werden; sie ist binnen zwei Wochen nach Ablauf der Berufungsfrist zu begründen. Berufungsschrift und Begründung sind an die Disziplinarkammer der Evangelischen Kirche von Westfalen zu richten.