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Kirchengericht:Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:29.10.2002
Aktenzeichen:VerwG.EKD II-0124/F44-01
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 40 Buchst. i
Vorinstanzen:Schiedsstelle der Ev. Stiftung Alsterdorf, Schl. ESA 11/01 ; Fundstelle: Die Mitarbeitervertretung 2/04 S.77
Schlagworte:Zur Frage des Mitbestimmungsrechts bei Reduzierung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Nachtdienst zur Verstärkung der Mitarbeiter- und Mitarbeiterinnenzahl im Tagdienst - Hebung der Arbeitsleistung.
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Leitsatz:

Soll eine Verstärkung des Personaleinsatzes im Tagdienst durch Umsetzung einer Nachtwache aus dem bisher mit zwei Nachtwachen besetzten Nachtdienst in den Tagdienst herbeigeführt werden, so unterliegt diese Organisationsänderung gem. § 40 Buchst. i MVG.EKD als Maßnahme zur Hebung der Arbeitsleistung der Mitbestimmung; die verbleibenden Nachtdienstmitarbeiter und -mitarbeiterinnen haben im Vergleich zu früher eine höhere Arbeitslast zu bewältigen.

Tenor:

Die Beschwerde des Dienstgebers gegen den Beschluss der Schlichtungsstelle vom 4. Oktober 2001 - Schl. ESA 11/01 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Mitarbeitervertretung bei der Reduzierung von zwei Stellen auf eine Stelle Nachtdienstbesetzung im ersten Stock durch die Dienststellenleitung ein Mitbestimmungsrecht nach § 40 Buchst. i MVG.EKD zusteht.
Die Dienststellenleitung teilte der Mitarbeitervertretung mit Schreiben vom 31. Juli 2001 unter dem Betreff "Organisatorische Veränderungen im 1. Stock" u.a. mit:
"..., wir beabsichtigen zum 01.09.2001 zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten Unterstützung der Klienten, den Personaleinsatz während der Tagdienste auszuweiten. Deswegen werden wir den Personaleinsatz während der Nacht von bisher 2 Nachtwachensituationen auf eine Nachtwachensituation verändern. Bei der Überprüfung des Arbeitsanfalles über den ganzen Tag gesehen, hat sich gezeigt, dass während der Tagdienste eine dringende Entlastung angezeigt ist, wohingegen während des Nachtdienstes der Arbeitsanfalls auch von einer einzelnen Person zu leisten ist.
In Situationen erhöhten Bedarfs koordiniert die Fachaufsicht Nacht (FAN) die Unterstützung der diensthabenden Mitarbeitenden.
Die bestehenden mit der Mitarbeitervertretung vereinbarten Arbeitszeiten werden durch diese organisatorische Veränderung nicht berührt.
Wir möchten die Mitarbeitervertretung im Rahmen ihres Informationsrechtes über diese Veränderung rechtzeitig informieren, zumal wir beabsichtigen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Dienstbesprechung am 08.08.2001 hiervon in Kenntnis zu setzen. ..."
Die Mitarbeitervertretung reklamierte mit Schreiben vom 14. August 2001 insoweit einen mitbestimmungspflichtigen Vorgang - § 40 Buchst. i MVG.EKD - und forderte die Dienststellenleitung zur Einleitung des Mitbestimmungsverfahrens auf. Die Dienststellenleitung hielt mit Schreiben vom 17. August 2001 eine Maßnahme i.S.d. § 40 Buchst. i MVG.EKD für nicht gegeben. Das Stellenkontingent bleibe erhalten. Mit bei der Schlichtungsstelle eingegangenen Antrag vom 28. August 2001 hat die Mitarbeitervertretung die Feststellung begehrt, dass die Reduzierung von zwei Stellen auf eine Stelle Nachtdienstbesetzung unwirksam ist. Sie hat die Auffassung vertreten, die Reduzierung von zwei Nachtdienststellen auf eine Nachtdienststelle stelle sich als eine Maßnahme zur Hebung der Arbeitsleistung i.S.d. § 40 Buchst. i MVG.EKD dar, weil zukünftig die Arbeit im Nachtdienst von bisher zwei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin mit gelegentlicher Unterstützung von Aushilfskräften geleistet werden solle. Die Nachtdienstmitarbeiter und -mitarbeiterinnen sollten künftig mehr, nahezu doppelt soviel arbeiten wie bisher, nämlich in der Tendenz eine volle Stelle ersetzen. Damit stelle sich die Umsetzung der Stelle vom Nacht- in den Tagdienst für die Nachtdienstmitarbeiter und -mitarbeiterinnen als eine Maßnahme dar, aufgrund derer sie in quantitativer Hinsicht mehr zu leisten hätten als bisher. Diese Mehrleistung sei auch gerade beabsichtigt, um durch sie zu einer Entlastung im Tagdienst und damit zu einem besseren qualitativen Ergebnis der Arbeit im Tagdienst zu gelangen. Eine Hebung der Arbeitsleistung liege nicht deswegen nicht vor, weil das Stellenkontingent des Verbundes insgesamt nicht reduziert werde. Denn für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Nachtdienstes führe die Stellenverringerung zu einer Mehrbelastung, ohne dass sie von einer Entlastung im Tagdienst profitierten. Sie arbeiteten ausschließlich im Nachtdienst.
Die Dienststellenleitung hat Zurückweisung des Antrages beantragt. Es liege eine Arbeitsumverteilung vor. Die im Rahmen des Personalbudgets vorzunehmende Personaleinsatzplanung sei am Bedarf der Klientel auszurichten. Der Bedarf bestehe vordringlich am Tage, wenn die Klientel wach sei. Während der Tagdienste sei die Arbeitsbelastung hoch. Während des Nachtdienstes, insbesondere in der Zeit zwischen 24.00 Uhr und 5.00 Uhr, reduziere sich der Arbeitsanfall auf ein Maß, dass dieser durch eine Nachtwache abgedeckt werden könne. Die anfallenden Arbeiten sowie die zu gewährleistende Aufsichtspflicht könnten durch eine Person wahrgenommen werden. Für zusätzliche Unterstützung erfordernde Situationen stehe die "Fachaufsicht Nacht" (FAN) im Hintergrund zur Verfügung. Diese könne zum einen fachlich beraten oder fachliche Weisungen geben und zum anderen im Krisenfall auch zusätzliches Personal hinzuziehen. Um das während eines Tages anfallende Arbeitsmaß in der Betreuung, Pflege und Assistenz der dort lebenden Klientel auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verbundes möglichst gleichmäßig zu verteilen, sei eine Umverteilung der Personalressourcen angezeigt gewesen. Diese sei in der Weise vorgenommen worden, dass zurzeit während des Nachtdienstes nur eine Nachtwache und dafür während des Tages eine weitere Person im Tagdienst eingesetzt würden. Der Maßnahme lägen somit sachliche und inhaltliche Erwägungen zugrunde, die eine Umverteilung des Personals hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit als sinnvoll erscheinen ließen.
Mit dem der Dienststellenleitung am 22. November 2001 zugestellten Beschluss vom 4. Oktober 2001 hat die Schlichtungsstelle dem Antrag der Mitarbeitervertretung entsprochen. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, die vorhandene Personalkapazität im ersten Stock des Hauses D sei zur Entlastung des hochbelasteten Tagdienstes in der Weise umverteilt worden, dass dieser zu Lasten des Nachtdienstes um eine Person verstärkt worden sei. Diese Neuregelung führe dazu, dass ein im Nachtdienst eingesetzter Mitarbeiter nunmehr für vier statt zwei Wohngruppen und damit für insgesamt 38 (34 zuzüglich der vier in einem fünften Wohntrakt lebenden) - statt bisher für knapp 20 - Bewohner zuständig sei. Die Verdopplung der Zahl der betreuten Bewohner führe zu einer nicht nur geringfügigen seelischen und körperlichen Mehrbelastung der verbleibenden Nachtdienstkraft. Zeitgleich in verschiedenen Wohngruppen auftretende Krisensituationen müssten verantwortungsvoll und fachgerecht bewältigt werden. An der damit verbundenen erheblichen Mehrbelastung der verbleibenden Nachtwache ändere auch die mögliche Einschaltung des zentralen Nachtdienstes in Notsituationen nichts. Durch die organisatorische Umverteilung vorhandener Arbeitskapazität werde die Belastung der Nachtdienst leistenden Mitarbeiter erhöht. Dass die Personalausstattung des Verbundes insgesamt unverändert bleiben solle, sei unbeachtlich. Entscheidend sei, dass die Verschiebung der Stelle dazu führe, dass alle Nachtdienstmitarbeiter mehr als bisher zu tun hätten.
Mit der am 19. Dezember 2001 beim VerwG.EKD eingegangenen Beschwerde wendet sich die Dienststellenleitung gegen den Beschluss und macht geltend, der Nachtdienst sei letztlich überbesetzt gewesen. Bei dem Personalbestand mit zwei Mitarbeitern im Nachtdienst seien diese nicht vergleichbar der Belastung aller Mitarbeiter im Verbund, insbesondere derer, die im Tagdienst tätig seien, belastet. Daraus folge, dass die Maßnahme nicht auf die Hebung der Arbeitleistung des Nachtdienstes, sondern auf die gleichmäßige Verteilung der Arbeitsleistung auf alle tätigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gerichtet sei. Es handele sich also um eine Umverteilung der selben Menge Arbeit im Verbund von dem im Verhältnis höher belasteten Tagdienst auf den weniger belasteten Nachtdienst durch Verstärkung des Personaleinsatzes im Tagdienst. Dies stelle eine Maßnahme "zur Hebung der Arbeitsleistung und zur Erleichterung des Arbeitsablaufs" i.S.v. § 40 Buchst. i MVG.EKD nicht dar.
Die Dienststellenleitung beantragt,
den Beschluss der Schlichtungsstelle vom 4. Oktober 2001 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin vom 28. August 2001 zurückzuweisen.
Die Mitarbeitervertretung beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss. Selbst wenn man von einer Überbesetzung des Nachtdienstes ausgehe, verdoppele die Halbierung der Arbeitskapazität im Nachtdienst den Arbeitsanfall für die verbleibenden Nachtdienstmitarbeiter tendenziell, soweit Arbeitsbedarf nicht gleichzeitig an zwei unterschiedlichen Orten anfalle und von einem Notdienst wahrgenommen werde.
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Schlichtungsstelle hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass es sich bei der Reduzierung von zwei Stellen auf eine Stelle Nachtdienstbesetzung um einen mitbestimmungspflichtigen Vorgang handelt mit der Folge, dass die ohne Beteiligung der Mitarbeitervertretung durchgeführte Maßnahme unwirksam ist.
Ausgehend von dem Schutzzweck des § 40 Buchst. i MVG.EKD - Bewahrung der betroffenen Mitarbeiterschaft vor einer unnötigen oder unzumutbaren Belastung - ist nicht ausschlaggebend, ob die Dienststellenleitung den Zweck verfolgt, die Arbeitsleistung zu erhöhen (subjektiv-finales Kriterium). Vielmehr genügt, dass die Maßnahme objektiv auf die Hebung der Arbeitsleistung hinausläuft (objektiv-finales Kriterium). Eine Maßnahme zur Hebung der Arbeitsleistung liegt dann vor, wenn sich die erhöhte Inanspruchnahme als unmittelbare Folge darstellt, vgl. VGH Kassel B. v. 8. August 1990 - BPV TK 3776/89 -, PersR 1991, 142 zu § 76 Abs. 2 Nr. 5 BPersVG, vgl. BVerwG B. v. 2. Oktober 1990 - 6 P 29.87 - PersR 1990, 362. Damit sind auch die Fälle erfasst, in denen eine Maßnahme mehrere Zielrichtungen hat, von denen diejenige der Hebung der Arbeitsleistung auch von untergeordneter Bedeutung sein kann. Zeitigt die Maßnahme eine unmittelbare Erhöhung der Inanspruchnahme von Beschäftigten, unterliegt sie der Mitbestimmung. So liegt es hier. Die Maßnahme führt typischerweise zu einer erhöhten Inanspruchnahme des oder der betroffenen Nachtdienstleistenden, mag sie in gesteigerten körperlichen Anforderungen oder in einer vermehrten geistig-psychischen Belastung als Folge der Betreuung von vier Fluren durch nur einen Arbeitnehmer anstatt durch zwei Arbeitnehmer während des Nachtdienstes liegen. Bezug zu nehmen ist nämlich stets auf die betroffenen Beschäftigten. Das sind die verbleibenden Nachtdienstmitarbeiter und -mitarbeiterinnen. Bei diesen tritt nach Durchführung der Maßnahme eine Mehrbelastung ein. Das liegt auf der Hand, wenn statt zwei Personen eine Person vier Flure zu betreuen hat. Auf die Quantität im Einzelnen kommt es nicht an. Auch die geringfügige Auswirkung einer Maßnahme löst das Mitbestimmungsrecht aus (vgl. BVerwG aaO). Auch wenn der Nachtdienst vorher nach Auffassung der Dienststellenleitung überbesetzt war, die betroffenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sonach im Vergleich zu den Tagdienstlern "zu wenig" arbeiten mussten, müssen die Nachtdienstmitarbeiter und -mitarbeiterinnen im Zuge der angestrebten gleichmäßigen Verteilung der Arbeitslast auf alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mehr arbeiten als zuvor, unterliegen demzufolge einer Mehrbelastung. Es ist nicht davon auszugehen, dass grundsätzlich die gleichmäßige Arbeitsbelastung im Begriff "Arbeitsleistung" des § 40 Buchst. i MVG.EKD vorausgesetzt ist.
Sonach unterliegt die organisatorische Veränderung als Maßnahme zur Hebung der Arbeitsleistung der Mitbestimmung durch die Mitarbeitervertretung; die Nachtdienstler haben im Vergleich zu früher eine höhere Arbeitslast zu bewältigen.
III. Von einer Kostenentscheidung wird abgesehen.