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Kirchengericht:Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:14.03.1996
Aktenzeichen:VerwG.EKD 0124/10-95
Rechtsgrundlage:MVG.EKD §§ 38, 41, 45, 46, 65, MAVG.NEK (vom 20. Januar 1985) § 44, ÜbernG NEK (vom 5. Februar 1994), § 12 Abs. 2
Vorinstanzen:Schlichtungsstelle nach dem MVG der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche, Az.: 47/95; Fundstelle: Die Mitarbeitervertretung 4/96 S.191
Schlagworte:Eingeschränkte Mitbestimmung der MAV bei außerordentlichen Kündigungen aus wichtigem Grund
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Leitsatz:

Die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund seitens des Dienstgebers unterliegt im Bereich der Nordelbischen Kirche nicht der eingeschränkten Mitbestimmung durch die Mitarbeitervertretung, sondern stellt einen Fall der Mitberatung nach § 46 Buchst. b) in Verbindung mit § 45 MVG.EKD dar.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß der Schlichtungsstelle der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche vom 20. Juli 1995 - 47/95 - wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Gegenstandswert wird auf 24.000,- DM festgesetzt.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob in der Nordelbischen Kirche (NEK) die Dienststellenleitung das Verfahren nach § 38 MVG.EKD einhalten muß, wenn die Mitarbeitervertretung (MAV) die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung verweigert, insbesondere darüber, ob der Katalog der eingeschränkten Mitbestimmung nach § 41 MVG.EKD durch das Kirchengesetz über die Zustimmung zum Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (Kirchengesetz zum Mitarbeitervertretungsgesetz - KGMVG) vom 5. Februar 1994 - im folgenden kurz ÜbernG NEK - entsprechend erweitert worden ist.
Antragstellerin und Beschwerdeführerin ist die Mitarbeitervertretung des Kirchenkreises A.
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin ist die Gemeinde C. Sie beabsichtigte, der bei ihr im Pflegedienst beschäftigten Mitarbeiterin Frau E außerordentlich aus wichtigem Grund zu kündigen. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 19. Juni 1995 teilte sie ihre Kündigungsabsicht der Antragstellerin unter Darlegung der Gründe mit. Zugleich bat sie unter Abkürzung der Frist auf drei Arbeitstage um Stellungnahme nach §§ 46 Buchst. b), 45 MVG.EKD.
Mit Antwortschreiben vom 22. Juni 1995 verweigerte die Antragstellerin die Zustimmung unter Berufung auf § 41 Abs. 1 Buchst. a) und b), Abs. 3 MVG.EKD in Verbindung mit § 12 Abs. 2 ÜbernG NEK und § 44 Abs. 5 MAVG.NEK. In ihrem weiteren Schreiben vom 23. Juni 1995 erklärte die Antragsgegnerin die Erörterung der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung für beendet. Noch am selben Tag kündigte sie der Frau E fristlos.
Mit Schreiben vom 30. Juni 1995 rief die Antragstellerin die Schlichtungsstelle an. Sie hat vorgetragen, die Antragsgegnerin hätte das Verfahren nach § 38 MVG.EKD einhalten müssen. Da das nicht geschehen sei, sei die ausgesprochene Kündigung rechtsunwirksam. Der Katalog der eingeschränkten Mitbestimmung nach § 41 MVG.EKD sei durch das ÜbernG NEK in Verbindung mit § 44 Abs. 5 MAVG.NEK vom 20. Januar 1985 erweitert worden.
Die Antragsgegnerin hat demgegenüber vorgetragen, sie habe der Mitarbeiterin Frau E ohne Einhaltung des Verfahrens nach § 38 MVG.EKD fristlos kündigen dürfen. Durch das Übernahmegesetz der NEK sei der Katalog der eingeschränkten Mitbestimmung nach § 41 MVG.EKD nicht erweitert worden. Es habe sich mithin vorliegend um einen Fall der Mitberatung nach §§ 45, 46 Buchst. b) MVG.EKD gehandelt.
Die Schlichtungsstelle hat durch Beschluß vom 20. Juli 1995 festgestellt, die außerordentliche Kündigung unterliege nicht der eingeschränkten Mitbestimmung nach §§ 41 Abs. 1, 42 MVG.EKD in Verbindung mit § 65 Abs. 2 MVG.EKD, § 12 Abs. 2 ÜbernG NEK, sondern stelle einen Fall der Mitberatung nach § 46 Buchst. b) MVG.EKD dar. Zur Begründung hat sie im wesentlichen ausgeführt: Die durch § 12 Abs. 2 ÜbernG NEK angeordnete Erweiterung des Katalogs der eingeschränkten Mitbestimmung nach § 41 MVG.EKD um die Fälle der Mitwirkung nach § 44 MAVG.NEK beschränke sich auf Absatz 1 dieser Vorschrift. Sie erstrecke sich nicht auf die Absätze 3 bis 5, bei denen es sich nicht um Fälle der Mitwirkung, sondern um Fälle der Mitberatung in der Terminologie des MVG.EKD handele. Von Mitwirkung sei ausdrücklich auch in § 44 Abs. 1 MAVG.NEK die Rede. Aus der in diesem Punkt weitergehenden Überschrift der Norm könne nichts anderes hergeleitet werden. Entscheidend sei der konkrete Regelungsgehalt der einzelnen Absätze.
Gegen die am 17. August 1995 zugestellte Entscheidung der Schlichtungsstelle hat die Antragstellerin mit einem am 11. September 1995 eingegangen Schriftsatz vom 8. September 1995 Beschwerde eingelegt, die sie mit weiterem Schriftsatz vom 27. Oktober 1995, eingegangen am 30. Oktober 1995, begründet hat.
Nachdem das Arbeitsverhältnis zwischen der Antragsgegnerin und Frau E durch Prozeßvergleich vor dem Arbeitsgericht vom 18. August 1995 am 30. Juni 1995 geendet hat und dadurch das Ausgangsverfahren erledigt ist, begehrt die Antragstellerin nunmehr die allgemeine Feststellung, daß bei Zustimmungsverweigerung seitens der MAV das Verfahren nach § 38 MVG.EKD einzuhalten sei.
Sie ist der Auffassung, § 44 MAVG.NEK regele insgesamt Fälle der Mitwirkung, mithin nicht nur in Absatz 1 dieser Vorschrift, auch wenn in den Absätzen 3 bis 5 hinsichtlich des Verfahrens besondere Anforderungen gestellt würden. Nicht nur der Wortlaut von § 12 Abs. 2 ÜbernG NEK, sondern auch die Überschrift des § 44 MAVG.NEK spreche für die von ihr vertretene Auffassung, daß der Katalog der eingeschränkten Mitbestimmung ohne Einschränkung um den vollständigen § 44 MAVG.NEK zur Erhaltung der bisherigen Beteiligungsrechte habe erweitert werden sollen.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin beantragt,
1. den Beschluß der Schlichtungsstelle nach dem MVG vom 20. Juli 1995 aufzuheben,
2. festzustellen, daß außerordentliche Kündigungen der eingeschränkten Mitbestimmung gemäß den §§ 41 Abs. 1 MVG.EKD in Verbindung mit 65 Abs. 2 MVG.EKD, 12 Abs. 2 ÜbernG NEK unterliegen.
Die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.
Sie trägt dazu vor: Bei der alten Regelung des § 44 Abs. 5 MAVG.NEK habe es sich um eine besondere Beteiligung in Form der Anhörung gehandelt. In diesem Sinne sei das Beteiligungsrecht der Mitarbeitervertretung von den Beteiligten auch in der Vergangenheit gehandhabt worden. Wäre die Auffassung der Antragstellerin richtig, würde dieses Anhörungsrecht zu einem Recht auf eingeschränkte Mitbestimmung im Sinne von § 41 MVG.EKD aufgewertet. Zweck des ÜbernG NEK sei insoweit jedoch lediglich die Erhaltung der bisherigen Beteiligungsrechte, wie sich dem Wortlaut des § 12 Abs. 2 entnehmen lasse. Zutreffend sei daher allein die von der Schlichtungsstelle vertretene Rechtsauffassung. Auf die Überschrift des § 44 MAVG.NEK könne sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg berufen; hier habe der Gesetzgeber seinerzeit redaktionell nicht gründlich gearbeitet.
II. Die Beschwerde der Mitarbeitervertretung ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Statthaftigkeit der Beschwerde ergibt sich aus § 63 Abs. 1 Buchst. a) MVG.EKD. Danach ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben gegen Entscheidungen der Schlichtungsstelle darüber, ob eine Maßnahme im Einzelfall der Mitberatung oder Mitbestimmung unterliegt. Die Beschwerde ist weiter form- und fristgerecht innerhalb der Monatsfrist des § 63 Abs. 3 MVG.EKD eingegangen und rechtzeitig begründet worden, so daß sie sich insgesamt als zulässig erweist.
2.1 Der von der Mitarbeitervertretung gestellte Antrag ist in der geänderten Fassung zulässig. Das Rechtsschutzinteresse an der begehrten Entscheidung, das Voraussetzung der begehrten Feststellung ist (vgl. BAG v. 01.12.1961, AP Nr. 1 zu § 80 ArbGG 1953), liegt vor. Im Kirchenkreis A werden gleiche Streitfälle wieder auftreten, so daß die Beteiligten ein erhebliches Interesse an der Klärung der durch den Antrag der Mitarbeitervertretung aufgeworfenen Rechtsfrage haben. Für die Bejahung des Rechtsschutzinteresses genügt aber bereits die Möglichkeit, daß im Betrieb gleiche oder ähnliche Streitfälle wieder auftreten können (vgl. BAG v. 13.09.1977, AP Nr. 1 zu § 42 BetrVG 1972; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., Rn. 23 zu § 81, m. Nachw.).
2.2 Außerordentliche Kündigungen unterliegen nicht der eingeschränkten Mitbestimmung gemäß § 41 Abs. 1 MVG.EKD. Das Beteiligungsrecht nach § 44 Abs. 5 MAVG.NEK ist nicht durch § 12 Abs. 2 ÜbernG NEK zu einem eingeschränkten Mitbestimmungsrecht aufgewertet worden.
Die Schlichtungsstelle hat mit zutreffenden Gründen angenommen, daß § 44 Abs. 5 MAVG.NEK keinen Fall der Mitwirkung dargestellt. Die hier geregelte Anhörung der Mitarbeitervertretung vor fristlosen Entlassungen, außerordentlichen Kündigungen und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit ist § 78 Abs. 3 BPersVG nachgebildet. Sie entspricht zudem im wesentlichen § 102 Abs. 1 BetrVG. Die Anhörung ist ein stärkeres Beteiligungsrecht als die bloße Unterrichtung. Sie hat den Sinn, der Mitarbeitervertretung Gelegenheit zu geben, eigene Überlegungen zur Kündigungsabsicht des Dienstgebers anzustellen und diesem mitzuteilen (vgl. BAG v. 19.08.1975, BAGE 27, 218, 226 = AP Nr. 1 zu § 105 BetrVG 1972). Die Anhörung hat aber nicht die rechtliche Qualität einer Mitbestimmung, sofern man darunter die Regelung der betreffenden Angelegenheit durch beide Betriebsparteien (Dienststellenpartner) oder zumindest die Notwendigkeit der Zustimmung der Mitarbeitervertretung zu einer von der Dienststellenleitung geplanten Maßnahme (vgl. § 38 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD) versteht. Vor dem Übernahmegesetz der NEK vom 5. Februar 1994 ist § 44 Abs. 5 MAVG.NEK auch lediglich im Sinne eines Anhörungsrechts verstanden und praktiziert worden. Davon ist nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vor der beschließenden Kammer auszugehen.
Regelt § 44 Abs. 5 MAVG.NEK aber lediglich die schwache Beteiligungsform der Anhörung der Mitarbeitervertretung, ist es durch § 12 Abs. 2 ÜbernG NEK nicht zur Erweiterung des Katalogs der eingeschränkten Mitbestimmung gemäß § 41 Abs. 1 MVG.EKD gekommen. Vor allem der Zweck des Übernahmegesetzes läßt keine andere Annahme zu. Für die Auslegung eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende, objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt (BVerfG v. 15.12.1959, BVerfGE 10, 234, 244; BGH v. 30.06.1966, BGHZE 46, 74, 76). Der Zweck des Übernahmegesetzes, mithin der objektivierte Wille des Gesetzgebers, kommt aber bereits im Wortlaut des Gesetzes selbst zum Ausdruck. Danach geht es um die "Erhaltung der bisherigen Beteiligungsrechte". Demgegenüber käme man mit der Antragstellerin zu dem Ergebnis, daß aus der schwachen Form der bloßen Beteiligung der Mitarbeitervertretung ein Mitbestimmungsrecht geworden wäre, wenn auch in der Form der eingeschränkten Mitbestimmung nach § 41 Abs. 1 MVG.EKD. Das hätte die weitere Konsequenz, daß das Verfahren nach § 38 MVG.EKD einzuhalten wäre, weil § 41 Abs. 3 MVG.EKD die entsprechende Anwendung des § 38 MVG.EKD anordnet. Da dies aber erheblich über den Zweck des Übernahmegesetzes hinausginge, erweist sich die von der Schlichtungsstelle vertretene Auffassung als richtig. Im übrigen hat die Antragsgegnerin zutreffend darauf hingewiesen, daß die Mitberatung nach §§ 45, 46 Buchst. b) MVG.EKD, die im Falle einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung stattzufinden hat, gegenüber der bisherigen Anhörung ein "Mehr" darstellt, insofern die beabsichtigte Maßnahme auf Verlangen der Mitarbeitervertretung mit dieser "zu erörtern" ist, wie § 45 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD ausdrücklich bestimmt.
2.3 Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 Abs. 2 VGG.EKD. Der Gegenstandswert ist nach § 8 Abs. 2 BRAGO festgesetzt worden. Dabei war die besondere Bedeutung der Sache zu berücksichtigen.