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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:10.03.2011
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/S62-10
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 38 Abs. 4, § 38 Abs. 3 Satz 1, § 38 Abs. 3 Satz 5, § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1
Vorinstanzen:Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland Kammern für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten, I-2708/S3-10, Fundstelle: ZMV 4/2011, S. 213
Schlagworte:Anrufungsfrist im Mitbestimmungsverfahren
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Leitsatz:

1. Für die Frage der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der anzufechtenden Entscheidung (§ 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 MVG.EKD) kommt es auf das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses an, nicht aber auf seine Begründung.
2. Die Frist zur Anrufung des Kirchengerichts nach § 38 Abs. 4 MVG.EKD ist eine mate-riell-rechtliche Ausschlussfrist; wird sie versäumt, so ist ein Antrag auf Feststellung, dass für die Mitarbeitervertretung kein Grund zur Verweigerung ihrer Zustimmung bestanden hat, ohne weitere Prüfung als unbegründet zurückzuweisen.
3. Der mit dem Zugang der frist- und formgerechten Zustimmungsverweigerung ausgelöste Beginn der Anrufungsfrist des § 38 Abs. 4 MVG.EKD kann weder durch eine erneute Anhörung der Mitarbeitervertretung zum selben Mitbestimmungstatbestand, noch durch eine Bitte einer Dienststellenleitung an die Mitarbeitervertretung, ihre Zustimmungsverweigerung doch noch einmal zu überdenken oder gar zurückzunehmen, gehemmt werden.

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Kirchengerichts der Evangelischen Kirche in Deutschland - Kammern für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten - vom 20. Mai 2010 - Az.: I-2708/S3-10 - wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Mitarbeitervertretung einen Grund hat, ihre Zustimmung zur Einstellung und Eingruppierung des Mitarbeiters D als Leiter der Rettungswache zu verweigern.
Die antragstellende Dienststelle beabsichtigt, den bei ihr als Rettungsassistent beschäftigten Mitarbeiter D auf die dort seit längerer Zeit vakante Stelle eines Rettungswachenleiters/-leiterin einzustellen und entsprechend einzugruppieren.
Dem war bereits eine frühere Bewerbung des Herrn D um dieselbe Stelle und die Ablehnung der Zustimmung zu dessen Einstellung vorausgegangen. Die Dienststellenleitung hatte deswegen das Kirchengericht de EKD angerufen; in jenem Verfahren (KG.EKD - II-2708/R24-09) schlossen die Beteiligten am 23. November 2009 einen Vergleich, wonach die Mitarbeitervertretung für einen Zeitraum bis längstens 28. Februar 2010 ihre Zustimmung zur kommissarischen Besetzung der Rettungswache mit dem Mitarbeiter D erteilte.
Dementsprechend wurde verfahren. Der Rettungsassistent D bewarb sich erneut, nunmehr auf die Ausschreibung der Stelle in einer Zeitung. Hierauf ging noch eine Bewerbung eines anderen Interessenten bei der Dienststellenleitung ein. Die Dienststellenleitung bat die Mitarbeitervertretung mit einem Formularschreiben vom 13. Januar 2010 um die Zustimmung zur Einstellung und Eingruppierung des Herrn D als Rettungswachenleiter. Die Mitarbeitervertretung lehnt dies mit ihrem Schreiben vom 13. Januar 2010 ab; mit einem Schreiben vom 21. Januar 2010 begründete sie ihre Ablehnung. Der Kreisvorstand schrieb daraufhin unter dem 12. Februar 2010 erneut an die Mitarbeitervertretung und bat um eine abschließende Positionierung der Mitarbeitervertretung bis zum 19. Februar 2010. Die Mitarbeitervertretung blieb in ihrem Schreiben an die Dienststellenleitung vom 21. Februar 2010 bei ihrer Ablehnung. Die Dienststellenleitung führte die Einstellung des Mitarbeiters D als Rettungs-wachenleiter gem. 38 Abs. 5 MVG.EKD vorläufig durch.
Mit ihrer Antragsschrift vom 8. März 2010 rief die Dienststellenleitung das Kirchengericht an. Sie hält die Anrufung für fristgerecht, weil die Ablehnung der Mitarbeitervertretung im Formular am 13. Januar 2010 keine Begründung enthalte. Weiterhin hält sie die Verweigerung der Zustimmung der Mitarbeitervertretung zur Einstellung des Mitarbeiters D als Rettungswachenleiter und zu der damit verbundenen Eingruppierung für unberechtigt. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen vom 8. und 24. März, 10. Mai 2010 und die von ihr in der mündlichen Verhandlung am 20. Mai 2010 in Kopie überreichten Schriftstücke Bezug genommen.
Sie hat beantragt,
1. festzustellen, dass für die Mitarbeitervertretung kein Grund zur Verweigerung der Zustimmung zur Einstellung des Arbeitnehmers Herrn D vorliegt und
2. festzustellen, dass für die Mitarbeitervertretung kein Grund zur Verweigerung der Zustimmung zur Höher-/Umgruppierung des Herrn D in der EG 8 vorliegt.
Die Mitarbeitervertretung hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Sie hält die Anrufung des Kirchengerichts für verfristet und das Begehren der Dienststellenleitung für unbegründet. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf den Inhalt ihres Schriftsatzes vom 19. April 2010 Bezug genommen.
Das Kirchengericht hat die Anträge zurückgewiesen (Beschluss vom 20. Mai 2010). Gegen diesen ihr am 12. August 2010 zugestellten Beschluss wendet sich die Dienststellenleitung mit ihrer am 13. September 2010 (Fax) beim Kirchengerichtshof der EKD eingegangenen Beschwerde. Die Begründungsschrift hierzu ist am 12. Oktober 2010 (Fax) eingegangen. Sie begehrt die Annahme der Beschwerde und kündigt unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses an, ihre erstinstanzlichen Anträge weiter zu verfolgen. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens im zweiten Rechtszug wird auf den Inhalt ihrer vorgenannten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Mitarbeitervertretung verteidigt den angefochtenen Beschluss nach näherer Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 7. Januar 2011, auf welchen Bezug genommen wird.
II. Nach § 63 Abs. 2 Satz 1 MVG.EKD bedarf die Beschwerde gegen Beschlüsse der Kirchengerichte der Annahme durch den Kirchengerichtshof der EKD. Sie ist nach § 63 Abs. 2 Satz 2 MVG.EKD anzunehmen, wenn 1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses bestehen, 2. die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, 3. der Beschluss von einer Entscheidung des Kirchengerichtshofes der Evangelischen Kirche in Deutschland, einer Entscheidung eines obersten Landesgerichts oder eines Bundesgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 4. ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem der Beschluss beruhen kann.
Die Beschwerdeführerin stützt sich zur Annahme der Beschwerde auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses. Dieser Annahmegrund liegt jedoch nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der materiell-rechtlichen Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses sind nur anzunehmen, wenn die Entscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit voraussichtlich anders zu treffen sein wird; die bloße Möglichkeit einer entgegen gesetzten Entscheidung genügt nicht. (st. Rechtsprechung des KGH.EKD, zuletzt Beschluss vom 12. April 2010 - I-0124/S13-10 - ZMV 2010, 264). Für die Frage der ernstlichen Zweifel kommt es auf das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses an, nicht aber auf seine Begründung.
2. Der angefochtene Beschluss erweist sich schon deshalb als in der Sache zutreffend, weil die antragstellende Dienststelle die Frist zur Anrufung des Kirchengerichts (§ 38 Abs. 4 MVG.EKD) nicht gewahrt hat. Dies hat die Vorinstanz verkannt.
a) Nach § 38 Abs. 4 MVG.EKD in der ab 1. Januar 2010 geltenden Fassung wie auch nach der früheren Fassung dieser Bestimmung kann die Dienststelle das Kirchengericht nur innerhalb von zwei Wochen nach Eingang der fristwahrenden schriftlichen Verweigerung der Mitarbeitervertretung oder - vorliegend ohne Bedeutung - nach Abschluss der Erörterung anrufen. Diese Frist ist eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist; wird sie versäumt, so ist ein Antrag auf Feststellung, dass für die Mitarbeitervertretung kein Grund zur Verweigerung ihrer Zustimmung bestanden hat, ohne weitere Prüfung als unbegründet zurückzuweisen (Baumann-Czichon u.a., Kommentar zum MVG.EKD, § 38 MVG.EKD Rn. 30; Berliner Kommentar zum MVG.EKD/Andelewski, § 38 MVG.EKD Rn. 57; vgl. zur insoweit gleichgelagerten Regelung in § 61 Abs. 1 MVG.EKD: Schliemann, NZA 2000, 1311, 1314 re. Sp.).
b) Die zweiwöchige Frist des § 38 Abs. 4 MVG.EKD hat am 27. Januar 2010 nach dem Zugang der schriftlich begründeten Zustimmungsverweigerung der Mitarbeitervertretung vom 21. Januar 2010 zu laufen begonnen.
aa) Die schriftliche Zustimmungsverweigerung (§ 38 Abs. 3 Satz 1 und Satz 5 MVG.EKD) ist der Dienststelle innerhalb der für die Mitarbeitervertretung geltenden zweiwöchigen Frist zur Stellungnahme (§ 38 Abs. 3 Satz 1 MVG.EKG) fristwahrend zugegangen. Diese Stellungnahmefrist hat mit der Anhörung der Mitarbeitervertretung am 13. Januar 2010 begonnen und hat am 27. Januar 2010 geendet. Am 13. Januar 2010 hat die Mitarbeitervertretung ihre Zustimmung durch Ankreuzen und Unterschrift auf dem von der Dienststelle vorgelegten Formblatt verweigert; die schriftliche Begründung hierzu ist der Dienststellenleitung mit Schreiben der Mitarbeitervertretung vom 21. Januar 2010 am 26. Januar 2010 (Eingangsstempel der Dienststellenleitung) zugegangen. Die Gründe, aus denen die Mitarbeitervertretung ihre Zustimmung verweigert hat, sind im Schreiben vom 21. Januar 2010 deutlich und eindeutig - auch im Hinblick auf § 41 Abs. 1 Buchstabe c) MVG.EKD - Besorgnis der Störung des Friedens in der Dienststelle - dargelegt. Damit hat die Mitarbeitervertretung form- und fristgerecht ihre Zustimmung verweigert.
bb) Der Umstand, dass die Dienststellenleitung sich unter dem 12. Februar 2010 erneut an die Mitarbeitervertretung gewendet und diese unter dem 21. Februar 2010 hierauf - weiterhin ablehnend - schriftlich geantwortet hat, ist für den Lauf der Anrufungsfrist ohne Bedeutung. Der mit dem Zugang der frist- und formgerechten Zustimmungsverweigerung ausgelöste Beginn der Anrufungsfrist des § 38 Abs. 4 MVG.EKD kann weder durch eine erneute Anhörung der Mitarbeitervertretung zum selben Mitbestimmungstatbestand (a.A. wohl Fey/Rehren, Praxiskommentar zum MVG.EKD, § 38 Rn. 21), noch durch eine Bitte einer Dienststellenleitung an die Mitarbeitervertretung, ihre Zustimmungsverweigerung doch noch einmal zu überdenken oder gar zurückzunehmen, gehemmt werden (vgl. Schlichtungsstelle der Ev. Kirche der Union, Beschluss vom 10. Oktober 1994 - 01/94 - ZMV 1995, 37; Fey/Rehren, Praxiskommentar zum MVG.EKD, § 38 Rn. 21; Berliner Kommentar zum MVG.EKD/Andelewski, § 38 Rn. 57; Baumann-Czichon u.a., Kommentar zum MVG.EKD, § 38 Rn. 30). Anderes vertrüge sich nicht mit dem Charakter der Frist des § 38 Abs. 4 MVG.EKD als einer materiellen Ausschlussfrist.
c) Die Anrufung des Kirchengerichts am 8. März 2010 hat die zweiwöchige Anrufungsfrist des § 38 Abs. 4 MVG.EKD nicht gewahrt, denn diese Frist war am 10. Februar 2010 abgelaufen. Schon dieser Umstand musste zur Zurückweisung des Antrags der Dienststellenleitung führen.
3. Darüber hinaus zeigt die Beschwerde nicht auf, dass das Kirchengericht die Anträge der Dienststellenleitung zu Unrecht zurückgewiesen hat und eine anderweitige Entscheidung überwiegend wahrscheinlich wäre. Das "Bestreiten" der Dienststelle hinsichtlich der von der Mitarbeitervertretung in ihrer Ablehnungsbegründung dargestellten tatsächlichen Verhaltensweisen des Mitarbeiters D beschränkt sich letztlich auf ein Bestreiten mit Nichtwissen, dies allerdings auch zu solchen Umständen, die die Dienststellenleitung schon früher veranlasst hat, sich ihrerseits damit zu befassen, ob, dass und wie hierauf durch die Dienststelle zu reagieren war. In seinem Schreiben vom 16. Februar 2010 gibt Herr D zwar seinem Befremden und seiner Empörung Ausdruck - ein förmliches oder substantiiertes Bestreiten der Tatsachenbehauptungen, die ihm in der Ablehnungsbegründung vorgehalten werden, muss darin nicht gesehen werden.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).