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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:27.01.2012
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/T27-11
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 42 Buchstabe a), SGB II § 16d
Vorinstanzen:Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche, 3 KG 19/2010
Schlagworte:Einstellung von Ein-Euro-Kräften
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Leitsatz:

Nach § 42 Buchstabe a) MVG.EKD unterliegt die "Einstellung" von Ein-Euro-Kräften (§ 16d SGB II) der Mitbestimmung durch die Mitarbeitervertretung.

Tenor:

Die Beschwerde der Dienststellenleitung gegen den Beschluss des Kirchengerichts für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche vom 23. Juni 2011 - Az. 3 KG 19/2010 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragstellerin hinsichtlich der "Einstellung" von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach § 16d SGB II (sog. "Ein-Euro-Kräfte") in Dienststellenteilen des beteiligten Kirchenkreises, die dem ehemaligen Kirchenkreis D zugeordnet waren, das Mitbestimmungsrecht nach § 42 Buchstabe a) MVG.EKD zusteht. § 16d SGB II (Neufassung vom 13. Mai 2011, BGBl. I, S. 850) lautet:
"Arbeitsgelegenheiten
Für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die keine Arbeit finden können, sollen Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Werden Gelegenheiten für im öffentlichen Interesse liegende, zusätzliche Arbeiten gefördert, ist den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zuzüglich zum Arbeitslosengeld II eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen zu zahlen; diese Arbeiten begründen kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts; die Vorschriften über den Arbeitsschutz und das Bundesurlaubsgesetz mit Ausnahme der Regelungen über das Urlaubsentgelt sind entsprechend anzuwenden; für Schäden bei der Ausübung ihrer Tätigkeit haften erwerbsfähige Leistungsberechtigte nur wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer."
Diese Bestimmung stimmt im hier interessierenden Zusammenhang mit ihrer Vorgängerbestimmung § 16 Abs. 3 SGB II überein.
In einem vorangegangenen Rechtsstreit über die Frage der Mitbestimmung bei der Schaffung und Besetzung von Arbeitsgelegenheiten i.S. des § 16 Abs. 3 SGB II (a.F.) haben die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin und das Diakoniewerk des Kirchenkreises D auf Vorschlag des Kirchengerichts vom 4. Juli 2007 eine vergleichsweise Einigung darüber erzielt, dass bei der Einstellung von Teilnehmern an solcher Arbeitsgelegenheit nicht das Mit-bestimmungsverfahren nach § 42 Buchstabe a) MVG.EKD, sondern eine modifizierte Beteiligung der Mitarbeitervertretung durchgeführt werde. Im Zuge der organisatorischen Neuordnung der Kirchenkreise im Wege der Zusammenlegung haben die u.a. Rechtsvorgänger der Beteiligten am 12. November 2007 eine "Dienstvereinbarung über die Aufhebung und Neuverhandlung bestehender Dienstvereinbarungen" geschlossen, nach deren Nr. (1)
" … sämtliche bestehenden Dienstvereinbarungen, die .. in den Kirchenkreisen D … Gültigkeit haben, hiermit einvernehmlich spätestens zum 30.04.2009 unter Ausschluss ihrer Fortgeltung und einer etwaigen Nachwirkung aufgehoben werden".
Der beschwerdeführende Kirchenkreis ist der Ansicht, die Einstellung von Ein-Euro-Kräften falle nicht unter § 42 Buchstabe a) MVG.EKD. Er hat sich nach der Zusammenlegung der Kirchenkreise lediglich bereiterklärt, das im Vergleich vereinbarte Verfahren hinsichtlich des vormaligen Kirchenkreises D durchzuführen, weil beide Seiten hieran kraft Rechtsnachfolge gebunden seien.
Die antragstellende Mitarbeitervertretung ist der Ansicht, der vormalige gerichtliche Vergleich sei durch die Dienstvereinbarung vom 12. November 2007 beseitigt worden. Die Einstellung von Ein-Euro-Kräften falle unter § 42 Buchstabe a) MVG.EKD. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Antragstellerin im ersten Rechtszug wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen vom 17. November 2010 und 20. April 2011 Bezug genommen.
Sie hat beantragt,
festzustellen, dass die Dienststellenleitung verpflichtet ist, vor der Einstellung von sog. Ein-Euro-Kräften in Dienststellenteilen, die dem ehemaligen Kirchenkreis D zugeordnet waren, bei der Antragstellerin das Mitbestimmungsverfahren nach §§ 42 Buchstabe a), § 41 MVG.EKD durchzuführen.
Die Dienststellenleitung hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hält das Begehren der Antragstellerin nach näherer Maßgabe ihrer erstinstanzlichen Schriftsätze nebst Anlagen vom 6. und 22. Dezember 2010 sowie vom 18. März 2011 für unbegründet.
Das Kirchengericht hat dem Antrag der Mitarbeitervertretung mit seinem Beschluss vom 23. Juni 2011 stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Dienststellenleitung.
Sie wiederholt und vertieft ihre Ansicht nach näherer Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 12. Juli und 6. September 2011 und beantragt,
den angefochtenen Beschluss abzuändern und den Antrag der Mitarbeitervertretung zurückzuweisen.
Die antragstellende Mitarbeitervertretung beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt mit dem Inhalt ihres Schriftsatzes vom 20. Januar 2012 den angefochtenen Beschluss.
Der Senat hat die Beschwerde zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 16. Dezember 2011).
II. Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Vorinstanz hat dem Antrag zu Recht stattgegeben. Die "Einstellung" sog. Ein-Euro-Kräfte unterliegt dem Mitbestimmungsrecht nach § 42 Buchstabe a) MVG.EKD.
1. Nach § 42 Buchstabe a) MVG.EKD unterliegt die "Einstellung" von Ein-Euro-Kräften (§ 16d SGB II) der Mitbestimmung durch die Mitarbeitervertretung.
a) Unerheblich ist, dass die Dienststelle mit sog. Ein-Euro-Kräften keinen privatrechtlichen Dienstvertrag schließt, sondern ihr diese Kräfte - wenn auch mit ihrer Zustimmung - durch Verwaltungsakt öffentlich-rechtlich zugewiesen werden, ohne dass ein Arbeitsvertrag oder dass durch den Verwaltungsakt ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis mit der Dienststelle entsteht.
Eine Einstellung i.S. des § 42 Buchstabe a) MVG.EKD setzt nicht voraus, dass sie auf der Grundlage eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages mit der "einstellenden" Dienststelle erfolgt. Zwar könnten die Überschrift und der Eingangssatz des § 42 MVG.EKD dies nahe legen: Ein Vergleich mit der Überschrift und dem Eingangssatz des § 43 MVG.EKD macht indessen deutlich, dass damit nur zwischen der Mitarbeit auf privatrechtlicher Grundlage und der in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis ("Kirchenbeamte") unterschieden werden soll (KGH.EKD, Beschluss vom 24. Mai 2011 - I-0124/S66-10 - www.ekd.de).
b) Eine mitbestimmungspflichtige Einstellung i.S.v. § 42 Buchstabe a) MVG.EKD liegt auch dann vor, wenn ein nicht von der Dienststelle angestellter Mensch so in den Betrieb der Dienststelle eingegliedert ist, dass er - an die Weisung der Dienststellenleitung gebunden - eine Tätigkeit zu verrichten hat, die der Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebs dient und von der Dienststellenleitung organisiert werden muss (vgl. KGH.EKD (vormals VerwG.EKD), Beschluss vom 7. März 2002 - I-0124/F35-01 - ZMV 2003, 125; Beschluss vom 5. Juni 1997 - 0124/B11-97 - ZMV 1998, S. 136).
c) So liegen die Verhältnisse auch bei den sog. Ein-Euro-Kräften, mögen sie auch Tätigkeiten ausüben, die als im öffentlichen Interesse liegende, zusätzliche Arbeiten zu qualifizieren sein sollen. Der Umstand, dass die Arbeiten "zusätzlich" sein müssen, gilt der politischen Abgrenzung dieser Tätigkeiten von solchen, die üblicherweise von im Wettbewerb stehenden Unternehmen und Einrichtungen angeboten und durchgeführt werden. Aus dem Merkmal der "Zusätzlichkeit" lässt sich jedoch nicht folgern, dass schon deshalb keine "Einstellung" (§ 42 Buchstabe a) MVG.EKD) vorliege.
d) Die Dienststelle, bei der die Ein-Euro-Kraft ihre Arbeitsgelegenheit erhält, stellt eben diese Kraft ein. Sie ist - in der Sprache des SGB II - der Maßnahmeträger. Beim Einsatz Leistungsberechtigter nach § 16d Satz 2 SGB II steht es dem Maßnahmeträger frei, einen ihm vom Leistungsträger vorgeschlagenen Bewerber abzulehnen. Wird der Leistungsberechtigte auf Grund einer Eingliederungsvereinbarung, durch Verwaltungsakt oder sonstiges Verwaltungshandeln einem Arbeitgeber als Maßnahmeträger zugewiesen, so bindet dies den Maßnahmeträger nicht (BAG, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - 1 ABR 60/06 - NZA 2008, 244; BVerwG, Urteil vom 21. März 2007 - 6 P 4/06 - ZTR 2007, 404). Die für die Arbeitsgelegenheit grundlegende Eingliederungsvereinbarung wird zwischen dem Leistungsträger und dem Leistungsberechtigten geschlossen. Der Maßnahmeträger wird dadurch nicht verpflichtet. Anderenfalls wäre die Vereinbarung als öffentlich-rechtlicher Vertrag zu Lasten Dritter nichtig, es sei denn, der Maßnahmeträger hätte hierzu gemäß § 57 Abs. 1 SGB X seine schriftliche Zustimmung erklärt. Adressat des ersatzweise nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II ergehenden Verwaltungsakts ist nur der erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Die Regelungen in den §§ 15, 16d SGB II enthalten keine Rechtsgrundlage, nach welcher der Leistungsträger befugt wäre, dem Maßnahmeträger gegen seinen Willen einen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zuzuweisen (BAG, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - a.a.O.). Daran ändert nichts, dass zwischen Leistungsträger und Maßnahmeträger ein Vertrag nach § 17 SGB II zu schließen ist. Einem solchen Vertrag kommt keine, die Auswahl durch den Maßnahmeträger, welchen Leistungsberechtigten er einstellt, und damit das bei ihm bestehende Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Einstellung von Leistungsberechtigten, ausschließende Wirkung zu. Vielmehr bleibt es Sache des Maßnahmeträgers, eine solche Auswahl zu treffen.
2. Das Mitbestimmungsrecht des § 42 Buchstabe a) MVG.EKD bei der Einstellung von Ein-Euro-Kräften ist für die Antragstellerin nicht hinsichtlich der Dienststellenteile, die dem ehemaligen Kirchenkreis D zugeordnet waren, durch den Vergleich vom 4. Juli 2007 ausgeschlossen. Dieser Vergleich ist durch die anlässlich der Zusammenlegung der Kirchenkreise abgeschlossenen Dienstvereinbarung vom 12. November 2007 einvernehmlich aufgehoben worden. Der Vergleich vom 4. Juli 2007 stellt - unbeschadet der Frage seiner Form - der Sache nach nichts Anderes als eine Dienstvereinbarung dar. Ein stärkerer Bestandsschutz oder gar ein ewiger Bestand kommt der Vereinbarung nicht schon deshalb nicht zu, weil sie nicht mehr als nur einen Vergleich auf Anregung des Kirchengerichts darstellt. Einen Rechtssatz, aus dem Anderes folgen könnte, gibt es nicht.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).