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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:31.08.2015
Aktenzeichen:KGH.EKD II-0124/6-2015
Rechtsgrundlage:MVG-EKD § 41, § 42 Buchst. b), § 46 Buchst. b), § 62 BGB § 626 ArbGG § 83 Abs. 1 und 2
Vorinstanzen:Az.: 2 M 79/14 Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Ev. Kirche von Westfalen - 2. Kammer - in Münster (Westf.) Beschluss vom 13. Januar 2015
Schlagworte:Außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist
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Leitsatz:

1. Ist eine ordentliche Kündigung aufgrund der anwendbaren Arbeitsvertragsrichtlinien oder aufgrund tariflicher Bestimmungen ausgeschlossen und ist lediglich eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist rechtlich möglich, ist die Mitarbeitervertretung nach § 42 Buchstabe b) MVG-EKD und nicht nach § 46 Buchstabe b) MVG-EKD zu beteiligen (st. Rspr., KGH.EKD, Beschluss vom 14. Januar 2008 - II-0124/N52-07 - www.kirchenrechtekd.de).
2. Rechtsvorschriften im Sinne von § 41 MVG-EKD, auf deren Verstoß sich die Mitarbeitervertretung bei einer Verweigerung der Zustimmung zu einer Kündigung stützen kann, sind § 1 KSchG sowie § 626 BGB.
3. Den Kirchengerichten obliegt nach § 62 MVG-EKD i.V.m. § 83 Abs. 1 ArbGG eine umfassende Untersuchungspflicht; sie erforschen den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen. Sie haben nach § 83 Abs. 2 ArbGG zur Aufklärung des Sachverhaltes alle infrage kommenden Beweismittel einzusetzen (Fortführung von KGH.EKD, Beschluss vom 14. Januar 2008 - a.a.O.)
4. Die Pflicht zur Amtsermittlung endet dort, wo eine weitere Aufklärung nicht möglich ist, etwa wenn Zeugen (mangels Zwangsmittel) nicht geladen werden können oder die weitergehende Aufklärung des Sachverhaltes von der Mitwirkung eines nicht am kirchengerichtlichen Verfahren Beteiligten abhängig ist (z.B. Entbindung von der Schweigepflicht durch einen Arbeitnehmer). Maßgebliche Entscheidungsgrundlage für die Kirchengerichte ist dann der "feststellbare Sachverhalt". Ist auf dieser Grundlage ein Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift nicht feststellbar, besteht kein Grund für die Mitarbeitervertretung zur Verweigerung der Zustimmung.
5. Ist eine ordentliche krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht möglich und ist das Arbeitsverhältnis lediglich außerordentlich mit sozialer Auslauffrist kündbar, so ist auf allen drei Prüfungsstufen einer krankheitsbedingten Kündigung der Prüfungsmaßstab erheblich strenger. Er muss den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind (vgl. BAG, Urteil vom 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 28).

Tenor:

Die Beschwerde der Dienststellenleitung gegen den Beschluss der Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Ev. Kirche von Westfalen - 2. Kammer - in Münster (Westf.) vom 13. Januar 2015, Az. 2 M 79/14, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Dienstelle beschäftigt in ihrer Einrichtung ca. 2.000 Mitarbeitende. Die Beteiligten streiten darüber, ob die bei der Dienststelle gebildete Mitarbeitervertretung einen Grund zur Verweigerung der Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist der Mitarbeiterin D hat.
Die Mitarbeitende ist seit dem 1. April 1981 für die Dienststelle als Pflegehilfskraft tätig. Sie ist 55 Jahre alt und mit einem Arbeitszeitanteil von 0,54 VK beschäftigt. Auf ihr Arbeitsverhältnis findet der BAT-KF Anwendung. Die Mitarbeitende ist tariflich ordentlich nicht kündbar.
Die Mitarbeitende ist seit dem 13. Dezember 2012 arbeitsunfähig erkrankt. Die Dienststelle hat sie im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements mehrfach, zuletzt am 29. Juli 2014 kontaktiert und die Durchführung eines Eingliederungsmanagements angeboten. Die Mitarbeitende hat mit Schreiben vom 28. August 2014 mitgeteilt, sie sei weiterhin arbeits-unfähig erkrankt und ein betriebliches Eingliederungsmanagement derzeit nicht möglich. Sie werde sich mit der Dienststelle in Verbindung setzen, sobald eine Genesung absehbar sei.
Mit Antrag vom 29. September 2014 hat die Dienststellenleitung die Mitarbeitervertretung um Zustimmung zur beabsichtigten personenbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist gebe-ten. Die Mitarbeitervertretung hat die Zustimmung verweigert und zur Begründung ausgeführt, ein Ausnahmefall, der eine außerordentlich krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen kön-ne, liege nicht vor. Auch die im Rahmen von § 1 KSchG, § 626 BGB nachzuweisenden Be-triebsablaufstörungen lägen nicht vor.
Mit dem am 13. November 2014 bei der Schlichtungsstelle eingegangenen Verfahren begehrt die Dienststellenleitung die Feststellung, dass ein Grund zur Verweigerung der Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung für die Mitarbeitervertretung nicht besteht. Betriebsablaufstö-rungen lägen vor, da der Arbeitsplatz von Frau D lediglich befristet jeweils neu besetzt werden könne. Die negative Prognose in Bezug auf die andauernde Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit liege aufgrund der bisherigen Dauer der Arbeitsunfähigkeit und dem Verhalten der Mitarbei-tenden vor.
Die Dienststellenleitung hat beantragt
festzustellen, dass für die Mitarbeitervertretung kein Grund zur Verweigerung der Zu-stimmung zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist der Mitarbeitenden D besteht.
Die Mitarbeitervertretung hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen
und hat darauf verwiesen, wesentliche Nachteile entstünden für die Dienststellenleitung nicht. Die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist lägen nicht vor.
Die Schlichtungsstelle hat den Antrag zurückgewiesen, das Dienstverhältnis könne nach einer zweijährigen Krankheitsdauer nicht als sinnentleert bezeichnet werden. Das Festhalten an dem Arbeitsverhältnis sei der Dienststellenleitung zuzumuten.
Mit der Beschwerde macht die Dienststellenleitung geltend, die Mitarbeitervertretung könne ihre Zustimmungsverweigerung nicht auf § 1 Abs. 2 KSchG bzw. § 626 BGB stützen, da die-se Normen dem Anwendungsbereich des § 41 MVG-EKD entzogen seien. Anderenfalls wür-de bei jeder beabsichtigten Kündigung die Mitarbeitervertretung eine materielle Rechtmäßig-keitsprüfung vornehmen können; eine solche Prüfung durch die Mitarbeitervertretung sähe § 41 MVG-EKD jedoch nicht vor. § 41 MVG-EKD regele gegenüber § 38 MVG-EKD Fälle der eingeschränkten, nicht aber der uneingeschränkten Mitbestimmung. Die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung lägen zudem vor, da aufgrund der bisherigen Arbeitsunfä-higkeit und dem nach Kenntnis der Dienststellenleitung gestellten Rentenantrag die Prognose eindeutig negativ sei.
Die Dienststellenleitung beantragt,
den Beschluss der Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Ev. Kirche von Westfalen - 2. Kammer - in Münster (Westf.) vom 13. Januar 2015 - 2 M 79/14 - abzuändern und festzustellen, dass für die Mitarbeitervertretung kein Grund zur Verweigerung der Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung der Mitarbeiterin D besteht.
Die Mitarbeitervertretung beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die frist- und formgerecht eingelegte und begründete Beschwerde ist zulässig aber un-begründet. Der Mitarbeitervertretung steht ein Grund zur Verweigerung der Zustimmung zur außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist gegenüber der Mitarbeiterin D zu.
1. Ist eine ordentliche Kündigung aufgrund tariflicher Bestimmungen nicht möglich - wie vorliegend nach § 33 Abs. 3 BAT-KF -, und ist das Arbeitsverhältnis lediglich außerordentlich (mit sozialer Auslauffrist) kündbar, hat die Mitarbeitervertretung abweichend von § 46 Buchstabe b) MVG-EKD ein Mitbestimmungsrecht nach § 42 Buchstabe b) MVG-EKD. Anderenfalls wären die Rechte der Mitarbeitervertretung bei unkündbaren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schwächer ausgestaltet als bei kündbaren Mitarbeitern (ständige Rechtspre-chung des Kirchengerichtshofes der EKD, vgl. nur KGH.EKD, Beschluss vom 14. Januar 2008 - II-0124/N52-07 - www.kirchenrecht-ekd.de).
2. Entgegen der Auffassung der Dienststellenleitung kann die Mitarbeitervertretung sich gemäß § 41 Abs. 2 MVG-EKD darauf stützen, dass die Kündigung gegen § 1 KSchG oder § 626 BGB verstößt. Beide Normen sind Rechtsvorschriften im Sinne von § 41 Abs. 2 MVG-EKD. Die Vorschrift ist entgegen der Auffassung der Dienststellenleitung nicht deshalb telelo-gisch in ihrem Anwendungsbereich zu reduzieren, weil sonst keine gegenüber § 38 MVG-EKD "eingeschränkte" sondern eine "volle" Mitbestimmung besteht. Bei der gebotenen Ausle-gung von § 41 MVG-EKD findet sich für diese Auffassung kein Ansatzpunkt. Der Wortlaut der Norm ist eindeutig; die Mitarbeitervertretung kann die Zustimmung verweigern, wenn die Kündigung gegen eine Rechtsvorschrift verstößt; beide von der Mitarbeitervertretung ange-zogenen Normen sind Rechtsvorschriften im Sinne von § 41 Abs. 2 MVG-EKD. Auch die Systematik und der Gesamtzusammenhang der Normen der Mitbestimmung im MVG-EKD spricht gegen die von der Dienststelle vertretende Auffassung. § 41 MVG-EKD regelt die Fäl-le der eingeschränkten Mitbestimmung. Eingeschränkt ist die Mitbestimmung, weil die Zu-stimmung im Gegensatz zur Mitbestimmung nach § 38 MVG-EKD nur verweigert werden darf, wenn einer der enumerativ aufgeführten Fälle eines Verstoßes gegen eine Rechtsvor-schrift, eine arbeitsrechtliche Regelung, eine anderen bindende Bestimmung oder eine andere rechtskräftige gerichtliche Entscheidung vorliegt. Die Gründe für eine Verweigerung der Zu-stimmung sind im Fall des § 42 Buchstabe b) MVG-EKD (ordentliche Kündigung nach Ablauf der Probezeit) nach § 41 Abs. 2 MVG-EKD noch einmal ausdrücklich gegenüber den in § 41 Abs. 1 MVG-EKD sonst genannten Fällen reduziert, weil sich die Mitarbeitervertretung bei einer ordentlichen Kündigung nach Ablauf der Probezeit nicht darauf stützen kann, dass ggf. andere Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen benachteiligt werden.
3. Ob eine beabsichtigte Kündigung gegen § 1 KSchG bzw. § 626 BGB verstößt und des-halb ein Grund zur Verweigerung der Zustimmung besteht, haben die Schlichtungsstellen bzw. Kirchengerichte im Rahmen der ihnen obliegenden Prüfungspflicht zu beurteilen. Nach § 62 MVG-EKD finden auf das Verfahren vor den Kirchengerichten die Vorschriften des Ar-beitsgerichtsgesetzes grundsätzlich Anwendung; damit ist der Sachverhalt nach § 83 ArbGG im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen aufzuklären. Dazu können nach § 83 Abs. 2 ArbGG Urkunden eingesehen, Auskünfte eingeholt, Zeugen, Sachverständige und Beteiligte vernommen und der Augenschein eingenommen werden. Der Untersuchungs-grundsatz gilt insoweit uneingeschränkt (vgl. hierzu KGH.EKD, Beschluss vom 14. Januar 2008 - a.a.O.; wie hier: Fey, ZMV 2007, S. 37; anderer Auffassung: Kirchliche Schlichtungs-stelle Karlsruhe, Beschluss vom 23. August 2006 - 2/19-2006 - ZMV 2007, 36).
Ihre Grenze findet die richterliche Aufklärungspflicht im kirchengerichtlichen Verfahren dort, wo eine Beweiserhebung an fehlender Mitwirkung der Zeugen scheitert oder die Feststellung eines Verstoßes gegen eine Rechtsvorschrift die Beteiligung des Arbeitnehmers erfordert, der nicht am Verfahren beteiligt ist, wie etwa bei der Feststellung einer negativen Prognose, wenn der Arbeitnehmer mangels Beteiligtenfähigkeit Ärzte nicht von der Schweigepflicht entbinden kann. Insofern ist Entscheidungsgrundlage der "feststellbare Sachverhalt". Liegt auf Grundla-ge des feststellbaren Sachverhaltes ein schlüssiger Vortrag der Dienststelle vor, wonach ein Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift nicht gegeben ist, so ist festzustellen, dass für die Mitar-beitervertretung kein Grund zur Verweigerung der Zustimmung besteht. Die weitere Prüfung des Sachverhaltes hat dann im arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzverfahren zu erfolgen.
4. Daran liegen nach dem feststellbaren Sachverhalt die Voraussetzungen einer aus wich-tigem Grund erfolgten außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung mit sozialer Auslauf-frist nicht vor.
a) Aus krankheitsbedingten Gründen kann eine außerordentliche Kündigung nur berechtigt sein, wenn eine negative Gesundheitsprognose vorliegt, die bisherigen Arbeitsunfähigkeiten zu erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen bei der Dienststelle geführt haben und diese Beeinträchtigungen im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung künftig nicht mehr zumutbar sind (KGH.EKD, Beschluss vom 14. Januar 2008 - a.a.O.). Gegenüber einer nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigten krankheitsbedingten Kündigung ist allerdings der Prüfungsmaßstab bei einer außerordentlichen Kündigung auf allen drei Stufen erheblich strenger, er muss den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind (BAG, Urteil vom 23. Januar 2013 - 2 AZR 582/13-, Rn. 28). Letzt-lich ist eine außerordentliche Kündigung nur gerechtfertigt, wenn anderenfalls der Arbeitgeber gezwungen wäre, ein "sinnentleertes" Arbeitsverhältnis aufrechtzuerhalten.
b) Ein solches "sinnentleertes" Arbeitsverhältnis liegt auf Grundlage des feststellbaren Sachverhaltes nicht vor. Zutreffend ist zwar, dass die bisherige Arbeitsunfähigkeit und ihre Dauer geeignet sind, eine negative Prognose in Bezug auf eine nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigte krankheitsbedingte Kündigung wegen einer Langzeiterkrankung zu geben. Es fehlt es aber, wie die Schlichtungsstelle zu Recht festgestellt hat, an einer Darlegung der er-heblichen betrieblichen Beeinträchtigungen. Es ist nicht erkennbar, dass der Ausfall einer 0,54 VK-Kraft bei einem Beschäftigungsvolumen von insgesamt 2.000 Mitarbeitenden zu unüber-windlichen Schwierigkeiten führt. Dass auf Dauer davon ausgegangen werden kann, dass die Mitarbeitende die vertraglich geschuldete Leistung nicht mehr erbringen kann, ist nicht er-kennbar, über die reine Dauer der Erkrankung hinaus fehlt es an notwendigen weiteren Er-kenntnissen, die einen diesbezüglichen Schluss rechtfertigen. Wegen des strengen Prü-fungsmaßstabs bei einer außerordentlichen Kündigung reicht die vorliegende Dauer der Er-krankung nicht aus, um einen wichtigen Grund darzulegen.
II. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).