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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:09.06.2023
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/17-2023
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 19 Absatz 2 Satz 1, § 52 Absatz 1 Satz 1
Vorinstanzen:Kirchengericht der Ev.-Luth. Kirche in Bayern für Streitigkeiten nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz, Az. MVG-1027, vom 25. Mai 2023
Schlagworte:Einstweilige Verfügung, Freistellung zur Teilnahme an einer Fortbildung
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Leitsatz:

1) Eine Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen kann nicht im Wege einstweiliger Verfügung verlangen, für die Teilnahme an einer Schulung von der Dienstgeberin freigestellt zu werden. Sie ist nämlich für erforderliche Schulungen in dem gesetzlich vorgesehenen Umfang schon von Gesetzes wegen freigestellt, ohne dass es einer ausdrücklichen Freistellung bedarf.
2) Gleiches gilt für eine einstweilige Verfügung über die Kosten für die Teilnahme an einer solchen Schulung. Die Arbeitgeberin hat die erfroderlichen Kosten einer erforderlichen Schulung von Gesetzes wegen zu tragen, und zwar unabhängig davon, ob sie eine entsprechende Erklärung vor der Teilnahme an der Schulung angegeben hat. Es bedarf einer solchen Erklärung nicht.
3) Wenn das Gericht gleichwohl über die Freistellung und über die Kosten entschiede, handelte es sich dabei nicht um eine für einen späteren Streit über die Teilnahme und die Kosten verbindliche Entscheidung, weil jede einstweilige Verfügung unter dem Vorbehalt einer Prüfung in einem ordentlichen Erkenntnisverfahren steht. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung über die Freistellung und die Kosten würde deshalb nur scheinbar eine Klärung herbeiführen, die tatsächlich nur im Hauptsacheverfahren möglich wäre.
4) Es kann nach § 938 ZPO bei einem Streit über die Schulungsteilnahme im Wege einstweiliger Verfügung nach freiem Ermessen des Gerichts bestimmt werden, dass die Dienstgeberin das Fernbleiben der Arbeitnehmerin von der Arbeit für die Teilnahme an der Fortbildungsveranstaltung zu dulden hat. Das bedeutet, dass die Dienstgeberin wegen dieses Fernbleibens keine arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Rügen, Abmahnungen oder Kündigungen ergreifen kann, sondern das Fernbleiben unabhängig von allen anderen möglichen Rechtsfolgen, die erst in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden könnten, hinnehmen muss.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Kirchengerichts der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für Streitigkeiten nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz vom 25. Mai 2023, Az. MVG - 1027, unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert und die Beteiligte zu 2 im Wege einstweiliger Verfügung verpflichtet, das Fernbleiben der Antragstellerin von der Arbeit zur Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung des Veranstalters D vom 12. bis 16. Juni 2023 zu dulden.

Gründe:

I. Die Antragstellerin verlangt, die Beteiligte zu 2 im Wege einstweiliger Verfügung zu verpflichten, ihr Freistellung zur Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung zu gewähren und die Kosten der Teilnahme zu erstatten.
Die Antragstellerin als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen teilte der Beteiligten zu 2 am 23. März 2023 mit, dass sie an einem Seminar zum Thema Betriebliches Eingliederungsmanagement in der Zeit vom 12. bis 16. Juni 2023 teilnehmen wolle. Die Kosten für die Teilnahme an dem Seminar belaufen sich auf € 1090,00 zuzüglich € 836,00 für Unterkunft und Verpflegung sowie € 133,00 für Fahrtkosten. Auf Nachfrage der Antragstellerin vom 18. April 2023 teilte die Beteiligte zu 2 am 19. April 2023 mit, dass die Erforderlichkeit der Schulung nicht ersichtlich sei und nach den Grundsätzen der Sparsamkeit eine Online-Schulung oder eine interne Schulung bei der Dienststelle zu prüfen gewesen wären. Nach weiterem Schriftverkehr teilte die Beteiligte zu 2 am 11. Mai 2023 mit, dass die Schulungsteilnahme abgelehnt sei. Nachdem die Antragstellerin der Beteiligten zu 2 mit Schreiben vom 15. Mai 2023 mitgeteilt hatte, dass sie anwaltliche Hilfe in Anspruch nehme, reichte sie am 24. Mai 2023 beim Kirchengericht den verfahrenseinleitenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ein.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1) die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter*innen, an einer Fortbildungsveranstaltung des Veranstalters D vom 12. bis 16. Juni 2023 die dafür notwendige Arbeitsbefreiung ohne Minderung der Bezüge oder des Erholungsurlaubs zu gewähren;
2) die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Kosten für die Teilnahme der Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter*innen an der Fortbildungsveranstaltung des Veranstalters D vom 12. bis 16. Juni 2023 in Höhe von € 1090,00 für das Seminar und € 836,00 für Unterkunft und Verpflegung zuzüglich der Fahrtkosten in Höhe von € 133,00 zu tragen.
Das Kirchengericht hat die Anträge ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss des Vorsitzenden vom 25. Mai 2023 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss, der der Antragstellerin am 26. Mai 2023 zugestellt wurde, hat diese mit Schriftsatz vom 31. Mai 2023, beim Kirchengerichtshof eingegangen am 2. Juni 2023, Beschwerde mit dem Antrag eingereicht, den Beschluss des Kirchengerichts aufzuheben und nach den Anträgen erster Instanz zu entscheiden.
II. Die Beschwerde ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen ist sie zurückzuweisen.
1) Die Beschwerde ist zulässig. Gegen einen den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ablehnenden Antrag ohne mündliche Verhandlung ergangenen Beschluss des erstinstanzlichen Gerichts ist die sofortige Beschwerde statthaft (Schwab/Weth/Walker § 85 Rdnr. 75), Dieses ergibt sich aus § 567 Absatz 1 Nr. 2 ZPO. Über die sofortige Beschwerde entscheidet der Vorsitzende des Senats des Kirchengerichts gemäß § 78 Satz 3 ArbGG allein. Über die sofortige Beschwerde kann in Eilsachen ohne Durchführung des Abhilfeverfahrens beim Ausgangsgericht entschieden werden (Zöller-Heßler § 572 Rdnr. 4). Ein solcher Eilfall ist hier offensichtlich gegeben.
2) Die Beschwerde ist teilweise begründet, im Übrigen jedoch nicht.
a) Die Antragstellerin kann weder die von ihr beantragte Freistellung noch die Verpflichtung zur Übernahme der Kosten im Wege einstweiliger Verfügung durchsetzen. Es fehlt insoweit an einem Verfügungsgrund.
Für die Teilnahme an einer erforderlichen Schulung ist die Antragstellerin nämlich schon von Gesetzes wegen freigestellt, ohne dass es einer ausdrücklichen Freistellung durch die Arbeitgeberin bedarf (JMNS/Voßkühler § 19 MVG Rdnr. 76). Das folgt aus § 52 Absatz 1 Satz 1 MVG-EKD iVm § 19 Absatz 2 Satz 1 MVG-EKD. Wenn es für die Teilnahme an einer erforderlichen Schulung im gesetzlich vorgegebenen Rahmen keiner freistellenden Erklärung der Arbeitgeberin bedarf, besteht auch kein Grund dafür, die Arbeitgeberin in Eilfällen zur Abgabe einer solchen Erklärung zu verpflichten – die Erklärung ist für die Zulässigkeit der Teilnahme schlicht unnötig.
Gleiches gilt für die erforderlichen Kosten für die Teilnahme an einer solchen Schulung. Die Arbeitgeberin hat diese zu tragen, und zwar unabhängig davon, ob sie eine entsprechende Erklärung vor der Teilnahme an der Schulung angegeben hat. Es bedarf einer solchen Erklärung nicht. Deshalb besteht kein Eilbedürfnis, die Arbeitgeberin zu einer solchen Erklärung zu verpflichten.
Wenn das Gericht gleichwohl über die Freistellung und über die Kosten entschiede, handelte es sich dabei nicht um eine für einen späteren Streit über die Teilnahme und die Kosten verbindliche Entscheidung, weil jede einstweilige Verfügung unter dem Vorbehalt einer Prüfung in einem ordentlichen Erkenntnisverfahren steht. Das Gericht wäre in einem späteren Erkenntnisverfahren auch nicht an seine Entscheidung im Verfahren über die einstweilige Verfügung gebunden, weil der Streitgegenstand des Erkenntnisverfahrens ein anderer ist als der des Verfahrens über die einstweilige Verfügung, bei der es sich immer nur um eine vorläufige Regelung handelt. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem von der Antragstellerin verlangten Inhalt würde deshalb nur scheinbar eine Klärung herbeiführen, die tatsächlich nur im Hauptsacheverfahren möglich wäre. Das reicht für die Annahme eines Verfügungsgrundes nicht aus.
b) Nach § 938 ZPO wird aber bestimmt, dass die Beteiligte zu 2 das Fernbleiben der Antragstellerin von der Arbeit für die Teilnahme an der Fortbildungsveranstaltung zu dulden hat.
aa) Ein Verfügungsanspruch ist gegeben. Bei einer erforderlichen Schulung hat die Arbeitgeberin zu dulden, dass die Arbeitnehmerin für die Dauer der Schulung von der Arbeit fernbleibt. Das bedeutet, dass sie wegen dieses Fernbleibens keine arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Rügen, Abmahnungen oder Kündigungen ergreifen kann, sondern das Fernbleiben unabhängig von allen anderen möglichen Rechtsfolgen, die erst in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden könnten, hinnehmen muss.
Es ist davon auszugehen, dass die von der Antragstellerin beabsichtigte Schulung erforderlich ist. Eine Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen muss sich mit dem komplizierten Verfahren des Betrieblichen Eingliederungsmanagements und seinen Auswirkungen auf den betrieblichen Gesundheitsschutz auskennen und die Möglichkeiten von Regelungen in Betriebs- oder Dienstvereinbarungen kennenlernen. Das ist eine für eine juristische Laiin schwierige Materie, die eine eingehende Schulung erfordert. Thematisch und auch von der Dauer ist die von der Antragstellerin gewünschte Schulung geeignet und erforderlich, solche Kenntnisse zu vermitteln.
bb) Im Umfang dieses Duldungsanspruchs besteht ein Verfügungsgrund, weil es um die Regelung eines aktuell zwischen den Beteiligten streitigen Rechtszustands in einem Umfang geht, der – im Gegensatz zur Freistellung und Kostentragung – auch vorläufig regelungsfähig ist und jedenfalls insoweit eine Klärung dieses Rechtszustandes herbeiführt.
cc) Nach § 938 Abs. 1 ZPO darf das Gericht nach freiem Ermessen bestimmen, welche Anordnungen es zur Erreichung des Zweckes der vorläufigen Regelung für erforderlich hält. Das ist hier die von der Anträgen der Antragstellerin abweichende, aber von diesen Anträgen umfasste Anordnung der Duldungspflicht. Die von der Antragstellerin verlangte Freistellung beinhaltete als Kern ebenfalls, dass die Arbeitgeberin ihr Fernbleiben von der Arbeit zu dulden hatte.