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Kirchengericht:Disziplinarhof der EKD
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:13.02.2013
Aktenzeichen:KGH.EKD 0125/1-11
Rechtsgrundlage:DiszG VELKD § 102 Abs. 2 i.V.m. § 16 Abs. 1 2. Alt., PfG VELKD § 4 Abs. 2 und 3, § 51, DG.EKD § 86 Abs. 1 und 4
Vorinstanzen:Disziplinarkammer der Ev.-Luth. Kirche in Bayern, Az. H 0278 DiszK
Schlagworte:
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Leitsatz:

1. Die Disziplinargewalt der Kirche besteht nicht schrankenlos und ohne Bindung an allgemeine Grundsätze. Sie ist daher auch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Die auszusprechende Disziplinarmaßnahme muss in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Amtspflichtverletzung stehen und zur Realisierung der mit dem Disziplinarrecht verfolgten Zwecke geeignet und erforderlich sein.
2. Je länger die Verwirklichung der Amtspflichtverletzung zurückliegt, die im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 2 DiszG VELKD nur noch mit der schwersten Sanktion, nämlich der Entfernung aus dem Dienst geahndet werden kann, umso sorgfältiger ist bei der erforderlichen Abwä-gung des Verfolgungsinteresses des Dienstherrn mit den von der Entfernung aus dem Dienst einhergehenden Auswirkungen auf den Angeschuldigten zu prüfen, ob die Zwecke des Dis-ziplinarrechts noch die Verhängung dieser Sanktion rechtfertigen.

Tenor:

1. Das Verfahren wird eingestellt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern zu tragen.

Gründe:

I. Der 1923 geborene Angeschuldigte war nach Abschluss seines Studiums der Evangelischen Theologie und der erfolgreichen Ablegung der Theologischen Anstellungsprüfung von 1949 bis 1952 Vikar. Im Jahr 1950 wurde er ordiniert und war von 1952 bis 1962 beim Freistaat Bayern als Religionslehrer beschäftigt. Von November 1962 bis August 1967 hatte er eine Pfarrstelle und von August 1967 bis Januar 1972 eine Dekansstelle inne. Von Februar 1972 bis Mai 1988 war er als Abteilungsleiter der Abteilung für Religionsunterricht, Bildung und Medien tätig. Seit dem 1. Juni 1988 befindet er sich im Ruhestand.
Nach Eingang einer eidesstattlichen Erklärung der Zeugin C vom 17. März 2010 leitete die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern - Landeskirchenrat - mit Beschluss vom 22. März 2010 gegen den Angeschuldigten wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs an Kin-dern in den Jahren 1964/65 Disziplinarermittlungen ein.
Mit Beschluss vom 19. Juli 2010 ordnete die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern - Landeskirchenrat - die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens an.
Mit der Anschuldigungsschrift vom 4. Oktober 2010 wurde dem Angeschuldigten vorgewor-fen, dass er sich (in den Jahren 1964/1965) des sexuellen Missbrauchs eines damals 13/14-jährigen Mädchens, das zu der ihm als zuständigen Gemeindepfarrer seelsorgerisch anver-trauten Konfirmandengruppe gehört habe, schuldig gemacht und dadurch gegen seine all-gemeinen Lebensführungspflichten gemäß § 4 Abs. 2 und 3 Pfarrergesetz (im Folgenden: PfG VELKD) verstoßen habe. Zudem habe er dadurch auch mehrfach seine Ehe gebrochen und auf diese Weise seine Amtspflichten aus § 4 Abs. 2 und 3, § 51 PfG VELKD verletzt. Weiter habe er (in den Jahren 1975/1976) während seiner Tätigkeit als Abteilungsleiter der Abteilung für Religionsunterricht, Bildung und Medien seine beiden damaligen Sekretärinnen, die von ihm beruflich abhängig gewesen seien, sexuell missbraucht und dadurch ebenfalls gegen seine allgemeinen Lebensführungspflichten verstoßen; zudem habe er dadurch auch mehrfach seine Ehe gebrochen und auf diese Weise gegen seine Amtspflichten aus § 4 Abs. 2 und 3, § 51 PfG VELKD verstoßen. Schließlich habe sich der Angeschuldigte im Jahr 1976 durch den Versuch einer Beziehungsaufnahme mit einer Mitarbeiterin vorsätzlich ehe-widrig verhalten und dadurch gegen seine Amtspflichten aus § 4 Abs. 2 und 3, § 51 PfG VELKD verstoßen. Aufgrund der Schwere und Vielzahl der Dienstpflichtverletzungen könne davon ausgegangen werden, dass eine schwerere Maßnahme als die Kürzung der Dienst-bezüge gerechtfertigt und damit eine Verjährung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 des Disziplinarge-setzes der VELKD (im Folgenden: DiszG VELKD) nicht eingetreten sei.
Die Disziplinarkammer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern hat diese Vorwürfe auf der Grundlage einer mündlichen Verhandlung, in der der Angeschuldigte wegen seines Gesundheitszustandes nicht anwesend war, im Ergebnis einer Beweisaufnahme als erwiesen angesehen und mit Urteil vom 1. Februar 2011 ausgesprochen, dass der Angeschuldigte deswegen aus dem Dienst entfernt wird. Zudem wurde angeordnet, dass das Urteil den Op-fern sowie dem Landesbischof und der Regionalbischöfin im Kirchenkreis Bayreuth sowie dem Pressesprecher der Ev.-Luth. Kirche in Bayern mitgeteilt werde.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Angeschuldigten, der mit seinem Rechtsmittel die Einstellung des Verfahrens erstrebt.
Er rügt insbesondere die Zuständigkeit des Lutherischen Senats in Disziplinarsachen bei dem Kirchengerichtshof der EKD. Auch sei die Anschuldigungsschrift nicht von dem bestellten Vertreter der einleitenden Stelle anhängig gemacht worden. Sie genüge auch inhaltlich nicht den an sie zu stellenden Mindestanforderungen. Ferner sei das ergangene Urteil der Disziplinarkammer fehlerhaft. Es beruhe auf einer fehlerhaften Beweiserhebung und Be-weiswürdigung. Auch seien die Erwägungen der Disziplinarkammer hinsichtlich der Maß-nahmenauswahl fehlerhaft. Für den Angeschuldigten sprechende günstige Umstände seien nicht berücksichtigt worden. Das angefochtene Urteil enthalte keine Ausführungen dazu, weshalb die verhängte Disziplinarmaßnahme in Anbetracht des hohen Alters des Ange-schuldigten nach Sinn und Zweck des Disziplinarrechts geboten sei. Ergänzend wird auf die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern verteidigt die angefochtene Entscheidung der Disziplinarkammer.
Der Senat hat im Hinblick auf eine bereits im Ermittlungsverfahren eingeholte sachverständi-ge Stellungnahme zum Gesundheitszustand des Angeschuldigten ein Gutachten zur Klärung der Frage, ob der Angeschuldigte verhandlungs- und reisefähig ist, eingeholt. Dieses Gut-achten kommt zu dem Ergebnis, dass der Angeschuldigte nur eingeschränkt verhandlungs-fähig, nicht jedoch reisefähig sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gutachten vom 20. Juni und 17./19. Juli 2012 (Bl. 328-360 d.A.) Bezug genommen.
II. Das Disziplinarverfahren gegen den Angeschuldigten ist zur Überzeugung des Senats auch in Anbetracht der im Raum stehenden schwerwiegenden Vorwürfe einzustellen.
1. Der Disziplinarsenat ist zur Entscheidung über die Berufung des Angeschuldigten gegen das Urteil der Disziplinarkammer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern berufen.
Zum 1. Juli 2010 ist das Disziplinargesetz der EKD in Kraft getreten (Verordnung über das Inkrafttreten des Disziplinargesetzes der Evangelischen Kirche in Deutschland (im Folgenden: DG.EKD) vom 28. Oktober 2009, ABl. EKD 2010, S. 126), dem die Vereinigte Ev.-Luth. Kirche Deutschlands für sich und ihre Gliedkirchen zugestimmt hat (Art. 2 § 1 des Diszipli-narrechtsneuordnungsgesetzes der VELKD vom 28. Oktober 2009, ABl. VELKD Bd. VII, S. 426). Der Disziplinarsenat der VELKD war für Verfahren, die vor dem 1. Juli 2010 dort anhängig waren, auch nach dem Inkrafttreten des Disziplinargesetzes der EKD weiter beru-fen. Nach der Übergangsbestimmung des § 86 Abs. 4 DG.EKD blieben bestehende Diszipli-nargerichte bis zum Ablauf ihrer Amtszeit im Amt. Tatsächlich hat der Disziplinarsenat der VELKD am 1. Juli 2010 keine anhängigen Verfahren mehr gehabt, so dass seine Amtszeit zum 1. Juli 2010 vorzeitig endete. Die Berufung des Angeschuldigten gegen das ihm am 17. Februar 2011 zugestellte Urteil der Disziplinarkammer vom 1. Februar 2011 ist am 1. März 2011 (Fax) beim Kirchengerichtshof der EKD eingegangen.
2. Das Verfahren war nicht schon deshalb einzustellen, weil es nicht rechtswirksam ein-geleitet worden wäre, § 102 Abs. 2 i.V.m. § 16 Abs. 1 DiszG VELKD.
2.1. Auf das Disziplinarverfahren ist auch nach Inkrafttreten des Disziplinargesetzes der EKD das Disziplinargesetz der VELKD anzuwenden, weil das Disziplinarverfahren gegen den Angeschuldigten bereits mit Beschluss des Landeskirchenrats vom 22. März 2010 eingeleitet worden ist. Auf die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Die hier maßgebende Übergangsvorschrift des § 86 Abs. 1 DG.EKD stellt auf die Einleitung des Verfahrens und - insoweit abweichend von der ver-gleichbaren Vorschrift des § 85 Abs. 3 Satz 1 des Bundesdisziplinargesetzes - nicht auf die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens ab (hierzu BVerwG, DVBl 2011, 43; SächsOVG, Urteil vom 15. November 2010 - D 6 A 1890/10 - zitiert nach juris -). Hieraus folgt, dass die Zuständigkeit der einleitenden Stelle i.S.v. § 42 DiszG VELKD i.V.m. § 3 Abs. 1 DiszErgG Bayern unabhängig vom Inkrafttreten des Disziplinargesetzes der EKD hier weiter gegeben war.
2.2. Die Anschuldigungsschrift vom 4. Oktober 2010 genügt den formalen Anforderungen des § 52 Abs. 2 DiszG VELKD gerade noch. Die Beweismittel sind entgegen dieser zwin-genden Regelung ("muss angeben") gerade nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und gesondert aufgeführt, obwohl dies im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen vom 2. Juli 2010 (Bl. 58-67 der Ermittlungsakte) der Fall war. Sie lassen sich allerdings dem Text derge-stalt entnehmen, dass für den Leser erkennbar ist, auf welche Beweismittel die verschiede-nen Tatvorwürfe gestützt sein sollen.
§ 52 Abs. 1 DiszG VELKD bestimmt, dass die Vertretung der einleitenden Stelle der Diszi-plinarkammer eine Anschuldigungsschrift vorlegt.
Mit Beschluss vom 19. Juli 2010 (Bl. 10 der Ermittlungsakte) wurde Herr D zum Vertreter der einleitenden Stelle nach § 42 DiszG VELKD bestellt. Dieser verfasste auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen. Die Anschuldigungsschrift wurde demgegenüber von dem Vorsit-zenden der einleitenden Stelle unterschrieben und von der Geschäftsführung der einleitenden Stelle vorgelegt.
Der Senat hält es für zulässig, dass die Anschuldigungsschrift von dem Vorsitzenden der einleitenden Stelle unterzeichnet worden ist, da er über eine entsprechende Vertretungsmacht verfügt und mit Unterzeichnung der Anschuldigungsschrift das wesentliche Ermitt-lungsergebnis des - nach § 42 Abs. 1 DiszG VELKD ohnehin weisungsgebundenen - bestell-ten Vertreters auch nach außen hin gebilligt hat.
3. Das Verfahren war jedoch einzustellen, weil die Voraussetzungen für die weitere Durchführung nicht vorliegen, § 102 Abs. 2 i.V.m. § 16 Abs. 1, 2. Alt. DiszG VELKD. Die die Durchführung des Disziplinarverfahrens nach § 4 Abs. 1 Satz 2 DiszG VELKD allein rechtfer-tigende Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst ist vor dem Hintergrund des äußert fragilen Gesundheitszustandes und des hohen Alters des Angeschuldigten sowie der besonderen Umstände des Falles, vor allem der lang zurückliegenden Tatvorwürfe, als un-verhältnismäßig anzusehen.
3.1. Die dem Angeschuldigten vorgeworfenen Pflichtverstöße in Bezug auf den Umgang mit der Konfirmandin sind nach dem Pfarrergesetz der VELKD (im Folgenden: PfG VELKD) vom 14. Juni 1963 (ABl. VELKD Bd. II S. 14) in Verbindung mit dem Kirchengesetz der Ev.-Luth. Kirche in Bayern über die Anwendung des Pfarrergesetzes der Vereinigten Ev.-Luth. Kirche Deutschlands vom 2. März 1964 (Inkrafttreten am 1. Juli 1964, vgl. ABl. II S. 68) zu beurteilen. Die übrigen Pflichtverstöße sind demgegenüber einer Beurteilung nach dem PfG VELKD vom 10. November 1972 (ABl. IV S. 101) nebst der Änderungsgesetze vom 24. Ok-tober 1973 und 29. Oktober 1976 i.V. mit dem Zweiten Kirchengesetz über die Anwendung des Pfarrergesetzes der Vereinigten Ev.-Luth. Kirche Deutschlands in der Ev.-Luth. Kirche in Bayern vom 19. Dezember 1973 (ABl. Bd. IV S. 313) in der Fassung der Neubekanntma-chung vom 9. Januar 1974 (ABl. IV S. 316) zu unterziehen. Diese Vorschriften sind für ordi-nierte Kirchenbeamte und Kirchenbeamtinnen nach den Bestimmungen des Kirchenbeam-tengesetzes anwendbar.
Der Maßnahmenkatalog wäre hinsichtlich der Pflichtverstöße betreffend die Zeugin C der Dienststrafordnung vom 6. September 1920 (Inkrafttreten zum 1. Januar 1921, ABl. für die protestantische Landeskirche in Bayern rechts des Rheins Nr. 35 vom 23. November 1920; S. 463) in Verbindung mit dem Änderungsgesetz vom 22. November 1932 (ABl. für die pro-testantische Landeskirche in Bayern rechts des Rheins Nr. 24 vom 19. Dezember 1932, S. 141) zu entnehmen. Für die übrigen Pflichtverstöße wäre das Kirchengesetz der Vereinig-ten Ev.-Luth. Kirche Deutschlands über die Amtszucht (Amtszuchtgesetz - AZG) in der Fas-sung vom 7. Juli 1965 (Inkrafttreten am 1. Januar 1967, ABl. VELKD Bd. II, S. 182) in Ver-bindung mit dem Kirchengesetz über die Anwendung des Amtszuchtgesetzes der Vereinigten Ev.-Luth. Kirche Deutschlands in der Ev.-Luth. Kirche in Bayern vom 8. März 1967 (ABl. VELKD Bd. II, S. 330) heranzuziehen. Die genannten Vorschriften sahen die Entfernung aus dem Dienst als Maßnahme auf Pflichtverstöße vor.
Nach den vorgenannten, im wesentlichen gleichlautenden Bestimmungen der jeweiligen Pfarrergesetze besteht für einen Pfarrer oder eine Pfarrerin die Pflicht, das Evangelium, das in der Heiligen Schrift gegeben und im Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche be-zeugt ist, in ausschließlichem Gehorsam gegen Gott rein zu lehren und die Sakramente ge-mäß dem Evangelium zu verwalten. Der Pfarrer ist verpflichtet, sich durch seinen Wandel des Amtes der Kirche würdig zu erweisen. Auch seine Pflichten als Glied der Kirche hat er gewissenhaft zu erfüllen. Pfarrer und Pfarrerinnen sind auch in ihrer Lebensführung in Ehe und Familie ihrem Auftrag verpflichtet.
Im vorliegenden Fall muss eine Verletzung dieser Amtspflicht im Hinblick auf die Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 2 DiszG VELKD ein Gewicht erreichen, das die Entfernung aus dem Dienst rechtfertigt. Alle anderen Disziplinarmaßnahmen können im Hinblick auf die vierjährige Verjährungsfrist des § 4 Abs. 1 Satz 1 DiszG VELKD nicht mehr verhängt werden.
Sexuelle Belästigungen und Übergriffe sowie ehewidriges Verhalten eines Kirchenmitarbeiters oder einer Kirchenmitarbeiterin stellen eine Verletzung dieser Amtspflichten dar und sind im Grundsatz auch geeignet, eine Entfernung aus dem Dienst zu rechtfertigen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat für den Bereich des staatlichen Disziplinarrechts ent-schieden, dass bei Dienstvergehen aufgrund sexueller Belästigung am Arbeitsplatz für die Auswahl der Maßnahme die besonderen Umstände des Einzelfalles entscheidend sind.
Insbesondere dann, wenn ein Beamter unter Ausnutzung seiner Vorgesetzteneigenschaft versage und dadurch nicht nur seine Integrität in der Dienststelle weitgehend einbüße, son-dern auch sein Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherrn schwer erschüttere, könne sich grundsätzlich die Frage nach seiner Tragbarkeit im öffentlichen Dienst stellen (BVerwG, Urteil vom 12. November 1997, NJW 1998, 1656). Ein Beamter, der innerhalb seines Dienstes Kolleginnen sexuell belästigt, beeinträchtige erheblich sein Ansehen und das der Beamten-schaft, störe den Dienstfrieden und verletze in schwerwiegender Weise die Würde und Ehre der Betroffenen. Vor allem weibliche Bedienstete müssten im Dienst vor sexuellen Belästi-gungen seitens ihrer Vorgesetzten und Kollegen sicher sein (BVerwG, Beschluss vom 21. September 2000, NVwZ-RR 2001, 246). Bei einem sexuellen Missbrauch von Minderjäh-rigen sei die besondere Persönlichkeits- und Sozialschädlichkeit zu berücksichtigen. Sie stellten einen unnatürlichen Eingriff in die sittliche Entwicklung der Betroffenen dar, den diese wegen ihrer noch nicht ausreichend fortgeschrittenen Reife intellektuell und gefühlsmäßig nicht verarbeiten könnten. Derartige Verhaltensweisen griffen in die sittliche Entwicklung ei-nes jungen Menschen ein und gefährdeten nachhaltig die harmonische Entfaltung seiner Persönlichkeit sowie seine Einordnung in die Gemeinschaft. Dem Opfer würden - typischer-weise - erhebliche zumindest seelische Schäden zugefügt, deren Folgen ein ganzes Leben lang andauern können. Zugleich benutze der Täter die Betroffenen als Mittel zur Befriedigung seiner geschlechtlichen Triebe. Eine solche Herabminderung des Kindes oder Jugendlichen zu einem bloßen Objekt der Sexualität verletze deren Menschenwürde und Persön-lichkeitsrecht in elementarster Weise (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Juli 1987 - 1 D 141/86 - BVerwGE 83, 303; BayVGH, Urteil vom 15. Dezember 2010 - 16 a D 08.1287, Rn. 85 - zitiert nach juris). Die Angemessenheit der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme hängt auch nicht davon ab, ob das Fehlverhalten des Mitarbeiters zugleich einen Straftatbestand erfüllt (hierzu OVG Rheinland-Pfalz - Landesdisziplinarsenat -, Urteil vom 24. Februar 2012, NVwZ-RR 2012, 557).
Diese für das staatliche Disziplinarrecht entwickelten Grundsätze gelten uneingeschränkt für den Bereich des kirchlichen Disziplinarrechts. Hier kommt die "Bekenntnisbestimmtheit" des kirchlichen Disziplinarrechts hinzu. Die Glaubensprinzipien gebieten einen besonderen Res-pekt gegenüber dem Nächsten und richten auch eine besondere Sexualmoral auf, deren Verletzung mit dem kirchlichen Disziplinarecht geahndet werden kann.
Nach diesem Maßstab können sexuelle Verfehlungen - zumal gegen Minderjährige - die Ent-fernung eines Kirchenmitarbeiters aus dem Dienst gebieten. Allerdings ist eine schematische Betrachtung unzulässig. Maßgebend sind stets die besonderen Umstände des Einzelfalls, die einer Gesamtwürdigung zu unterziehen sind.
3.2. Die Disziplinarkammer hat auf der Grundlage der von ihr durchgeführten Beweisauf-nahme die Vorwürfe der Anschuldigungsschrift als erwiesen angesehen. Allerdings leidet das Verfahren an gravierenden Verfahrensmängeln. Zudem weist die Beweiswürdigung Fehler auf. Hinzu kommt, dass die Feststellungen zu den Tatvorwürfen nur pauschaler Natur sind und in rechtlicher Hinsicht eine präzise Einordnung vermissen lassen. Vor allem ist aber darauf hinzuweisen, dass die gebotene Analyse der Umstände des Einzelfalls bei der Be-antwortung der Frage, ob die Entfernung aus dem Dienst noch verhältnismäßig ist, gänzlich unterblieben ist.
3.2.1. Ein grundlegender Verfahrensmangel liegt darin begründet, dass die Disziplinar-kammer ohne hinreichende Grundlage von einer Verhandlungsunfähigkeit des Angeschul-digten ausgegangen ist, ihn daher nicht persönlich angehört hat.
Zwar hatte die einleitende Stelle ihm mit Beschluss vom 18. November 2010 auf Grundlage einer gutachterlichen Stellungnahme vom 3. November 2010 (Bl. 54 der erstinstanzlichen Verfahrensakte) einen Vertreter nach § 40 DiszG VELKD bestellt (Schriftsatz vom 23. No-vember 2010, Bl. 53 der erstinstanzlichen Disziplinarakte). Die Disziplinarkammer hätte es aber ohne weitere Aufklärung nicht bei dieser Bestellung belassen dürfen. Abgesehen davon, dass zweifelhaft ist, ob diese knappe ärztliche Stellungnahme überhaupt Grundlage einer so weitreichenden verfahrensrechtlichen Entscheidung sein konnte, wird die Frage der Verhandlungsunfähigkeit des Angeschuldigten gerade noch nicht abschließend beantwortet. Das Recht der persönlichen Anwesenheit des Angeschuldigten während der mündlichen Verhandlung und die Möglichkeit, während dieser persönlich zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, sind jedoch essentielle Verfahrensrechte, deren Gewährleistung unabdingbar für ein faires Verfahren ist. Dies gilt vorliegend umso mehr, als im vorliegenden Verfahren nur die Entfernung aus dem Dienst als die schärfste Sanktion des Disziplinarrechts im Raum steht. Vor diesem Hintergrund konnte sich das Disziplinargericht bei der Feststellung der Verhand-lungsunfähigkeit nicht einfach mit der ärztlichen Stellungnahme und der Einlassung des An-geschuldigten zufrieden geben, sondern hatte diese Frage durch Einholung eines medizini-schen Gutachtens klären zu lassen. Das vom Senat eingeholte Gutachten belegt gerade, dass die Einschätzung der Disziplinarkammer nicht haltbar ist. Es hat eine Verhandlungsun-fähigkeit des Angeschuldigten nicht ergeben. Vielmehr kann dieser - wenn auch mit erheblichen Einschränkungen und Maßgaben - an einer mündlichen Verhandlung teilnehmen.
3.2.2. Weiterhin sind die Aussagen der als Zeuginnen vernommenen Opfer C und E wegen gänzlich fehlender Belehrungen über bestehende Zeugnisverweigerungsrechte, die schriftli-chen Angaben der Zeuginnen F und G wegen nicht ordnungsgemäßer Belehrungen über Zeugnisverweigerungsrechte schon nicht verwertbar.
3.2.2.1. Die Disziplinarkammer durfte sich nicht mit einer Verlesung der schriftlichen Aussa-gen der Zeuginnen F und G begnügen.
Die Zeuginnen wurden von dem Ermittlungsführer mit Schreiben vom 18. Mai 2010 (G) und 14. Juni 2010 (F), (Bl. 156 und 158 der Ermittlungsakte) angeschrieben und um Beantwortung verschiedener Fragen gebeten. Einleitend hat der Ermittlungsführer danach gefragt, ob die Zeuginnen mit dem Angeschuldigten verwandt oder verschwägert seien und darauf hin-gewiesen, dass "in diesem Fall" ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 70 Abs. 1 DiszG VELKD bestehe. Im Fall des Nichtvorliegens eines Zeugnisverweigerungsrechts bestehe eine Verpflichtung zur Aussage. Am Schluss des Schreibens erfolgt eine Ergänzung dahingehend, dass "zu Ihrer Information die §§ 70, 71 DiszG in Kopie" beigefügt seien. Diese Vor-gehensweise wird der Belehrungspflicht nicht gerecht. Denn auf ein - hier im Raum stehen-des - Zeugnisverweigerungsrecht nach § 70 Abs. 5 DiszG VELKD wird ausdrücklich nicht hingewiesen, sondern vielmehr der Eindruck erweckt, dass dann, wenn ein Zeugnisverwei-gerungsrecht nach § 70 Abs. 1 DiszG VELKD nicht vorliegt, eine Verpflichtung zur Aussage besteht. Nach § 70 Abs. 5 DiszG VELKD kann aber die Auskunft auf solche Fragen verwei-gert werden, deren Beantwortung zur Unehre gereicht. Dass dieser Tatbestand im Fall der Zeuginnen erfüllt sein könnte, ist im Zusammenhang mit den, dem Angeschuldigten angelas-teten Vorwürfen sexueller Belästigung zumindest in Betracht zu ziehen. Bei der 1931 gebo-renen Zeugin F tritt zu diesen Überlegungen noch das Alter hinzu. Die Übersendung eines Gesetzestextes in Kopie genügt nicht den Anforderungen, die an eine ordnungsgemäße Be-lehrung zu stellen sind.
3.2.2.2. Die Zeugin E wurde zwar vor ihrer Vernehmung am 15. April 2010 (Bl. 166-168 der Ermittlungsakte) über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt. Die Sitzungsniederschrift der Sitzung am 1. Februar 2011 vor der Disziplinarkammer (hier Seite 3, Bl. 76 der erstinstanzli-chen Akte) lässt demgegenüber jedoch nicht erkennen, dass die Zeugin auch anlässlich ihrer Vernehmung am 1. Februar 2011 über bestehende Zeugnisverweigerungsrechte belehrt worden ist. Ohne diese Belehrung war ihre Aussage nicht verwertbar, zumal die Zeugin be-reits zu erkennen gegeben hatte, an einer nochmaligen Aussage nicht interessiert zu sein. Die Belehrung über ein Zeugnisverweigerungsrecht muss vor jeder neuen Belehrung wiederholt werden, auch wenn der Zeuge in einer früheren Vernehmung auf sein Zeugnisver-weigerungsrecht verzichtet hatte (BGH, NJW 1960, 584).
3.2.2.3. Auch die Zeugin C wurde zwar anlässlich ihrer Vernehmung am 30. März 2010 (Bl. 107 der Ermittlungsakte), nicht aber vor ihrer erneuten Aussage in der Sitzung der Disziplinarkammer am 1. Februar 2011 über bestehende Zeugnisverweigerungsrechte belehrt (Seite 4 der Sitzungsniederschrift, Bl. 77 der erstinstanzlichen Akte). Auch diese Aussage war mithin unverwertbar, wenngleich die Zeugin deutlich und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hatte, an einer Aussage interessiert zu sein.
3.2.3. Die Beweiswürdigung der Disziplinarkammer ist ebenfalls nicht frei von Beanstan-dungen.
3.2.3.1. Zunächst durfte die Disziplinarkammer die Verlesung der schriftlichen Erklärung der Zeugin F - unabhängig von vorstehenden Erwägungen - nicht zur Grundlage ihrer Feststel-lungen machen. Die schriftliche Äußerung der Zeugin blieb im Hinblick auf das Tatgeschehen unbestimmt ("Der sexuelle Missbrauch bestand in exhibitionistischem Handeln bei von innen zugesperrter Türe"). Bei der Verwendung des Begriffs "Sexueller Missbrauch" bezieht sich die Zeugin offensichtlich auf die entsprechende und bereits suggestiv gefasste Frage 4 des Anschreibens vom 14. Juni 2010 ("Sind Sie von Herrn A sexuell missbraucht worden?"). Allein aus der Verwendung des Begriffs "sexueller Missbrauch" konnte ohne ergänzende persönliche Befragung der Zeugin nicht darauf geschlossen werden, dass sexuelle Handlun-gen (welche konkret?) nicht in ihrem Einvernehmen geschahen. Auch der Umstand, dass die Zeugin bereits in ihrer schriftlichen Äußerung angegeben hatte, mit der Familie des Ange-schuldigten auch weiter befreundet gewesen zu sein (der Angeschuldigte habe ihre im Jahr 1985 nach einem Suizid verstorbene Mutter beerdigt) fand - bereits im Ermittlungsverfahren - keine Berücksichtigung und wurde nicht weiter aufgeklärt.
3.2.3.2. Die Disziplinarkammer hat weiter eine unzulässige Verknüpfung der - ohnehin nur rudimentären - Angaben der Zeuginnen F und G vorgenommen. Dies wird der Darstellung der Zeugin G, wonach sie mit dem Angeschuldigten in seinem Dienstzimmer ein Gespräch geführt und ihm gesagt habe, keine nähere Beziehung zu wünschen, was dieser fortan res-pektiert habe (Bl. 157 der Ermittlungsakte), nicht gerecht. Zum Einen ist der von der Zeugin G geschilderte Vorgang im Vergleich zu den anderen Tatvorwürfen von untergeordneter Natur und unterscheidet sich von diesen auch qualitativ. Daher kann dieser Vorfall auch nicht als ein Anhaltspunkt für ein einheitliches Tatbegehungsmuster genommen werden. Allerdings kann der Aussage der Zeugin G entnommen werden, dass der Angeschuldigte deren Willen akzeptiert hat. Hieraus ergibt sich die Frage, weshalb dies nicht auch bei den Zeuginnen E und F der Fall war. Dass diesem Umstand die Disziplinarkammer im Rahmen der Be-weisaufnahme nachgegangen ist, kann weder dem dokumentierten Gang der Verhandlung, noch den schriftlichen Urteilsgründen entnommen werden.
3.2.3.3. Keine Berücksichtigung fand weiter der Umstand, dass die Zeugin E von dem da-maligen Landesbischof als Zeugenbeistand begleitet wurde, obwohl dieser Mitglied des Lan-deskirchenrates war und an den Entscheidungen betreffend die Einleitung des Disziplinar-verfahrens gegen den Angeschuldigten mitgewirkt hatte. Die Mitwirkung an dem Verfahren in beiden Rollen steht in einem Spannungsverhältnis. Die einleitende Behörde hat auch die für den Angeschuldigten günstigen Umstände zu ermitteln (§ 12 Abs. 1 Satz 2 DiszG VELKD). Das gleichzeitige Auftreten als Zeugenbeistand erweckt den Anschein, dass dieses Anliegen verfehlt wird und es lediglich um die Verurteilung des Angeschuldigten geht. Es kann dahin-stehen, ob dieses Vorgehen unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines fairen Ver-fahrens Folgen zeitigen muss. Jedenfalls ist aber unabdingbar, die mit einem solchen Vor-gehen verbundene Gefahr einer unzulässigen Zeugenbeeinflussung im Auge zu behalten und dies im Rahmen der Vernehmung der Zeugin sowie der Würdigung ihrer Aussagen kritisch zu hinterfragen. Es ist nicht erkennbar, dass die Disziplinarkammer diesbezüglich überhaupt ein entsprechendes Problembewusstsein hatte.
3.2.3.4. Außerdem blieb ohne Berücksichtigung, dass der Angeschuldigte anlässlich seiner Vernehmung am 19. April 2010 angegeben hat, sich nach wie vor gut mit der Zeugin E zu verstehen (Bl. 88 der Ermittlungsakte). Dem hätte die Disziplinarkammer nachgehen müssen. Denn dies ist ein Gesichtspunkt, der geeignet ist, Zweifel am vollen Wahrheitsgehalt der Aussage zu wecken.
3.2.4. Auch in rechtlicher Hinsicht sind die Feststellungen der Disziplinarkammer nicht zutreffend. Das Urteil stellt - insoweit in Übereinstimmung mit der Anschuldigungsschrift - fest, dass der Angeschuldigte sich des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil der Zeuginnen C, E und F schuldig gemacht und dadurch gegen seine allgemeinen Lebensführungspflichten gemäß § 4 Abs. 2 und 3 PfG VELKD verstoßen und zudem auch mehrfach seine Ehe gebrochen und auf diese Weise gegen seine Amtspflichten aus §§ 4 Abs. 2 und 3, 51 PfG VELKD verstoßen habe. Im Hinblick auf die Zeugin G habe er sich durch den Versuch einer Beziehungsaufnahme vorsätzlich ehewidrig verhalten und dadurch gegen seine Amtspflichten aus §§ 4 Abs. 2 und 3, 51 PfG VELKD verstoßen. Diese Feststellungen werden weder durch die Begründung der Anschuldigungsschrift noch des Urteils durch eine entsprechende Begründung getragen. Es fehlt bereits an der Definition der Begriffe "sexueller Missbrauch" und "Ehebruch". Die konkreten Verletzungshandlungen sind nicht in jedem Tatkomplex hin-reichend konkret festgestellt. Vielmehr wird unreflektiert von sexuellem Missbrauch gespro-chen. Die notwendige Konturierung und Subsumtion unter einen bestimmten Tatbestand fehlt.
Im Übrigen werden sowohl in der Anschuldigungsschrift als auch in dem Urteil der Diszipli-narkammer die dem Angeschuldigten zur Last gelegten Amtspflichtverletzungen den §§ 4 und 51 des PfG VELKD in der Fassung vom 17. Oktober 1995 (ABl. VELKD Bd. VI S. 274), zuletzt geändert durch das Kirchengesetz vom 15. November 2007 (ABl. VELKD Bd. VII S. 376) entnommen. Dies berücksichtigt nicht, dass dieses Gesetz zum Zeitpunkt der dem Angeschuldigten vorgeworfenen Handlungen (1963/1964 bzw. 1975/1976) noch nicht in Kraft getreten war. Die Pflichtverstöße betreffend die Zeugin C wären nach dem PfG VELKD vom 14. Juni 1963 (ABl. VELKD Bd. III S. 14) in Verbindung mit dem Kirchengesetz der Ev.-Luth. Kirche in Bayern über die Anwendung des Pfarrergesetzes der Vereinigten Ev.-Luth. Kirche Deutschlands vom 2. März 1964 (Inkrafttreten am 1. Juli 1964, vgl. ABl. II S. 68) zu beurteilen gewesen. Die übrigen Pflichtverstöße wären nach dem PfG VELKD vom 10. November 1972 (ABl. IV S. 101) nebst der Änderungsgesetze vom 24. Oktober 1973 und 29. Oktober 1976 i.V. mit dem Zweiten Kirchengesetz über die Anwendung des Pfarrergesetzes der Vereinigten Ev.-Luth. Kirche Deutschlands in der Ev.-Luth. Kirche in Bayern vom 19. Dezember 1973 (ABl. Bd. IV S. 313) in der Fassung der Neubekanntmachung vom 9. Januar 1974 (ABl. IV S. 316) zu beurteilen gewesen. Die Bestimmungen des Kirchenbeamtengesetzes sehen die Geltung dieser Bestimmungen auch für ordinierte Kirchenbeamte und Kirchenbeamtinnen vor.
3.3. Selbst wenn aber der Senat im Ergebnis einer zu wiederholenden Beweisaufnahme ebenfalls zu der Überzeugung gelangte, dass Amtspflichtverletzungen des Angeschuldigten in dem ihm vorgeworfenen Sinne vorliegen, rechtfertigte dies in dem hier zu beurteilenden Einzelfall nicht die Entfernung des Angeschuldigten aus dem Dienst. Die Disziplinargewalt der Kirche besteht nicht schrankenlos und ohne Bindung an allgemeine Grundsätze. Sie ist daher auch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Die auszusprechende Dis-ziplinarmaßnahme muss in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Amtspflicht-verletzung stehen und zur Realisierung der mit dem Disziplinarrecht verfolgten Zwecke ge-eignet und erforderlich sein. Die Geltung dieses Grundsatzes auch im Bereich des kirchlichen Disziplinarrechts zeigt sich schon in der Abstufung der einzelnen in Betracht kommenden Disziplinarmaßnahmen im Disziplinargesetz der VELKD. Die Beachtung des Verhältnis-mäßigkeitsgrundsatzes zwingt zu einer Abwägung zwischen dem Zweck der Disziplinargewalt mit der individuellen Beeinträchtigung in der Person des oder der Angeschuldigten. Dies gilt insbesondere für die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 DiszG VELKD.
Danach unterliegen Amtspflichtverletzungen, die eine schwerere Maßnahme als die Kürzung der Dienstbezüge, des Wartegeldes oder des Ruhegehalts rechtfertigen, nicht der Verjährung. Das Disziplinargesetz der VELKD nimmt damit besonders schwer wiegende Amts-pflichtverletzungen, die zu einer Entfernung aus dem Dienst führen, von einer Verjährung aus. Das heißt aber nicht, dass wegen der fehlenden Verjährung dieser Amtspflichtverletzung gewissermaßen als Automatismus stets die schwerste der vorgesehenen Disziplinar-maßnahme zu verhängen ist. Vielmehr gewinnt hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der generell die Disziplinargewalt begrenzt, besondere Bedeutung. Je länger die Verwirkli-chung der Amtspflichtverletzung zurückliegt, die im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 2 DiszG VELKD nur noch mit der schwersten Sanktion, nämlich der Entfernung aus dem Dienst, ge-ahndet werden kann, umso sorgfältiger ist bei der erforderlichen Abwägung des Verfolgungs-interesses des Dienstherrn mit den von der Entfernung aus dem Dienst einhergehenden Auswirkungen auf den Angeschuldigten zu prüfen, ob die Zwecke des Disziplinarrechts noch die Verhängung dieser Sanktion rechtfertigen.
Grundsätzlich gilt, dass das Verfolgungsinteresse des Dienstherrn mit dem zeitlichen Abstand zu der Amtspflichtverletzung abnimmt. Aus diesem Grunde unterliegen Amtspflichtver-letzungen auch der Verjährung. Soweit § 4 Abs. 1 Satz 2 DiszG VELKD eine schwere Amts-pflichtverletzung von der Verjährung ausnimmt, besagt dies zunächst nur, dass diese noch disziplinarrechtlich geahndet werden kann. Das entbindet aber die Disziplinarbehörde und die Disziplinargerichte nicht von der Prüfung, ob die Entfernung aus dem Dienst in diesen Fällen, in denen die Verwirklichung der Amtspflichtverletzungen sehr lange Zeit - im vorliegenden Fall teilweise über vier Jahrzehnte, der letzte Tatvorwurf immerhin auch über drei Jahrzehnte - zurückliegen, unter Berücksichtigung des Einzelfalls noch durch die die Disziplinargewalt legitimierenden Zwecke geboten ist. Hier sind stets die konkreten Taten in ihrer Wertigkeit zu betrachten. Wird etwa mit der Amtspflichtverletzung zugleich vorsätzlich ein Straftatbestand verwirklicht, spricht dies in der Regel für ein besonderes Gewicht der Amtspflichtverletzung. Dies kann - in Abhängigkeit von dem durch die Verwirklichung des Straftatbestandes verletzten Rechtsgut - die Höchstmaßnahme rechtfertigen, wenn es in der Gesamtheit an hinreichend gewichtigen entlastenden Gesichtspunkten fehlt (vgl. BVerwG, NVwZ 2010, 1571 zu einem sexuellen Missbrauch im Sinne des § 176 StGB). Ohne Verwirklichung eines Straftatbestandes kann eine solche Indizierung nicht ohne weiteres angenommen werden. Maßgebend sind hier die konkrete Tatausführung, die Hintergründe und Auswirkungen sowie das Maß des den Amtsträger treffenden Verschuldens an der Verwirklichung der Amtspflichtverletzung. Die Ermittlung dieser Umstände ist stets unabdingbar, um die Wertigkeit der Amtspflichtverletzung im Hinblick auf das Verfolgungsinteresse bestimmen zu können. Auch bei sexuellen Übergriffen eines kirchlichen Amtsträgers bzw. Mitarbeiters ist stets zu ermitteln, was diesem konkret vorzuwerfen ist. Pauschale Einordnungen sind insoweit unzulässig. Es sind konkrete Feststellungen zu treffen, vor allem, zu welchen konkret missbilligten Handlungen es gekommen ist, aber auch zu den weiteren Umständen, wie etwa ihre Intensität bzw. Dauer, ihre schädlichen Auswirkungen auf die Opfer wie auch die mögliche Freiwilligkeit eines sexuellen Kontaktes und deren situative Bedingtheit. Bei lange zurückliegenden Taten sind diese Einzelheiten für die Einordnung des Gewichts und ihre Einstellung in die vorzunehmende Abwägung unverzichtbar. So mögen etwa mehrere Lie-besverhältnisse eines verheiratenden Pfarrers im aktiven Dienst die Entfernung aus diesem rechtfertigen. Liegen diese Liebesverhältnisse aber jahrzehntelang zurück und hat sich der Pfarrer seither nichts mehr zu Schulden kommen lassen, liegt offen zu Tage, dass in einem solchen Fall - trotz der in beiden Fällen als schwerwiegend anzusehenden Pflichtverletzung - das Verfolgungsinteresse des Dienstherrn nicht mehr dieselbe Intensität besitzt. Die Zwecke des Disziplinarrechts rechtfertigen dann nicht mehr notwendigerweise die Verhängung der schwerwiegendsten Disziplinarmaßnahme. Dies kann sich bei der Verwirklichung des Straf-tatbestandes, etwa der Vergewaltigung, anders darstellen. Hier kann dem Verfolgungsinte-resse auch nach einem langen zeitlichen Abstand zu der Tat erhebliches Gewicht beikom-men. Daher sind stets konkrete Feststellungen zu treffen und diese vor dem Hintergrund der die Disziplinargwalt rechtfertigenden Ziele zu prüfen. Ergibt diese Prüfung, dass eine Entfer-nung aus dem Dienst unter dem Gesichtspunkt des Verfolgungsinteresses gleichwohl noch in Betracht kommt, so hat, wenn die entsprechenden Amtspflichtverletzungen - wie hier - sehr lange Zeit zurückliegen, im Anschluss daran eine Abwägung der Disziplinarzwecke mit den von einem Verfahren und der Verhängung der Sanktion einhergehenden Folgen für den Angeschuldigten zu erfolgen, wobei danach zu fragen ist, ob die Entfernung aus dem Dienst noch als verhältnismäßig abgesehen werden kann.
3.3.1. Analysiert man die hier erhobenen Tatvorwürfe, so kann ein gewichtiges Verfol-gungsinteresse unter Berücksichtigung des lange verstrichenen Tatzeitraums nur in einem Fall festgestellt werden.
3.3.1.1. Das Verfolgungsinteresse der Kirche ist in Bezug auf den Tatkomplex G nahezu vernachlässigenswert. Die Zeugin hat in ihrer schriftlichen Aussage lediglich dargestellt, dass der Angeschuldigte "sehr gesellig" gewesen sei und sie auf einer Geselligkeit in Gegenwart Dritter auf der Synode 1976 zum Ausgehen eingeladen hätte. Sie habe "bei diesem Ausge-hen" bemerkt, dass er nicht nur mit ihr habe ausgehen wollen. Bei der darauf folgenden Sy-node sei er anlässlich eines Empfangs der Stadt "sehr zudringlich" geworden, was auch mehrere Leute am Tisch bemerkt hätten. Sie hätte daher dem Angeschuldigten in einem Gespräch in seinem Dienstzimmer gesagt, dass sie keine nähere Beziehung wünsche, was dieser fortan akzeptiert habe.
Dieser so von der Zeugin beschriebene Sachverhalt rechtfertigt die Entfernung aus dem Dienst nicht im Entferntesten, zumal offen ist, was genau die Zeugin unter "sehr zudringlich" - immerhin in der Öffentlichkeit und anlässlich eines Empfangs - versteht. Jedenfalls hat der Angeschuldigte sich ihr gegenüber nach einem klärenden Gespräch korrekt verhalten. Zu-dem hat die Zeugin selber kein Interesse an einer disziplinarrechtlichen Verfolgung des An-geschuldigten zu erkennen gegeben und auch den nun im Rahmen der Ermittlungen des Tatkomplexes C bekannt gewordenen Sachverhalt zu keinem Zeitpunkt angezeigt.
3.3.1.2. In Bezug auf den Tatkomplex F ist das Verfolgungsinteresse der Kirche gering. Die Zeugin hat die dem Angeschuldigten zur Last gelegten sexuellen Übergriffe in ihrer schriftli-chen Aussage nur pauschal umrissen ("Der sexuelle Missbrauch bestand in exhibitionisti-schem Handeln bei von innen zugesperrter Türe"). Insbesondere aber hat sie bereits in ihrer schriftlichen Erklärung betont, dass eine freundschaftliche Beziehung zwischen den Familien durch die aktive Unterstützung der mittlerweile verstorbenen Ehefrau des Angeschuldigten entstanden sei. Das Ehepaar sei zur Konfirmation ihrer Tochter eingeladen und sie sei (mit ihrer Familie) öfter in dem damaligen Wohnsitz der Familie des Angeschuldigten eingeladen gewesen. Nachdem ihre Familie nach Australien ausgewandert sei, habe sie manches ein-same Weihnachten bei der Familie des Angeschuldigten und dessen Kindern verbracht. Im Jahr 1985 habe der Angeschuldigte ihre Mutter beerdigt, die sich das Leben genommen hatte. In diesem Kontext habe es "gute Gespräche" gegeben. Hieraus ist zu entnehmen, dass für die Zeugin das Tatgeschehen nicht schwer wiegt. Ansonsten ist nicht zu erklären, dass über eine sehr lange Zeit der Kontakt zu dem Angeschuldigten samt seiner Familie aufrechterhalten wurde. Ferner hat die Zeugin von sich aus zu keinem Zeitpunkt das nun beschriebene Tatgeschehen zur Anzeige und auch noch im Berufungsverfahren deutlich zum Ausdruck gebracht, an einer mündlichen Aussage in Anwesenheit des Angeschuldigten nicht interessiert zu sein.
3.3.1.3. In Bezug auf den Tatkomplex E hat die Zeugin zwar nähere Einzelheiten der sexuel-len Belästigung durch den Angeschuldigten dargestellt. Es handelt sich hier um exhibitionis-tische Handlungen, in deren Folge die Zeugin den Angeschuldigten befriedigen habe müssen. Zu einem Geschlechtsverkehr mit ihr sei es allerdings nicht gekommen. Diesen Vorwürfen kommt durchaus auch heute noch Gewicht zu, wenn das berufliche Abhängigkeitsverhältnis in die Betrachtung eingestellt wird. Allerdings muss auch festgestellt werden, dass es innerhalb der Kirche im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Vorwürfen auch Versäumnisse gegeben haben könnte. Nach den Angaben der Zeugin hat sie den damaligen Landesbischof von einer Belästigung durch den Angeschuldigten bereits im Sommer 1976 in Kenntnis gesetzt, ohne dass dieser erkennbar Maßnahmen ergriffen oder eingeleitet hat. Ferner hat sie bekundet, dass sie später auch noch den zuständigen Personalreferenten informiert und geäußert habe, sie wolle von dem Angeschuldigten "weg". Tatsächlich hat sie den Arbeitsplatz im Januar 1977 gewechselt. Diese Vorgänge werden auch von der Ev.-Luth. Kirche in Bayern nicht in Abrede gestellt. Diese weist lediglich darauf hin, dass sich diese Schilderung heute nicht mehr aufklären lasse, da insbesondere der frühere Landesbischof mittlerweile verstorben ist. Die Darstellung der ansonsten von der Ev.-Luth. Kirche in Bayern als glaubwürdig angesehenen Zeugin ist daher zu Gunsten des Angeschuldigten zugrunde zu legen. Daher ist auch in diesem Tatkomplex das Verfolgungsinteresse der Kirche von einem geringeren Gewicht, da sie zeitnah die Verfolgung des Angeschuldigten hätte vornehmen können.
3.3.1.4. Auch wenn man in Bezug auf die vorgenannten Tatkomplexe eine Gesamtschau anstellen wollte, ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Die nach den vorstehenden Ausführun-gen als Anknüpfungspunkt für eine Entfernung aus dem Dienst allenfalls in Betracht kom-menden Tatkomplexe E und F rechtfertigen auch in der Gesamtschau nicht den Schluss, dass nach dem Verstreichen von weit über 30 Jahren seit diesen Tatvorwürfen noch ein ge-wichtiges Verfolgungsinteresse besteht, da der Angeschuldigte sich seither nichts zu Schul-den kommen lassen, sondern im Gegenteil nach den Feststellungen der Disziplinarkammer sogar erfolgreich für die Kirche gewirkt hat.
3.3.1.5. In Bezug auf den Tatkomplex der zum Nachteil der Zeugin C vorgenommenen Handlungen haben weder die Kirche, noch die Disziplinarkammer in nachvollziehbarer Weise dargestellt, welche dem Angeschuldigten vorgeworfenen Tathandlungen im Zusammenhang mit der Zeugin zugleich einen damals geltenden Straftatbestand erfüllt haben. Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die Zeugin die Tathandlungen näher beschrieben hat. So soll es u.a. dazu gekommen sein, dass der Angeschuldigte die Zeugin an und in der Scheide berührt habe und sie ihn dann mit der Hand habe befriedigen müssen. Berücksichtigt man, dass die Zeugin damals minderjährig und dem Angeschuldigten als Konfirmandin anvertraut war, so muss immer noch von einem gewichtigen Verfol-gungsinteresse der Kirche ausgegangen werden, zumal dieses Verhalten über einen längeren Zeitraum angedauert haben soll.
3.3.2. Allerdings rechtfertigt das gewichtige Verfolgungsinteresse im Tatkomplex C gleich-wohl nicht die Entfernung des Angeschuldigten aus dem Dienst, da dessen Verwirklichung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls sich wegen der Einwirkungen auf die Person des Angeschuldigten als unverhältnismäßig darstellen.
3.3.2.1. Hervorzuheben ist nicht nur das weit fortgeschrittene Alter des Angeschuldigten, sondern vor allem sein fragiler Gesundheitszustand.
Der 1923 geborene Angeschuldigte befindet sich derzeit in seinem 90. Lebensjahr. Das durch den Senat eingeholte Gutachten eines Klinikums vom 20. Juni 2012 (Bl. 328-333 d.A.) kommt im Ergebnis zu einer nur eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit des Angeschuldigten und führt aus:
"Der Patient benötigt eine Sitzgelegenheit mit halb aufrechtem Sitzen und auch die Möglichkeit, sich in den Verhandlungspausen hinlegen zu können. Die jeweilige Ver-handlungsdauer sollte eine Zeit von fiktiv einer halben bis einer Stunde nicht über-schreiten, danach müsste eine Pause eingelegt werden. Für den Transport zum Ver-handlungsort ist ein Sanitätsdienst erforderlich, da dem Angeschuldigten eine Anreise mit der Bahn oder dem PKW nicht zumutbar ist. Der Transport sollte halb sitzend bzw. liegend erfolgen."
Reisefähigkeit besteht nach den Ausführungen des Gutachters nicht mehr.
Die Ausführungen des Sachverständigen sind auch unter Berücksichtigung der bereits von der Ev.-Luth. Kirche in Bayern in Auftrag gegebenen ärztlichen Stellungnahme vom 3. No-vember 2010 sowie der vom Angeschuldigten vorgelegten ärztlichen Einschätzung vom 6. Mai 2010 (Bl. 18 der Ermittlungsakte) in sich stimmig und nachvollziehbar. Sie decken sich mit den Eindrücken des Senats von dem Angeschuldigten anlässlich des Verhandlungster-mins am 13. Februar 2013. Der körperlich äußerst gebrechliche Angeschuldigte befindet sich am Rande der Verhandlungsunfähigkeit. Er war zwar auf direkte Ansprache hin in der Lage, Fragen zu beantworten. Unangesprochen konnte er demgegenüber dem Verlauf der Ver-handlung nicht folgen und war auf eine erklärende Zusammenfassung seines Verfahrensbe-vollmächtigten angewiesen.
3.3.2.2. Angesichts dieses Gesundheitszustandes des Angeschuldigten treten die die Aus-übung der Disziplinargewalt legitimierenden Zwecke zurück.
3.3.2.2.1. Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme, vor allem der einschneidendsten, nämlich der Entfernung aus dem Dienst, kommt nicht allein um des Strafens willens in Be-tracht. Sie stellt auch nach der kirchenrechtlichen Ausgestaltung keine Sühne für begangenes Unrecht dar. Disziplinarrecht und Strafrecht sind von unterschiedlichen Zwecken geprägt. Die Kriminalstrafe dient - neben der Abschreckung und Besserung - der Sühne für begangenes Unrecht gegen den allgemeinen Rechtsfrieden. Im Strafrecht wird damit - anders als im Disziplinarrecht - in erster Linie ein gesellschaftliches Unwerturteil ausgesprochen. Es unterscheidet sich daher sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen als auch nach Wesen und Zweck grundlegend von der Disziplinarmaßnahme, welche - im staatlichen Disziplinarrecht - an einen Vertrauensverlust anknüpft und darauf ausgerichtet ist, einen geordneten und integeren Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995, BVerwGE 103, 233). Erforderlich ist daher stets eine Prüfung, ob der hinter dem Disziplinarrecht stehende Zweck die Verhängung einer entsprechenden Disziplinarmaßnahme gebietet.
Das kirchliche Disziplinarrecht dient zunächst dem Zweck, auf ein Verhalten eines kirchlichen Mitarbeiters oder einer kirchlichen Mitarbeiterin, das die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung beeinträchtigen kann, zu reagieren und dazu beizutragen, dass das Ansehen der Kirche, die Funktionsfähigkeit ihres Dienstes und eine auftragsgemäße Amtsführung gesichert ist. Dieser Zweck ist nunmehr in § 1 DG.EKD ausdrücklich erwähnt. Der Sinn und Zweck des Disziplinarrechts ist dementsprechend sowohl spezial- als auch generalpräventiv, wie auch bezogen auf die Sicherung des Ansehens der Kirche, als Institution zu sehen.
3.3.2.2.2. In spezialpräventiver Hinsicht sollen die Disziplinarmaßnahmen die Betroffenen auch im kirchlichen Recht dazu ermahnen, künftig keine Amtspflichtverletzungen mehr zu begehen. Damit wird dem Erziehungszweck eine große Bedeutung zugewiesen. Der Bereich, innerhalb dessen auf die Amtsträger erzieherisch eingewirkt werden kann, ist weiter als nach dem staatlichen Disziplinarrecht und erfasst auch Verhaltensweisen, die dort nicht als dienstbezogen angesehen werden. Neben diesem spezialpräventiven Zweck tritt eine generalpräventive Ausrichtung. Auch für den kirchlichen Bereich gilt, dass durch die Verhän-gung von Disziplinarmaßnahmen gegen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die ihre Amtspflicht verletzt haben, andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen davon abgeschreckt werden sollen, selbst eine Amtspflichtverletzung zu begehen.
Der spezialpräventive Zweck des kirchlichen Disziplinarrechts ist vorliegend ohne Bedeutung. Der lang zurückliegende Zeitraum der Tatvorwürfe legt bereits nahe, dass eine Einwirkung auf den Angeschuldigten zum Zwecke der Einhaltung seiner Amtspflichten nicht mehr angezeigt ist. Auch befindet er sich seit 1988 im Ruhestand. Eine Amtspflichtverletzung, ins-besondere in Form sexueller Übergriffe, ist daher, zumal in Anbetracht seines fortgeschritte-nen Alters und seiner gesundheitlichen Situation, nicht zu erwarten.
Der generalpräventive Aspekt, nämlich das Abhalten anderer Funktionsträger der Kirche von Amtspflichtverletzungen, vermag allein die Entfernung des Angeschuldigten aus dem Dienst nicht zu rechtfertigen. Dass sexuelle Übergriffe durch Inhaber von Kirchenämtern von der Kirche nicht geduldet und von ihr grundsätzlich mit der ultima ratio des Disziplinarrechts ge-ahndet werden können, steht außer Frage. Einer Abschreckung anderer Amtsträger hinsicht-lich der Begehung solcher Taten durch die Verhängung dieser Sanktion gerade gegenüber dem Angeschuldigten bedarf es daher aus generalpräventiven Gründen nicht.
3.3.2.2.3. Neben diese Zwecke tritt - ebenso wie im staatlichen Disziplinarrecht - der Gedan-ke, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen als ungeeignet aus dem Dienst ausscheiden, wenn sie nicht mehr tragbar sind (Reinigungsfunktion; vgl. hierzu: Strietzel, Das Disziplinarrecht der deutschen Landeskirchen und ihrer Zusammenschlüsse, 1988, S. 29-32). Demzufolge ist zu fragen, ob das Interesse der Kirche an der Aufrechterhaltung ihrer Funktionsfähigkeit und Integrität die Verhängung der erstrebten Maßnahme auch unter Berücksichtigung der aufge-zeigten persönlichen Umstände auf Seiten des Angeschuldigten rechtfertigen kann. Diese Frage ist zur Überzeugung des Senats zu verneinen.
Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Angeschuldigte schon in Anbetracht seines hohen Alters und seiner Gebrechlichkeit für die Kirche nicht mehr wesentlich in Erscheinung treten kann. Diese wird sich, wenn überhaupt, in einem Hinweis auf seinen Ruhestand er-schöpfen. Der hiervon ausgehende Selbstreinigungseffekt zur Wahrung der Glaubwürdigkeit der Kirche ist in Anbetracht des Alters und des Gesundheitszustandes des Angeschuldigten unverhältnismäßig. Zu berücksichtigen ist, dass bereits die Durchführung eines sachgerech-ten Verfahrens durch den Senat, bedingt durch den Gesundheitszustand des Angeschuldig-ten, nicht gewährleistet werden kann. Zwar hindert eine Verhandlungsunfähigkeit des Ange-schuldigten dessen Durchführung im Grundsatz nicht. Allerdings handelt es sich hier um Tatvorwürfe, für die lediglich die als Opfer benannten Frauen als Zeuginnen zur Verfügung stehen. Diese sind die einzigen Beweismittel. Der Angeschuldigte kann deren Bekundungen auch nur entkräften, wenn er selbst in der Lage ist, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit kann der persönliche Eindruck des Angeschuldigten von entscheidender Bedeutung sein. Ihm muss daher als Mindestanforderung zumindest die Gelegenheit eingeräumt werden, persönlich zu den Aussagen der Zeuginnen Stellung zu nehmen. Die Bestellung eines bloßen Vertreters kann diese Aufgabe nicht erfüllen. Der An-geschuldigte ist zum Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Lutherischen Senat er-schienen und war erkennbar willens, eine eigene Darstellung geben zu wollen. Angesichts des Gesundheitszustandes des Angeschuldigten und seines persönlichen Eindrucks bestehen jedoch erhebliche Zweifel daran, dass der Angeschuldigte den Ausführungen der Zeugen hätte folgen und in einer der Bedeutung der Sache angemessenen Weise eine eigene Einlassung hätte geben können. Der Angeschuldigte befindet sich am Ende seines Lebens und aufgrund seines aktuellen Gesundheitszustandes am Rande der Verhandlungsunfähig-keit. Zur Stärkung der Glaubwürdigkeit und Integrität der Kirche trägt die Durchführung eines Verfahrens, in dem eine Wahrheitsfindung erheblichen Einschränkungen unterliegen kann und dessen Durchführung im Hinblick auf den Gesundheitszustand bereits am Rande der Zumutbarkeit für den Angeschuldigten liegt, nicht wesentlich bei.
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Kirche ihre Funktionsfähigkeit zunächst einmal dadurch unter Beweis gestellt, dass sie unmittelbar nach Eingang einer entsprechenden An-zeige durch die Zeugin C disziplinarrechtliche Ermittlungen eingeleitet, durchgeführt und auch zügig zum Abschluss gebracht hat. Die eidesstattliche Erklärung der Zeugin C vom 17. März 2010 ging am 22. März 2010 ein (Bl. 51-53 der Ermittlungsakte). Das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen wurde am 2. Juli 2010 gefertigt und die Anschuldigungsschrift am 4. Oktober 2010 verfasst. Die Kirche ist also tätig geworden und hat sich um eine Aufklärung bemüht. Wenn diese aufgrund des Gesundheitszustandes des sich ohnehin in einem hohen Alter befindlichen Angeschuldigten an ihre Grenze stößt, rechtfertigt die Wahrung der Integri-tät der Kirche nicht die weitere Durchführung des Verfahrens.
Hinzu kommt, dass auch die Kirche die Wahrung der Integrität und der Glaubwürdigkeit der Kirche bei der Durchführung des Verfahrens nicht ausdrücklich in den Vordergrund gestellt hat. Dies erfolgte auch nicht im Rahmen der mündlichen Verhandlung, in der der Senat aus-drücklich die Frage der Verhältnismäßigkeit und der Einstellung des Verfahrens erörtert hat. Vielmehr richtet sich der Focus der Kirche auf das Interesse der als Opfer benannten Zeu-ginnen an der Aufklärung der Vorwürfe. Dies ist aber kein legitimer Disziplinarzweck.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Angeschuldigte mit einem Makel behaftet bleibt. Auch wenn der Sühnegedanke hier keine Rolle spielt, ist doch festzustellen, dass der Ange-schuldigte nach wie vor in seiner Heimatstadt lebt und durch entsprechende Presseveröffent-lichungen, die jedenfalls nicht nur von ihm initiiert gewesen sein mögen, eine größere Allge-meinheit von den Tatvorwürfen, die Gegenstand des Disziplinarverfahrens sind, erfahren hat. Unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens ist davon auszugehen, dass sein Name bis an sein Lebensende mit diesen Vorwürfen in Zusammenhang gebracht wird und dieser Eindruck seine Leistungen für die Kirche überwiegt. Dies wird noch unterstützt dadurch, dass die Disziplinarkammer eine Bekanntgabe des erstinstanzlichen Urteils nach § 77 DiszG VELKD angeordnet hat.
Nach alledem stellt sich die weitere Durchführung des Verfahrens als unverhältnismäßig dar. Es war daher einzustellen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 119 Abs. 1 DiszG VELKD.