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Kirchengericht:Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:14.03.1996
Aktenzeichen:VerwG.EKD 0124/13-95
Rechtsgrundlage:MVG.EKD §§ 54, 55, 20; §§ 60, 61, 63; § 10 Abs. 1 Buchst. b), ÜbernG Mecklenburg § 3, VGG.EKD §§ 3, 13, VerwGO § 130 Abs. 1, BRAGO § 8 Abs. 2
Vorinstanzen:Schlichtungsstelle nach dem MVG der Ev.-Luth. Landeskirche Mecklenburgs, Entsch. v. 25.10.1995; Fundstellen: Rechtsprechungsbeilage zum Amtsblatt der EKD 1997 S. 31; Die Mitarbeitervertretung 4/96 S. 193
Schlagworte:Aktivlegitimation des Gesamtausschusses der Mitarbeitervertretungen für ein Verfahren nach § 3 ÜbernG Mecklenburg oder nach § 60 Abs. 1 MVG
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Leitsatz:

Der Gesamtausschuß der Mitarbeitervertretungen hat gegenüber der Schlichtungsstelle kein eigenes Antragsrecht für die in § 60 Abs. 1 MVG aufgezählten Angelegenheiten. Seine Zuständigkeit ist, soweit nicht anders bestimmt, begrenzt auf die Funktion eines Beraters und Ansprechpartners für die Mitarbeitervertretungen.

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird die Entscheidung der Schlichtungsstelle vom 25. Oktober 1995 aufgehoben. Im übrigen wird der Antrag des Antragstellers zurückgewiesen.
2. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht haben die Antragsgegner je zur Hälfte zu tragen.
3. Der Gegenstandswert wird auf 8.000,- DM festgesetzt.

Gründe:

I. Der Antragsteller macht geltend, § 10 Abs. 1 Buchst. b) MVG.EKD verstoße insoweit gegen vorrangiges staatliches Recht und sei daher insoweit rechtsunwirksam, als nach dieser Vorschrift wählbar zur Mitarbeitervertretung nur solche Wahlberechtigten sein können, die Glieder einer christlichen Kirche oder Gemeinschaft sind, welche der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angeschlossen ist (sogenannte ACK-Klausel).
Antragsteller ist der Gesamtausschuß der Mitarbeitervertretungen A. Er hat mit Schriftsatz vom 24. Juni 1995 die Schlichtungsstelle angerufen mit dem Antrag, diese möge entscheiden, daß (im Bereich der Antragsgegner) von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Buchst. b) MVG.EKD auf Dauer abgesehen werden solle.
Die Schlichtungsstelle ist am 25. Oktober 1995 zusammengetreten. Das berichtigte Protokoll der Sitzung (datiert vom 9. November 1995) nimmt Bezug auf den Antrag des Gesamtausschusses, es ist ihm aber nicht zu entnehmen, welche Anträge die Beteiligten gestellt haben, ob sie in einer mündlichen Verhandlung angehört worden sind und was sie bei einer Anhörung vorgetragen haben. Einen förmlichen Beschluß hat die Schlichtungsstelle nicht verkündet, vielmehr das "Ergebnis" ihrer "Beratung" wie folgt zusammengefaßt:
Die Schlichtungsstelle ist an das Mitarbeitervertretungsgesetz und das dazugehörige Übernahme- und Ausführungsgesetz gebunden, so daß eine völlige Aussetzung des § 10 Abs. 1 Buchst. b durch die Schlichtungsstelle nicht beschlossen werden kann. Die Schlichtungsstelle hat gemäß § 3 des Übernahme- und Ausführungsgesetzes lediglich die Möglichkeit, auf Antrag des Wahlvorstandes einer Dienststelle von den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Buchst. b abzusehen.
Die Mitarbeitervertretungen und Dienststellenleitungen der Landeskirche sollen per Rundschreiben darauf hingewiesen werden, daß im vereinfachten Wahlverfahren der jeweilige Einberufer der Mitarbeiterversammlung, also die amtierende Mitarbeitervertretung oder die Dienststellenleitung dem Vorsitzenden der Schlichtungsstelle vor der Wahl eine Liste der wahlberechtigten Mitarbeiter übersendet, sofern Mitarbeiter der Dienststelle angehören, die keiner der Mitgliedskirchen der ACK zugehörig sind.
Den Dienststellen und Mitarbeitervertretungen der Landeskirche ist gleichfalls mitzuteilen, daß von der Vorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 1 der Wahlordnung zum Mitarbeitervertretungsgesetz in Bezug auf § 10 Abs. 1 Buchst. b MVG für die vorstehende Wahl abgesehen wird.
Eine förmliche Begründung enthält die Entscheidung der Schlichtungsstelle nicht. Eine Rechtsmittelbelehrung ist nicht erteilt.
Gegen die ihm am 1. Dezember 1995 zugegangene Entscheidung der Schlichtungsstelle hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 14. Dezember 1995, eingegangen am 18. Dezember, Rechtsmittel eingelegt und dieses mit Anwaltsschriftsatz vom 22. Januar 1996, eingegangen am 25. Januar, begründet.
Der Antragsteller trägt vor: Der angefochtene Beschluß müsse schon wegen Verstoßes gegen zwingende Formvorschriften aufgehoben werden. Weiter greife er in die grundrechtlich geschützten Positionen der Wahlberechtigten nach Art. 3 GG ein. Nach dem Beschluß werde in jedem Einzelfall nachgeprüft, ob ein Wahlberechtigter Mitglied der Kirche ist, um sodann nach nicht nachvollziehbaren Kriterien entweder die Zustimmung zum passiven Wahlrecht zu erteilen oder zu verweigern. Das bedeute eine undemokratische Vorgehensweise gegenüber Mitarbeitern, die aus den früheren staatlichen Einrichtungen der ehemaligen DDR in kirchliche Einrichtungen überführt worden seien und nun statt wie bisher die SED-Mitgliedschaft die Kirchenmitgliedschaft nachzuweisen hätten, soweit es um das passive Wahlrecht gehe.
Die Entscheidung der Schlichtungsstelle sei aber auch deshalb aufzuheben, weil die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Buchst. b) MVG.EKD gegen vorrangiges staatliches Recht verstoße. Das verfassungsrechtlich garantierte Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht der Religionsgemeinschaften sei beschränkt durch das "für alle geltende Gesetz". Ein Gesetz in diesem Sinne sei das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG, denn diese Regelung sei nicht nur staatsgerichtetes Grundrecht, sondern auch objektive Rechtsnorm (vgl. BVerfGE 17, 27). Das bedeute, daß Regelungen im Bereich der Selbstordnung und Selbstverwaltung kirchlicher Einrichtungen nicht gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen dürften. Insgesamt sei die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Buchst. b) MVG.EKD wegen Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 und 3 GG rechtsunwirksam.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluß der Schlichtungsstelle vom 25. Oktober 1995 aufzuheben und zu entscheiden, daß für die im Zeitraum vom 1. Januar 1996 und dem 30. April 1996 durchzuführenden Mitarbeitervertretungswahlen die Anwendung der ACK-Klausel entfällt.
Die Antragsgegner haben keinen förmlichen Antrag gestellt. Sie sind den Ausführungen des Antragstellers jedoch mit Schriftsatz vom 21. Februar 1996 entgegengetreten und haben darin im wesentlichen vorgetragen: Zu den der Kirche im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes zugewiesenen Freiräumen gehöre seit jeher, daß die Kirche bestimmte Funktionen, Rechte und Pflichten ihrer Mitarbeiter oder derer, welche Mitarbeiter der Kirche werden wollten, davon abhängig machen könne, ob sie der Kirche angehören. So habe die Rechtsprechung anerkannt, daß eine Bestimmung mit ACK-Klausel im verfassungsrechtlichen Rahmen stehe und von der im Grundgesetz verankerten Autonomie abgedeckt sei.
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten, insbesondere wegen aller Einzelheiten, wird zur Darstellung des Sachverhalts auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst allen Anlagen verwiesen.
II. Die Entscheidung der Schlichtungsstelle mußte aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben werden. Weiter mußte der Antrag des Gesamtausschusses, gestellt in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, ebenfalls aus verfahrensrechtlichen Gründen zurückgewiesen werden, weil dem Gesamtausschuß die Aktivlegitimation für das eingeleitete Verfahren fehlt. Ob die im Streit befindliche ACK-Klausel - jedenfalls hinsichtlich der Wählbarkeit nach dem Mitarbeitervertretungsrecht - gegen vorrangiges staatliches Recht verstößt und daher insoweit rechtsunwirksam ist, konnte das Verwaltungsgericht in diesem Verfahren nicht entscheiden.
1. Nach § 54 Abs. 1 MVG.EKD können die Gliedkirchen in ihren Regelungen vorsehen, daß für den Bereich einer Gliedkirche, des jeweiligen Diakonischen Werks oder für beide Bereiche gemeinsam ein Gesamtausschuß der Mitarbeitervertretungen im kirchlichen und diakonischen Bereich gebildet wird. Für die Gesamtausschüsse gelten die Bestimmungen des Mitarbeitervertretungsgesetzes mit Ausnahme des § 20, der die Freistellung von der Arbeit betrifft, sinngemäß (§ 54 Abs. 2 MVG.EKD). Zu den Aufgaben des Gesamtausschusses gehören a) Beratung, Unterstützung und Information der Mitarbeitervertretungen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben, Rechte und Pflichten, b) Förderung des Informations- und Erfahrungsaustauschs zwischen den Mitarbeitervertretungen sowie die Fortbildung von Mitgliedern der Mitarbeitervertretungen, c) Erörterung arbeits-, dienst- und mitarbeitervertretungsrechtlicher Fragen von grundsätzlicher Bedeutung, sofern hierfür nicht andere Stellen zuständig sind (§ 55 Abs. 1 MVG.EKD). Sofern der Gesamtausschuß an der Bildung der Arbeitsrechtlichen Kommission beteiligt ist, kann er Stellungnahmen zu beabsichtigten Neuregelungen des kirchlichen Arbeitsrechts abgeben (§ 55 Abs. 2 MVG.EKD).
Die genannten Bestimmungen stellen klar, daß der Gesamtausschuß Berater und Ansprechpartner ausschließlich für die Mitarbeitervertretungen ist. Dagegen kann er nicht die Aufgaben und Befugnisse wahrnehmen, die nach dem Gesetz den einzelnen Mitarbeitervertretungen gegenüber den Dienststellenleitungen zustehen (so zutreffend Fey/Rehren (Hrsg.), MVG.EKD, 1994, § 55 RdNr. 1).
2. a) Nach § 3 des Kirchengesetzes vom 30. Oktober 1994 zur Übernahme und Ausführung des Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der EKD (Mitarbeitervertretungsgesetz - MVG) vom 6. November 1992 (im folgenden kurz: ÜbernG Mecklenburg) kann von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Buchst. b) MVG.EKD abgesehen werden, wenn die Schlichtungsstelle dies vor der Wahl auf Antrag des Wahlvorstandes zugelassen hat. Zu einem Antrag nach § 3 ÜbernG Mecklenburg ist der Gesamtausschuß der Mitarbeitervertretungen nach der ausdrücklichen Regelung des Gesetzes verfahrensrechtlich nicht legitimiert. Für eine analoge Anwendung, wonach neben dem Wahlvorstand auch der Gesamtausschuß einen Antrag im Sinne des genannten Übernahmegesetzes stellen könnte, ist kein Raum. Analogie setzt gleichen Normzweck und gleiche Interessenlage voraus. Sinn und Zweck des § 3 ÜbernG Mecklenburg gehen jedoch dahin, nur dem jeweiligen Wahlvorstand ein Antragsrecht einzuräumen. Das steht einer analogen Anwendung dieser Spezialnorm entgegen.
b) Zu den Aufgaben des Gesamtausschusses zählt nach § 55 Abs. 1 Buchst. c) MVG.EKD die Erörterung bestimmter rechtlicher Fragen von grundsätzlicher Bedeutung, sofern hierfür nicht andere Stellen zuständig sind. Aus dieser Vorschrift könnte entnommen werden, daß der Gesamtausschuß aufgrund der Bezugnahme des § 54 Abs. 2 MVG.EKD in Verbindung mit § 60 Abs. 1 letzte Alternative MVG.EKD einen allgemeinen auf § 10 Abs. 1 Buchst. b) MVG.EKD bezogenen Antrag an die Schlichtungsstelle richten könnte, denn Fragen der Wählbarkeit haben im Mitarbeitervertretungsrecht (wie auch anderswo) erhebliches Gewicht, wie schon aus ihrer ausdrücklichen Aufzählung im Katalog des § 3 Abs. 1 VGG.EKD in Verbindung mit § 63 Abs. 1 Buchst. d) MVG.EKD für die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts hervorgeht.
Demgegenüber steht aber die grundsätzliche Konstruktion des Mitarbeitervertretungsgesetzes, wonach Anträge im Sinne des § 60 MVG.EKD nur die Mitarbeitervertretung oder/und die Dienststelle stellen können. Danach vermag der Gesamtausschuß auch nicht im Bereich der "anderen vergleichbar gewichtigen Streitigkeiten aus der Anwendung dieses Kirchengesetzes" an die Stelle der Mitarbeitervertretung zu treten.
Aus diesen Überlegungen folgt, daß der Gesamtausschuß für das vorliegende Verfahren nicht aktiv legitimiert ist.
c) Andererseits hat die Schlichtungsstelle den Gesamtausschuß als aktiv legitimiert angesehen, sonst hätte sie dessen Antrag als unzulässig behandeln müssen. Das ist jedoch nicht geschehen, vielmehr hat die Schlichtungsstelle bestimmte Auflagen erteilt (betr. Rundschreiben und Übersendung von Listen der wahlberechtigten Mitarbeiter). Hierdurch ist der Antragsteller beschwert. Aus diesem Grunde ist das Beschwerdeverfahren insoweit als zulässig zu betrachten, als der Antragsteller sich gegen die ergangenen Auflagen zur Wehr setzt.
3.) Nach § 61 Abs. 5 Satz 1 MVG.EKD entscheidet die Schlichtungsstelle über die Anträge der Beteiligten durch Beschluß. Dieser ist zu begründen und den Beteiligten zuzustellen (§ 61 Abs. 6 Satz 1 MVG.EKD). Im vorliegenden Fall hat die Schlichtungsstelle laut Sitzungsprotokoll keinen förmlichen Beschluß gefaßt, sondern nur das "Ergebnis" ihrer "Beratung" mitgeteilt. Es ist dem Sitzungsprotokoll nicht zu entnehmen, ob die Schlichtungsstelle über den Antrag des Gesamtausschusses vom 24. Juni 1995 entscheiden oder nur ihre Rechtsmeinung zu dem Begehren des Antragstellers bekannt geben und einen Schlichtungsvorschlag unterbreiten wollte. Da es überdies an der vorgeschriebenen Begründung fehlt, leidet die Entscheidung an wesentlichen Verfahrensmängeln. Sie war daher aufzuheben (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 VerwGO analog). Weiter war der Antrag des Gesamtausschusses der Mitarbeitervertretungen wegen fehlender Aktivlegitimation für das vorliegende Verfahren zurückzuweisen.
III. Bei der Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten hat die Kammer § 13 Abs. 2 VGG.EKD angewandt. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO.