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Kirchengericht: | Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland |
Entscheidungsform: | Beschluss (rechtskräftig) |
Datum: | 30.09.2009 |
Aktenzeichen: | KGH.EKD II-0124/P48-08 |
Rechtsgrundlage: | MVG § 21 Abs. 2 , § 62 ArbGG, § 83 Abs. 3 |
Vorinstanzen: | Kirchengericht MVG für Streitigkeien aus der Anwendung des MVG des DW der Ev. Kirchen in Mitteldeutschland e.V., I/36-2007; Fundstelle: ZMV 1/2010, S.33 |
Schlagworte: | Mitglied der Mitarbeitervertretung, Zustimmungsersetzung, Zustimmungsersetzung zur außerordentlichen Kündigung eines Mitgliedes der Mitarbeitervertretung, außerordentliche Kündigung |
Leitsatz:
1. Gleichermaßen wie im betriebsverfassungsrechtlichen Beschlussverfahren ist der betroffene Arbeitnehmer auch im mitarbeitervertretungsrechtlichen Beschlussverfahren über die Zustimmung der Mitarbeitervertretung zur Kündigung nicht beteiligt. Die gegenteilige Ansicht im Schrifttum findet im Gesetz keine Stütze.
2. Mangels Präjudizialität der Entscheidung im kirchengerichtlichen Zustimmungsverfahren für den arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzrechtsstreit ist das betroffene Mitglied der Mitarbeitervertretung im Verfahren nach § 21 MVG.EKD im Gegensatz zum Verfahren nach § 103 BetrVG nicht beteiligt (VerwG.EKD vom 9. Mai 2000 - 0124/D37-99 - in ZMV 2000, S. 131; KGH.EKD vom 30. Juni 2006 – I-0124/M21-06 - in ZMV 2006, S. 307).
Tenor:
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Kirchengerichts - MVG - für Streitigkeiten aus der Anwendung des Mitarbeitervertretungsgesetzes des Diakonischen Werkes der Ev. Kirchen in Mitteldeutschland e.V. vom 15. April 2008, Az.: I/36-2007, wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung der Mitarbeitervertretung zu der von der Dienststellenleitung beabsichtigten außerordentlichen Verdachtskündigung des Mitgliedes der Mitarbeitervertretung Herrn B. Die Vorinstanz hat Herrn B am Verfahren beteiligt. Sie hat dem entsprechenden Antrag der Dienststellenleitung nach umfangreicher Aufklärung und Beweisaufnahme durch ihren Beschluss vom 15. April 2008 stattgegeben. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des als Beteiligter zu 3 aufgeführten Herrn B. Die Mitarbeitervertretung hat gegen diesen Beschluss keine Beschwerde eingelegt.
II. Die Beschwerde des Herrn B war nicht zur Entscheidung in der Sache anzunehmen.
1. Herr B war nicht am kirchengerichtlichen Verfahren über die Ersetzung der Zustimmung der zu 2 beteiligten Mitarbeitervertretung zu beteiligen. Da er jedoch tatsächlich beteiligt worden ist, ist er formal beschwert. Insoweit ist er auch formal befugt, gegen den Beschluss Beschwerde einzulegen.
2. Indessen war seine Beschwerde nicht nach § 63 Abs. 2 MVG.EKD zur Entscheidung in der Sache selbst anzunehmen, weil kein Annahmegrund gegeben ist.
Die Entscheidung über die Statthaftigkeit und die Zulässigkeit sowie das Verfahren der Beschwerde richtet sich nach § 63 MVG.EKD i.V.m. § 1 des Kirchengesetzes der Föderation Evangelischer Kirchen im Mitteldeutschland zur Ausführung des Kirchengesetzes der Evan-gelischen Kirche in Deutschland über Mitarbeitervertretungen (MVG.AusführungsG.EKM), ABl.EKM Nr. 12 vom 15. Dezember 2008, S. 336 ff.
Die Annahme einer Beschwerde zur Entscheidung in der Sache setzt u.a. voraus, dass der Beschwerdeführer durch die Entscheidung materiell beschwert ist. Hier fehlt es an der materiell-rechtlichen Beschwer des Beschwerdeführers, denn die angefochtene Entscheidung erzeugt ihm gegenüber keine materiell-rechtliche Rechtswirkung. Die Vorinstanz hat Herrn B zu Unrecht am Verfahren beteiligt. Dies folgt aus § 62 MVG.EKD i. V. m. § 83 Abs. 3 ArbGG. Herr B ist nicht Betroffener i. S. des § 83 Abs. 3 ArbGG.
a) Nach § 83 Abs. 3 ArbGG sind im Beschlussverfahren der Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und die Stellen zu hören, die aufgrund kollektivgesetzlichen Bestimmungen beteiligt sind. Eine gewillkürte, nicht notwendige Beteiligung ist - bis auf den Fall des Artikel 9 des Unterzeichnungsprotokolls zu Artikel 56 Abs. 9 NATO-Truppenstatut - ausgeschlossen (Matthes/GMPM-G, § 83 Rn. 18 ff, 22). Von Gesetzes wegen ist ein Arbeitnehmer nur zu beteiligen, wenn er in seiner mitbestimmungsrechtlichen Stellung durch den Ausgang des Beschlussverfahrens unmittelbar betroffen ist. Eine lediglich individualrechtliche Betroffenheit genügt nicht. Dies gilt auch für Mitbestimmungsfragen hinsichtlich personeller Einzelmaßnahmen. In Streitigkeiten über die betriebs- oder personalvertretungsrechtliche Zulässigkeit personeller Einzelmaßnahmen wie Eingruppierung oder Kündigung ist der von der Maßnahme betroffene Arbeitnehmer nicht am Beschlussverfahren über die kollektivrechtliche Zulässigkeit der Maßnahme beteiligt (BVerwG 13. Februar 1976 - VII P 4.75 - BVerwGE 50, 186, 193; BAG 27. Mai 1982 - 6 ABR 105/79 - BAGE 39, 102-108).
b) Diese Grundsätze gelten nach § 62 MVG.EKD auch für das kirchengerichtliche Beschlussverfahren in Mitbestimmungsangelegenheiten. Auch im mitarbeitervertretungsrechtlichen Beschlussverfahren über die Zustimmung der Mitarbeitervertretung zur Kündigung ist der betroffene Arbeitnehmer nicht beteiligt. Die gegenteilige Ansicht im Schrifttum findet im Gesetz keine Stütze. Das Schrifttum enthält sich insoweit auch jeder näheren Begründung zu der Frage, inwieweit der Arbeitnehmer kollektivrechtlich betroffen sein soll; die Belegstellen zitieren sich nur gegenseitig.
Daran ändert sich auch nichts, wenn der Mitarbeiter zugleich Mitglied der Mitarbeitervertretung ist. Er ist auch dann nicht deswegen am Verfahren über die Ersetzung der Zustimmung zu seiner außerordentlichen Verdachtskündigung beteiligt, weil er infolge der Kündigung sein Amt verlöre, wenn das Mitglied der Mitarbeitervertretung die Kündigung nicht gerichtlich angreifen wird oder die Kündigung einem solchen Angriff standhält. Das Amt als Mitglied der Mitarbeitervertretung erlischt erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
c) Anderes folgt auch nicht aus § 21 Abs. 2 MVG.EKD für den Fall der Ersetzung der fehlenden Zustimmung der Mitarbeitervertretung zur außerordentlichen Kündigung, die die Dienststellenleitung gegenüber einem Mitglied dieser Mitarbeitervertretung erklären will. Eine Beteiligung des betreffenden Mitgliedes der Mitarbeitervertretung ist weder dort noch an anderer Stelle im Mitarbeitervertretungsgesetz oder sonst im geltenden Recht vorgesehen.
Sie lässt sich auch nicht aus einer Analogie zu § 103 Abs. 2 Satz 2 BetrVG herleiten. Es fehlt im Mitarbeitervertretungsgesetz bereits an einer ausfüllungsfähigen und ausfüllungsbedürftigen Lücke. Anderes ergibt sich auch nicht aus einer rechtskreisübergreifenden Betrachtung. § 103 Abs. 2 Satz 2 BetrVG stellt vielmehr eine legislatorisch gewollte, dogmatisch aber systemwidrige Durchbrechung des Grundsatzes der Trennung von Amtsschutz und Individualrechtsschutz dar. Systemwidrige Normen können nicht dazu dienen, ihr Fehlen in einer anderen Regelung – noch dazu in einem anderen Rechtskreis – als Lücke oder gar als ausfüllungsbedürftige und eindeutig ausfüllungsfähige Lücke zu qualifizieren.
Nach § 103 BetrVG ist das von der Kündigung bedrohte Mitglied des Betriebsrats (oder ein anderer Amtsträger oder –bewerber i.S. des § 103 Abs. 1 BetrVG) nur deshalb am arbeitsgerichtlichen Verfahren beteiligt, weil der säkulare Gesetzgeber dies – systemwidrig, da hierdurch zwei Streitgegenstände vermischt werden – im Gesetz ausdrücklich angeordnet hat. Das Beschlussverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG betrifft eine einzige kollektivrechtliche Kündigungsvoraussetzung, nämlich die Zustimmung des Betriebsrats; deren Ersetzung bildet den Streitgegenstand. Streitgegenstand des Kündigungsschutzverfahrens ist dagegen die Rechtfertigung der Kündigung des Arbeitsvertrags, also eine individualrechtliche Bestandsschutzstreitigkeit. Diese rechtlichen Wirkungen, die sich aus der systemwidrigen Verbindung ergeben, hat das BAG dahingehend harmonisiert, dass es in ständiger Rechtsprechung der Entscheidung im Beschlussverfahren, die Zustimmung werde ersetzt, weil ein Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliege, präjudizielle Wirkung für das Vorliegen des wichtigen Grundes zur Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB) im nachfolgenden Kündigungsschutzverfahren des gekündigten Betriebsratsmitgliedes einräumt. Der betroffene Gekündigte kann dann nicht mehr geltend machen, dass es an einem solchen Kündigungsgrund fehle, sondern er kann seine Kündigungsschutzklage nur noch auf andere Mängel der Kündigung stützen. Diese Beschränkung der Angriffsmöglichkeiten des Gekündigten im Kündigungsschutzprozess ist gerechtfertigt, weil er im vorangegangenen Zustimmungsersetzungsverfahren kraft gesetzlicher Anordnung beteiligt war.
Mangels Präjudizialität ist der betroffene Arbeitnehmer im Verfahren nach § 21 MVG.EKD im Gegensatz zum Verfahren nach § 103 BetrVG nicht beteiligt (VerwG.EKD vom 9. Mai 2000 - 0124/D37-99 - in ZMV 2000, S. 131; KGH.EKD vom 30. Juni 2006 – I-0124/M21-06 - in ZMV 2006, S. 307). Denn eine solche Präjudizialität für die säkulargerichtlichen Kündigungsschutzverfahren kommt der die Zustimmung ersetzenden Entscheidung im kirchengerichtlichen Beschlussverfahren nicht zu. Die Erwägungen der Vorinstanz verkennen die grundsätzliche Trennung zwischen kirchenrechtlichem Mitbestimmungsrecht und säkularem Kündigungsschutzrecht. Eine nach kirchlichem Recht vorzunehmende Prüfung, ob die fehlende Zustimmung zu ersetzen ist, ist in ihren Wirkungen begrenzt. Wird die Zustimmung nicht ersetzt, so fehlt es an einer Bedingung für die Statthaftigkeit der Kündigung. Wird die Zustimmung ersetzt, so ist dieses Hindernis beseitigt; es steht dann aber für das säkulare Gericht nicht fest, ob die Voraussetzungen des § 626 BGB gegeben sind. Die stattgebende Entscheidung im kirchengerichtlichen Verfahren kann, weil sich der Kündigungsgrund (§ 626 BGB) nach weltlichem Recht richtet, nicht für das säkulare Gericht präjudiziell sein.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 22 KiGG.EKD).