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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:31.03.2014
Aktenzeichen:KGH.EKD II-0124/W9-14
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 40 Buchstabe f), § 47, § 60 Abs. 7 KSchG § 17 Abs. 1
Vorinstanzen:Az.: 2013-5 M Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirchen von Kurhessen-Waldeck - Kammer für den kirchlichen Bereich - Beschluss vom 13. Januar 2014
Schlagworte:Aufstellung eines Sozialplanes
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Leitsatz:

1. Die Mitarbeitervertretung kann nach § 40 Buchstabe f), § 47 MVG.EKD die Aufstellung eines Sozialplans vorschlagen, wenn Mitarbeitende im Umfang des § 17 Abs. 1 KSchG vom Verlust ihres Arbeitsplatzes betroffen sind (vgl. Kirchengerichtshof der EKD (vormals Verwal-tungsgericht der EKD), Beschluss vom 11. September 1997, Az. 0124/B9-97, ZMV 1998, Seite 33; Beschluss vom 5. November 1998, Az. 0124/C16-98, ZMV 1999, Seite 42, www.kirchenrecht-ekd.de).
2. Die Dienststelle ist verpflichtet, über einen von der Mitarbeitervertretung vorgeschlagenen Sozialplan nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei muss sie die Interessen der betroffenen Mitarbeitenden an einem Ausgleich ihrer Nachteile mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Übereinstimmung zu bringen. Lehnt die Dienststelle die Aufstellung eines Sozialplans ab, kann die Mitarbeitervertretung vor dem Kirchengericht die Feststellung begehren, dass die Weigerung rechtswidrig ist. Ist dies der Fall, hat die Dienststelle erneut über die Aufstellung eines Sozialplans unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Kirchengerichts zu entscheiden.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Mitarbeitervertretung wird der Beschluss des Kirchengerichts für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck - Kammer für den kirchlichen Bereich - 2013-5 M vom 13. Januar 2014 abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Weigerung die Dienststellenleitung, mit der Mitarbeitervertretung einen Sozialplan für die von der Schließung der Erziehungsberatungsstelle an den Standorten D, E und F betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufzustellen, rechtswidrig ist.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Aufstellung eines Sozialplanes.
Die Dienststelle, eine aus zwei Kirchenkreisen als Träger gebildete Körperschaft des öffentlichen Rechts mit insgesamt 39 Mitarbeitenden, hat bis zum 31. Dezember 2013 in D, E und F im Auftrag des Landkreises Erziehungsberatungsstellen betrieben. Die Finanzierung erfolgte durch den Landkreis mit jährlich 250.000 €. In diesem Bereich wurden die Dipl.-Psychologin G (Leitung), die Dipl.-(Sozial)pädagogen/innen H, I, J und K und die Verwaltungskräfte K und L beschäftigt. Herr H vertrat befristet bis zum 31. Dezember 2013 die bis zum 1. November 2015 in Elternzeit befindliche Frau K. Nach vorangegangener Kündigung und Neuausschrei-bung des Auftrags teilte der Landkreis am 25. Juli 2013 mit, ab 1. Januar 2014 die Erziehungsberatung durch einen anderen Anbieter durchführen zu lassen.
Die Dienststellenleitung informierte die Mitarbeitervertretung über die Schließung und den als Folge beabsichtigten Stellenabbau und führte das Mitberatungsverfahren nach § 46 MVG.EKD durch. Die Mitarbeitervertretung legte den Entwurf einer Dienstvereinbarung über den Abschluss eines Sozialplans vor, welcher von der Dienststellenleitung der Landeskirche zur Prüfung einer wirtschaftlichen Beteiligung vorgelegt wurde. Vereinbart war ein wechsel-seitiges Zuwarten bis zum 29. August 2013. Ein Sozialplan kam nicht zustande. Die Dienstel-lenleitung hat im Nachgang individuelle Vereinbarungen mit Frau K (Aufhebungsvereinba-rung) und Frau J (Vorruhestandsvereinbarung) geschlossen, Herr I wurde zum 1. September 2013 innerhalb der Dienststelle versetzt und mit Frau M ist der Abschluss einer Vorruhe-standsvereinbarung geplant. Die Vereinbarungen sehen Ausgleichszahlungen vor.
Mit dem am 12. September 2013 beim Kirchengericht eingegangenen Antrag hat die Mitar-beitervertretung begehrt,
festzustellen, dass die Weigerung der Dienststellenleitung mit der Mitarbeitervertretung einen Sozialplan für die von der Schließung der Erziehungsberatungsstelle an den Standorten D, E und F betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufzustellen, rechtswidrig ist.
Die Dienststellenleitung hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Das Kirchengericht hat den Antrag zurückgewiesen. Mit der vom Kirchengerichtshof der EKD zugelassenen Beschwerde verfolgt die Mitarbeitervertretung ihren Antrag weiter.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete und damit zulässige Beschwerde ist begründet. Die Weigerung die Dienststellenleitung, mit der Mitarbeitervertretung einen Sozialplan für die von der Schließung der Erziehungsberatungsstelle betroffenen Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter aufzustellen, ist rechtswidrig (§§ 40 Buchstabe f), 47, 60 Abs. 7 MVG.EKD).
1. Nach § 40 Buchstabe f) MVG.EKD hat die Mitarbeitervertretung ein Mitbestimmungsrecht bei der Aufstellung von Sozialplänen (insbesondere bei Auflösung, Einschränkung, Verlegung und Zusammenlegung von Dienststellen oder erheblichen Teilen von ihnen) einschließlich Plänen für Umschulung zum Ausgleich oder zur Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen und für die Folgen von Rationalisierungsmaßnahmen, wobei Sozialpläne Regelungen weder einschränken noch ausschließen dürfen, die auf Rechtsvorschriften oder allgemein verbindlichen Richtlinien beruhen. Nach § 47 Abs. 1 MVG.EKD kann die Mitarbeitervertretung Maßnahmen schriftlich vorschlagen, und, sofern eine Einigung nicht zustande kommt, nach § 47 Abs. 2 MVG.EKD innerhalb von zwei Wochen nach Abschluss der Erörte-rung oder nach Ablehnung das Kirchengericht anrufen. Dieses hat gemäß § 60 Abs. 7 MVG.EKD darüber zu entscheiden, ob die Weigerung der Dienststellenleitung, die von der Mitarbeitervertretung beantragte Maßnahme zu vollziehen, rechtswidrig ist.
2. Nach dieser Regelungssystematik kann die Mitarbeitervertretung zwar keinen bestimmten Nachteilsausgleich für die von einer i.S.v. § 40 Buchstabe f) MVG.EKD sozialplanpflichtigen Maßnahme betroffenen Mitarbeitenden durchsetzen. Die Dienststelle ist aber verpflichtet, auf Antrag der Mitarbeitervertretung über einen Sozialplan nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei muss sie die Interessen der betroffenen Mitarbeitenden an einem Ausgleich ihrer Nachteile mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Übereinstimmung bringen. Lehnt die Dienststelle die Aufstellung eines Sozialplans ab, kann die Mitarbeiterver-tretung vor dem Kirchengericht die Feststellung begehren, dass die Weigerung rechtswidrig ist (Fey/Rehren, Praxiskommentar zum MVG.EKD, § 60 Rn. 11, Baumann-Czichon, Kommentar zum MVG.EKD § 47 Rn. 5). Das Kirchengericht hat zu prüfen, ob für einen beantrag-ten Sozialplan ein Mitbestimmungsrecht nach § 40 Buchst. f) MVG.EKD besteht und ob die Dienststelle nach billigem Ermessen über den Antrag der Mitarbeitervertretung entschieden hat. Liegt ein Ermessensfehlgebrauch vor, stellt das Kirchengericht dies fest. Die Dienststelle hat unter Berücksichtigung der Entscheidung erneut über die Aufstellung eines Sozialplans zu befinden (Fey/Rehren, Praxiskommentar zum MVG.EKD, § 60 Rn. 11).
3. Der beantragte Sozialplan unterliegt der Mitbestimmung nach § 40 Buchstabe f) MVG.EKD.
a) § 40 Buchstabe f) MVG.EKD definiert im Klammerzusatz Beispielsfälle (Auflösung, Einschränkung, Verlegung und Zusammenlegung von Dienststellen oder erheblichen Teilen von ihnen), in denen die Mitarbeitervertretung ein Mitbestimmungsrecht bei der Aufstellung eines Sozialplanes hat. Dass der Klammerzusatz keine abschließende Aufzählung der sozi-alplanpflichtigen Maßnahmen enthält, zeigt der Zusatz "insbesondere". Ein Mitbestimmungsrecht kann grundsätzlich deshalb auch bei anderen Maßnahmen bestehen, die wirtschaftliche Nachteile für die Mitarbeitenden auslösen.
b) Sozialplanpflichtig kann die Einschränkung einer Dienststelle bzw. eines erheblichen Teiles einer Dienststelle sein. Dies kann ohne Veränderung des Aufgabenbereichs ein rein quantitativer Personalabbau sein. Nicht jeder Personalabbau ist sozialplanpflichtig, es muss die Einschränkung eines "erheblichen Teils" einer Dienststelle vorliegen. Das MVG.EKD ent-hält diesbezüglich keine näheren Maßgaben; als Maßstab sind nach ständiger Recht-sprechung die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG (Anzeigepflicht bei Massenentlassungen) heranzuziehen (Kirchengerichtshof der EKD (vormals Verwaltungsgericht der EKD), Be-schluss vom 11. September 1997, Az. 0124/B9-97, ZMV 1998, Seite 33; Beschluss vom 5. November 1998, Az. 0124/C16-98, ZMV 1999, Seite 42, www.kirchenrecht-ekd.de; Fey/Rehren, Praxiskommentar zum MVG.EKD, § 46 Rn. 7; Baumann-Czichon, Kommentar zum MVG.EKD, § 46 Rn. 4). Danach müssen in einer Dienststelle mit bis zu 59 Arbeitneh-mern mindestens sechs Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer von der Maßnahme betroffen sein.
d) Unabhängig von einem reinen Personalabbau, bei dem die Dienststelle in ihrer Struktur unverändert bleibt, können, wie der Klammerzusatz zum Ausdruck bringt ("insbesondere"), auch andere Maßnahmen wirtschaftliche Nachteile bei den Mitarbeitenden auslösen und Ausgleichsmaßnahmen erfordern. Dies können grundlegende Änderungen in der Ablaufor-ganisation aber auch sonstige erhebliche Veränderungen im Aufgabenbereich der Dienststelle sein; auch in Fällen der Einschränkung des Aufgabenspektrums einer Dienststelle kann der Mitbestimmungstatbestand von § 40 Buchstabe f) bzw. von § 46 Buchstabe a) MVG.EKD eröffnet sein (Fey/Rehren MVG.EKD § 46 Rn. 4; Baumann-Czichon § 46 MVG.EKD Rn. 11; zur Betriebseinschränkung durch qualitative ändernde Maßnahmen im Rahmen von § 111 BetrVG vgl. Fitting, BetrVG § 111 Rn. 70).
d) Es liegt nahe, bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung, dass das Mitbestim-mungsrecht des § 40 Buchstabe f) MVG.EKD vorliegend bereits unabhängig vom Erreichen der Schwellenwerte des § 17 KSchG eröffnet ist, weil sich mit der Schließung der Erziehungsberatung das Aufgabenspektrum der Dienststelle und damit ihre diakonische Tätigkeit insgesamt erheblich verändert hat. Die Dienststellenleitung hat dieser Veränderung dadurch zutreffend Rechnung getragen, dass sie, ohne das Mitberatungsrecht in Frage zu stellen, die Mitberatung nach § 46 Buchstabe a) MVG.EKD auch durchgeführt hat.
e) Unabhängig davon sind auch bei einer nur quantitativen Betrachtung Mitarbeitende in einem ausreichenden Umfang von der Schließung der Erziehungsberatung betroffen. "Betroffen" und damit mitzuzählen sind nicht nur zu kündigende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sondern alle, deren Arbeitsplatz wegfällt. Dies ergibt sich im Anwendungsbereich des MVG.EKD bereits daraus, dass § 40 Buchstabe f) MVG.EKD als möglichen Bestandteil eines Sozialplanes ausdrücklich auch Pläne für Umschulungen aufführt. Vorliegend zählen deshalb die Mitarbeitenden G, J, L, M und K mit. Dass Frau K derzeit in Elternzeit ist, ist unerheblich. Auch ihr Arbeitsplatz ist weggefallen, sie wird dort nach Rückkehr nicht beschäftigt werden können. Ob der bis zum Zeitpunkt der Schließung als Vertretung für Frau K befristet beschäftigte Herr H mitzuzählen ist, ist fraglich, bedarf aber keiner Entscheidung; zu berücksichtigen ist jedenfalls der Mitarbeiter I, dessen Arbeitsplatz in der Erziehungsberatung weggefallen ist und dessen Versetzung nach der Kündigung des Auftrags der Erziehungsberatungsstelle veranlasst wurde. Dass Herr I völlig unabhängig von der Schließung der Erziehungsberatung auf einen neuen Arbeitsplatz versetzt worden ist, hat die Dienststellenleitung nicht behauptet; einer Betroffenheit steht nicht entgegen, wenn weitere Erwägungen die Entscheidung mit beeinflusst haben. Mit insgesamt sechs betroffenen Arbeitnehmern ist der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 KSchG erreicht.
4. Die Weigerung der Dienststellenleitung, einen Sozialplan abzuschließen, ist rechtswidrig, es liegt ein Ermessensfehlgebrauch vor. Für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach § 40 Buchstabe f) MVG.EKD kommt es nicht nur auf die Vermögenslage der sozialplanpflichtigen Dienststelle an (Kirchengerichtshof der EKD (vormals Verwaltungsgericht der EKD), Beschluss vom 16. November 1995 - 0124/7-95 - www.kirchenrecht-ekd.de). Wegen des Finanzzuweisungsrechts und der Möglichkeit des Finanzausgleichs innerhalb der Lan-deskirche ist die schlechte finanzielle Situation einer einzelnen Einrichtung kein ausreichender Grund, um sich auf Sozialplanverhandlungen von vornherein nicht einzulassen. Hinzu kommt: Die Dienststellenleitung hat mit betroffenen Mitarbeitenden individuelle Vorruhestands- und Auflösungsvereinbarungen getroffen und in diesem Zusammenhang Abfindungen und sonstige finanzielle Ausgleichsmaßnahmen vereinbart. Bereits dies zeigt, dass für Ausgleichsmaßnahmen ein Finanzvolumen vorhanden ist. Es ist ermessenswidrig, die Aufstellung eines Sozialplans zu verweigern, weil der von der Mitarbeitervertretung vorgeschlagene Sozialplan in seinem Volumen evtl. die finanziellen Möglichkeiten der Dienststelle übersteigen kann. Bei einer sachgerechten Ermessensausübung wäre die Dienststelle gehalten gewesen, eine Finanzzuweisung bei der zuständigen Stelle einzufordern und das insgesamt zur Verfügung stehende Finanzvolumen in die Verhandlungen mit der Mitarbeitervertretung einzubringen. Dies ist unterblieben, die grundsätzliche Weigerung der Dienststelle, einen Sozialplan aufzustellen, ist rechtswidrig. Die Dienststellenleitung hat erneut über die Aufstellung eines Sozialplans zu entscheiden.
IV. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).