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Kirchengericht:Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:11.07.1997
Aktenzeichen:VerwG.EKD 0124/A16-96
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 61 Abs. 3 Satz 1 (alt = § 61 Abs. 4 Satz 1 neu), Grundgesetz Art. 2, 140, WRV Art. 137 Abs. 3, VGG.EKD § 16 Satz 1, VwGO §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 146 Abs. 1, 150, 101 Abs.3, BRAO § 1, § 43a Abs. 4, ZPO § 90
Vorinstanzen:Schlichtungsstelle der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche, Az.: 22/95; Fundstellen: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 23/98 S. 1303; Die Mitarbeitervertretung 6/97 S. 287; Rechtsprechungsbeilage zum Amtsblatt der EKD 1998 S. 24; Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 1998 S. 264
Schlagworte:ACK-Klausel , Beistand im Verfahren vor der Schlichtungsstelle
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Leitsatz:

Die sog. ACK-Klausel des § 61 Abs.3 Satz 1 MVG.EKD (alt = § 61 Abs. 4 Satz neu) ist Ausdruck kirchlichen Selbstverständnisses bei einer Regelung im innerkirchlichen Bereich. Sie verstößt nicht gegen höherrangiges staatliches Recht, insbesondere nicht gegen Verfassungsrecht.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß der Schlichtungsstelle nach dem MVG der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche vom 12. September 1996 - 22/95 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Antragstellerin hat die Schlichtungsstelle angerufen wegen der Erstellung eines Sozialplanes für die von der Schließung eines Heimes betroffenen Mitarbeiter. Zu Beginn der auf den 12. September 1996 anberaumten Verhandlung hat der Vorsitzende der Schlichtungsstelle die für die Beteiligten erschienen Verfahrensbevollmächtigten unter Hinweis auf § 61 Abs. 3 Satz 1 MVG:EKD zu ihrer Kirchenzugehörigkeit befragt. Rechtsanwältin B, die für die Antragstellerin auftreten wollte, hat die Beantwortung dieser Frage verweigert. Daraufhin hat die Schlichtungsstelle Rechtsanwältin B von der Vertretung der Antragstellerin ausgeschlossen. Später erging ein die Instanz beendender Beschluß der Schlichtungsstelle, der vorliegend jedoch keine Bedeutung hat.
Die Schlichtungsstelle hat ihren Ausschließungsbeschluß wie folgt begründet: Die Bestimmung des § 61 Abs. 3 Satz 1 MVG.EKD verstoße nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen Art. 4 GG. Die Nordelbische Kirche habe sich bei der Regelung der Fragen der Mitbestimmung dahin entschieden, daß nur solche Rechtsanwälte zur Verhandlung vor der Schlichtungsstelle zugelassen sein sollten, die Mitglied einer Kirche seien, die der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen angehöre. Das sei eine zulässige Regelung.
Gegen den ihr am 25. Oktober 1996 zugestellten Beschluß hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 21. November, eingegangen am 25. November, Beschwerde eingelegt und diese mit Anwaltsschriftsätzen vom 9. April 1997 begründet.
Die Antragstellerin macht geltend, der angefochtene Beschluß verletze Verfassungsrecht. Die Regelungsautonomie der Kirche finde dort ihre Grenze, wo der geschützte Freiraum zur Erfüllung ihres geistlich-religiösen Auftrages durch staatliches Recht eingeschränkt werde. Vorliegend stelle sich die Frage, ob das Verfassungsprinzip der freien Anwaltswahl, soweit sie es als Mitarbeitervertretung für sich in Anspruch nehme, die Kirche in ihrem geistlich-religiösen Auftrag beschränke und sie härter treffe als andere. Dafür bestünden jedoch keine Anhaltspunkte. Im übrigen beziehe § 61 Abs. 3 MVG.EKD sich auch gar nicht auf die Vertretung durch Rechtsanwälte. Die Vorschrift spreche von Beiständen. Zwischen Beiständen und Rechtsanwälten sei jedoch streng zu unterscheiden, wie sich aus § 90 ZPO ergebe. Anders als der Beistand sei der Anwalt Organ der Rechtspflege und von Gesetzes wegen verpflichtet, ausschließlich die Interessen seiner Partei wahrzunehmen und zu vertreten. Vor der Schlichtungsstelle sei der Anwalt in gleicher Weise an die vertrauensvolle Zusammenarbeit gebunden wie die Mitarbeitervertretung selbst.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluß der Schlichtungsstelle über die Ausschließung von Rechtsanwältin B vom 12. September 1996 aufzuheben.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie trägt vor: In § 61 Abs. 3 MVG.EKD komme das kirchliche Selbstverständnis zum Ausdruck. Wegen der Besonderheiten des kirchlichen Schlichtungsverfahrens sei es sachgerecht und geboten, nicht nur von den Richtern, sondern auch von den Beiständen die Kirchenzugehörigkeit zu verlangen. Im Schlichtungsverfahren seien die Beteiligten und das Gericht nicht nur an das Gesetz gebunden, sondern auch an Schrift und Bekenntnis. Zudem sei das richtige Verständnis der Eigenart des kirchlichen Dienstes unerläßlich, um vor der Schlichtungsstelle zu einer sachgerechten Regelung zwischen Dienststellenleitung und Mitarbeitervertretung beitragen zu können.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten, insbesondere wegen aller Einzelheiten, wird zur Darstellung des Sachverhalts auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II. Die Beschwerde ist statthaft nach § 63 Abs. 1 Buchst. c) MVG.EKD, weil sie eine Frage der Geschäftsführung der Antragstellerin betrifft, nämlich die freie oder eingeschränkte Anwaltsbestellung für das Verfahren vor der Schlichtungsstelle (§ 61 Abs. 3 Satz 1 MVG.EKD als (= § 61 Abs. 4 Satz 1 MVG.EKD neu)). Die Beschwerde ist auch fristgerecht eingelegt und formgerecht begründet worden, mithin zulässig. In der Sache konnte sie jedoch keinen Erfolg haben.
1. Die Kammer konnte über die Beschwerde ohne mündliche Anhörung entscheiden (§§ 16 Satz 1 VGG.EKD in Verbindung mit §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 146 Abs. 1, 150, 101 Abs. 3 VwGO). Die Beschwerde der Antragstellerin wendet sich gegen den Beschluß der Schlichtungsstelle, Rechtsanwältin B von der Vertretung vor der Schlichtungsstelle auszuschließen. Bei diesem Beschluß der Schlichtungsstelle handelt es sich nicht um eine die Instanz beendende, sondern um eine während des Verfahrens getroffene Entscheidung (zur verfahrensrechtlichen Lage vgl. auch §§ 83 Abs. 5, 84 Satz 1, 87, 90 Abs. 2 und Abs. 3 ArbGG).
2. Die Antragstellerin nimmt für sich das Verfassungsprinzip der freien Anwaltswahl (Art. 2 GG) in Anspruch und fühlt sich durch den angefochtenen Beschluß insoweit in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt. Dem kann nicht gefolgt werden.
Die Kirchen haben auf der Grundlage des von der Verfassung garantierten Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG mit Art. 137 Abs. 3 WRV) ein eigenes Mitarbeitervertretungsrecht geschaffen. Dieses Mitarbeitervertretungsrecht ist Kirchenrecht. Das ist heute herrschende Meinung (vgl. BAG B. vom 25. April 1989, BAGE 61, 376, 381). Daher unterliegen Streitigkeiten aus dem Gebiet des Mitarbeitervertretungsrechts auch nicht der Zuständigkeit staatlicher Gerichte (BAG B. vom 11. März 1986 -1ABR 26/84-, BAGE 51, 238, 242ff.).
Die Mitgliedschaft in der Mitarbeitervertretung ist ein kirchliches Ehrenamt (§ 19 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD). Die Mitarbeitervertretung hat die beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Belange der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu fördern. Sie hat in ihrer Mitverantwortung für die Aufgaben der Dienststelle das Verständnis für den Auftrag der Kirche zu stärken und für eine gute Zusammenarbeit einzutreten (§ 35 Abs. 1 MVG.EKD). Der Auftrag der Kirche besteht in der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat (Präambel Satz 1 MVG.EKD). Das in diesen Vorschriften zum Ausdruck kommende kirchliche Selbstverständnis ist von der Rechtsprechung zu beachten. Mit der Umschreibung der allgemeinen Aufgaben der Mitarbeitervertretung hat der kirchliche Gesetzgeber zu erkennen gegeben, daß er in der Mitarbeitervertretung nicht nur eine Interessenvertretung der Dienstnehmer sieht, sondern auch ein durch Aufgaben und Verantwortung hervorgehobenes innerkirchliches Amt (BAG B. vom 11. März 1986 -1ABR 26/84-, BAGE 51, 238, 243, 244).
Die Kammer braucht sich vorliegend nicht mit der allgemeinen Frage auseinanderzusetzen, ob und wieweit die Kirchen und ihre Einrichtungen an die Grundrechte der Verfassung, die von Anfang an Schutz- und Abwehrrechte des Bürgers gegen die staatliche Gewalt waren (BVerfG B. vom 15. Januar 1958, BVerfGE 7, 198 LS 1), gebunden sind oder nicht (vgl. insoweit nur die bei Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 2. Aufl., § 8 I 2 Rdnrn. 6 bis 8 angegebene Literatur). Im innerkirchlichen Bereich jedenfalls besteht keine Bindung an das für alle geltende Gesetz (so BVerfGE 18, 385, 387 f.; 42, 312, 334). Zu den innerkirchlichen Angelegenheiten gehört auch das kirchliche Ämterrecht (Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV). Da nach kirchlichem Selbstverständnis die Mitgliedschaft in der Mitarbeitervertretung ein kirchliches Amt ist, kommt auch für diesen Bereich keine Bindung an das für alle geltende Gesetz in Betracht. Vielmehr bestimmt hier die Kirche allein und ohne staatliche Nachprüfung (so BAGE 51, 238, 242, 243).
Die Ausschlußregelung des § 61 Abs. 3 MVG.EKD verstößt daher nicht gegen höherrangiges staatliches Recht, sondern ist Ausdruck kirchlichen Selbstverständnisses in einem Bereich, den die Kirchen aufgrund ihres von der Verfassung garantierten Selbstbestimmungsrechts nach ihren eigenen Vorstellungen ordnen und verwalten können. Die Antragstellerin muß die Beschränkung des von ihr in Anspruch genommenen Rechts der freien Anwaltswahl hinnehmen.
3. In der Kommentarliteratur wird die Erforderlichkeit der Einschränkung des § 61 Abs. 3 (=Abs. 4 neu) MVG.EKD mit der Verknüpfung von Sachkunde und Kirchenzugehörigkeit bezweifelt (Spengler in Fey/Rehren, MVG.EKD, Stand Januar 1997, § 61 Rdnr. 5) oder kritisch hinterfragt (Bach/Doering/Grote/Kruska/Lötschert/Maethner/Olechnowitz, MVG, 1995, § 61 Rdnr. 3.1). Eine nähere Auseinandersetzung findet sich nur bei Baumann-Czichon/Germer (MVG.EKD 1997, § 61 Rdnr. 7), deren Ausführungen die Antragstellerin in ihrem Vortrag weithin übernommen hat.
Die genannten Autoren wollen die sog. ACK-Klausel für Verbandsvertreter akzeptieren, nicht aber für Rechtsanwälte. Sie verweisen auf § 90 ZPO und führen aus, zwischen einem Beistand und einem anwaltlichen Vertreter sei scharf zu unterscheiden. Der Beistand unterstütze und berate die Prozeßpartei, die aber selbst die notwendigen Prozeßerklärungen abzugeben habe. Der Anwalt vertrete jedoch seine Partei und gebe die erforderlichen Prozeßerklärungen an deren Stelle ab. Eine solche geschäftsmäßige Rechtsbesorgung sei nur den Anwälten vorbehalten. Ein Regelungsbedürfnis hinsichtlich der Kirchenzugehörigkeit eines Rechtsbeistands ergebe sich nur für solche Personen, die nicht zugleich anwaltliche Vertreter seien. Verbandsvertreter seien durch die Satzungen ihrer jeweiligen Organisationen auch zum Arbeitskampf verpflichtet. Von daher sei es sachlich geboten, nur solche Verbandsvertreter zum Schiedsverfahren zuzulassen, die einer christlichen Kirche angehörten und damit wenigstens normativ die Gewähr dafür böten, daß sie sich im Rahmen kirchlichen Selbstverständnisses bewegten. Der Anwalt hingegen sei Organ der Rechtspflege und verpflichtet, ausschließlich die Interessen seiner Partei wahrzunehmen und zu vertreten. Der anwaltliche Vertreter vor der Schlichtungsstelle (Schiedsstelle) sei daher in gleicher Weise an die vertrauensvolle Zusammenarbeit gebunden wie die Mitarbeitervertretung.
§ 61 Abs. 3 (bzw. Abs.4 neu) MVG.EKD spricht allgemein von einem “Beistand”. Er unterscheidet nicht zwischen Beistand und Rechtsanwalt. Gemeint sind mit dem Begriff “Beistand” aber auch Rechtsanwälte als Beistände im weiteren Sinne. Die scharfe Trennung des § 90 ZPO zwischen beiden bezieht sich auf den Zivilprozeß, wo dem Anwalt eine ganz andere Bedeutung zukommt als dem Beistand. Während dieser nur vor dem Amtsgericht auftreten darf, muß sich die Partei vor den Landgerichten und vor allen höheren Gerichten durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen (§ 78 Abs.1 ZPO). Diese strenge Regelung kennt das kirchlich-diakonische Schlichtungsverfahren nicht, daher ist die scharfe Unterscheidung zwischen Beistand und Anwalt hier - anders als nach § 90 ZPO - nicht angezeigt.
Es sollte auch nicht übersehen werden, daß ein Verbandsvertreter, der einer christlichen Kirche angehört, in gleicher Weise der Satzung seiner Organisation verpflichtet bleibt wie ein Verbandsvertreter ohne Kirchenzugehörigkeit.
Gewichtig ist indessen der Hinweis von Baumann-Czichon/Germer darauf, daß der Anwalt Organ der Rechtspflege ist (§ 1 BRAO), und ihr Argument, daß der Anwalt, da er ausschließlich die Interessen seiner Partei zu vertreten hat (§ 43a Abs. 4 BRAO), in gleicher Weise zur vertrauensvollen Zusammenarbeit verpflichtet sei wie die Mitarbeitervertretung nach § 33 Abs. 1 MVG.EKD (neu). Diese Überlegungen können aber letztlich nicht überzeugen.
Gerade weil der Anwalt Organ der Rechtspflege ist und die gleichen Ausbildungsvoraussetzungen erfüllen muß wie der Richter, ist von ihm aus der Sicht des kirchlichen Selbstverständnisses eher die Kirchenzugehörigkeit und damit auch die Bindung an die Schrift (§ 8 VGG.EKD) zu verlangen. Von einem Anwalt, der außerhalb der Kirchen steht, kann dies nicht unbedingt erwartet werden. Ebensowenig kann man aus der Sicht des kirchlichen Gesetzgebers von einem Anwalt, der keiner christlichen Kirche angehört, etwa weil er aus ihr ausgetreten ist, erwarten, daß er Verständnis für den kirchlichen Auftrag aufbringt (vgl. Präambel sowie § 35 Abs. 1 Satz 2 MVG.EKD). Bei der Ausschließungsklausel des § 61 Abs.3 (= Abs. 4 neu) MVG.EKD ist das kirchliche Selbstverständnis rechtstheologisch herzuleiten aus 1. Kor. 6, 5, wo Paulus verlangt, daß Streitigkeiten zwischen Gemeindegliedern von Schiedsrichtern “unter euch” entschieden werden sollen, das heißt ohne Beiziehung oder Mitwirkung von Außenstehenden, die nicht zur Gemeinde gehören und nicht zu ihr gehören wollen. Zu den Schiedsrichtern “unter euch”, also in der Gemeinde, gehören auch die Rechtsanwälte als Organe der kirchlichen Rechtspflege.
III. Eine Kostenregelung war nicht erforderlich. Da Rechtsanwältin B durch Beschluß der Schlichtungsstelle von der Vertretung vor der Schlichtungsstelle ausgeschlossen war und diese Entscheidung analog § 61 Abs. 3 Satz 2 und 3 MVG.EKD alt (= § 61 Abs. 4 Satz 2 und 3 MVG.EKD neu) hinsichtlich der Kostentragungspflicht endgültig ist (vgl. Beschluß des Verwaltungsgerichts vom 5. September 1996 - 0124/A 8 - 96 - , zu II der Gründe), kommt eine Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin nach § 13 Abs. 2 VGG.EKD nicht in Betracht.